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Guten Tag,

Man hat es nach dem gestrigen politischen Erdbeben ja schon fast vergessen: Der Lobautunnel wird nicht gebaut. Die Grüne Umweltministerin Leonore Gewessler, die das Projekt in den vergangenen Monaten evaluieren ließ, sprach am Mittwoch ein Machtwort und lud dieses mit Pathos auf. "Unsere Kinder werden uns in zwanzig oder dreißig Jahren Fragen: Was habt ihr gemacht, um das Klima zu retten? Und dann will ich sagen – wir haben mutige Entscheidungen getroffen", meinte Gewessler. (Falls Sie ein Faible für Verkehrsplanung haben, finden Sie die Evaluierung, mit der die Ministerin den Baustopp begründet, hier).

Gewessler bescherte der Klimabewegung damit schon zu Beginn des Advents ein Weihnachtsgeschenk. Die UmweltaktivistInnen hatten den Baustopp des Tunnels in diesem Jahr zu ihrem Herzensprojekt auserkoren. Eine Aktivistin trat als Protest gegen den Lobautunnel in einen mehrwöchigen Hungerstreik und beendete ihn erst, als Gewessler verkündete, das Projekt noch einmal auf die Kriterien Klima und Bodenverbrauch überprüfen zu lassen – auch wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung längst abgeschlossen war. Drei Monate besetzten weitere AktivistInnen mehrerer Klimabewegungen die Baustelle der Wiener Stadtstraße. Diese erachten sie als Startschuss für das Lobauprojekt. Einen Überblick über Für und Wider des großen Bauvorhabens können Sie hier nachlesen.

Die Frage, die mich in den vergangenen Monaten beschäftigt hat, lautete aber: Warum hat gerade dieser eine Tunnel die Klimabewegung so bewegt? Warum war der Protest der AktivistInnen gegen die unzureichende ökosoziale Steuerreform deutlich kleiner? Darauf gibt es meines Erachtens mehrere Antworten.

Erstens spiegelt das Lobau-Projekt gleich mehrere Umweltprobleme wider: Der Verkehr ist das größte Übel im heimischen Klimaschutz, während der Straßenbau zu den maßgeblichen Treibern des Bodenraubes zählt. Zugleich hätte das Projekt den Nationalpark Donau-Auen untergraben, hätte also in Zeiten des Artensterbens ein hochsensibles, geschütztes Gebiet durchlöchert. Für all diese Probleme eignet sich der Tunnel als ideales, gemeinsames Symbol.

Zweitens, ist es ein Wiener Projekt, es wurde also dort geplant, wo Österreichs Klimabewegung am stärksten ist. Die Lobau ist quasi der Vorhof der AktivistInnen. Drittens, gibt es wichtige Stimmen aus der Wissenschaft, die den Lobautunnel scharf kritisieren und die AktivistInnen in ihrem Protest bestärkt haben.

Viertens, kommt noch eine historische Dimension hinzu: Die Besetzung der Au in Hainburg begründete die österreichische Umweltbewegung mit. Wie in Hainburg damals geht es auch nun in der Lobau um den Schutz der Donau-Auen, die AktivistInnen konnten also an eine historische Erfolgsstory anknüpfen und es als "zweites Hainburg" aufladen. Das motiviert. Fünftens, und das ist ebenso banal wie wichtig: Es lässt sich leichter gegen etwas demonstrieren, das greifbar und konkret ist. Eine Straße/Baustelle kann man besetzen, eine ökosoziale Steuerreform nicht.

Sechstens, gibt es schließlich auch im Lobauprojekt das Kostenargument. Laut dem rotpinken Wiener Koalitionsprogramm hat die Stadt für ihre fünfjährige Regierungszeit insgesamt 100 Millionen Euro für Klimawandelanpassung budgetiert und weitere 100 Millionen Euro für das Radausbauprogramm. Allein die 19 Kilometer lange Verbindung zwischen Schwechat und Süßenbrunn inklusive des 8 Kilometer langen Lobautunnels hätte 1.900 Millionen Euro gekostet. Umgerechnet heißt das: Jeder einzelne Kilometer des Straßenprojekts wäre soviel wert gewesen wie fünf Jahre Wiener Klimawandelanpassung bzw. fünf Jahre Radausbau. Da stimmt in Zeiten der Klimakrise das Verhältnis einfach nicht mehr.

"Es ist nicht nur der Kampf um eine Straße, es ist der Kampf darum, wie Mobilität in Wien und in Österreich die nächsten Jahrzehnte gedacht wird", erklärte mir Lena Schilling vor wenigen Wochen auf einer Podiumsdiskussion ihre Motivation, sie ist eine der Schlüsselfiguren des Protests. Man zwinge mit dem Bau der Straße "tausende Menschen wieder ins Auto." Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Klimavolksbegehrens, sekundierte ihr: Straßenbauprojekte zählten zu "den symbolischen Dingen, die uns einbetonieren in einem alten Denken und Wirtschaften". Denn ist die Straße einmal da, bekommt man sie kaum mehr weg. Die Steuerreform könne man hingegen schnell nachjustieren. Es geht den AktivistInnen also - siebtens - um ein großes gesellschaftliches Umdenken bei allen Handlungen, die wir heute treffen, und in Zukunft nicht mehr zu ändern sind. Genau das manifestiert sich im Widerstand gegen das Tunnelprojekt.

Während die AktivistInnen gesiegt haben, muss Gewessler noch kämpfen. Rechtlich ist ihre Entscheidung angreifbar, die politischen GegnerInnen haben sich bereits formiert. Bevor das politische Erdbeben aus der ÖVP die Republik erschütterte, gaben die Wiener Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und Niederösterreichs Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) am Donnerstag eine gemeinsame Pressekonferenz. Beide kritisierten die Entscheidung der Umweltministerin scharf. Gewessler habe Chancen für die Region "am Altar der grünen Parteipolitik geopfert", schimpfte Schleritzko. Die Belastung der WienerInnen sei "enorm und wird weiter steigen", kritisierte Sima. Beide forderten die Ministerin auf, das Lobauprojekt schleunigst umzusetzen.

Ist es angesichts des breiten Widerstands überhaupt realistisch, dass die Gesellschaft im großen Stil umdenkt, wie es die AktivistInnen fordern? Oder bleibt das ihr Wunsch ans Christkind? Es besteht zumindest Hoffnung. Ausgerechnet Sima und Schleritzko sind der beste Beweis dafür, dass Menschen ihre Einstellungen ändern können. Vor zwei Jahrzehnten arbeitete Sima noch als beherzte Aktivistin für die Umwelt-NGO Global 2000, Schleritzko war vor fünf Jahren noch Chef des Nationalparks Thayatal.

Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen Advent!

Bild von Benedikt Narodoslawsky
Ihr Benedikt Narodoslawsky
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Zum Nachdenken

Wäre die Entscheidung um den Lobautunnel auch so umstritten, wenn die Natur grundsätzlich eine juristische Person wäre – so wie eine Aktiengesellschaft? Könnte man die Klimakrise und das globale Artensterben dadurch einfacher in den Griff bekommen? Die Autorin Tanja Busse und der Soziologieprofessor Frank Adloff sagen Ja und fordern in einem Essay: "Es ist an der Zeit, die Rechte der Natur neu in die Diskussion zu bringen." Sie können den Text, der in den Blättern für deutsche und internationale Politik erschien, hier lesen. Vielleicht ist das der Beginn einer fruchtbaren Debatte.

Was bei uns noch nicht einmal diskutiert wird, ist jenseits des Atlantiks nämlich schon Realität. In Ecuador sind die Rechte der Natur in der Verfassung des Landes verankert. Am Mittwoch entschied nun das Höchstgericht die Pläne zum Abbau von Kupfer und Gold in einem geschützten Wald für verfassungswidrig, weil diese gegen die Rechte der Natur verstoßen. Es ging um ein Projekt in einem Schutzgebiet im Nordwesten des Landes, "in dem Brillenbären, gefährdete Frösche, Dutzende seltener Orchideenarten und der Braunkopfklammeraffe, einer der seltensten Primaten der Welt, leben", wie der Guardian berichtet. Den Bericht über das wegweisende Urteil lesen Sie hier.

Empfehlung

Noch einmal kurz zum Verkehr: Nachdem das Klimaticket ja schon seit einem Monat gilt, möchte ich Ihnen heute gerne eine spannende Initiative vorstellen, die Natur-Erlebnisse mit klimaschonender Mobilität verbindet. Der gemeinnützige Verein Bahn zum Berg wurde gegründet, um "die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Outdoor-Aktivitäten" zu fördern und liefert auf seiner Webseite Tourenbeschreibungen samt Fahrplänen und berücksichtigt dabei auch, wie lang die Touren dauern und ob die Sonne noch scheint, wenn man wieder heimfährt. Das Motto: Wandern ohne Planungsfrust und Parkplatzstress.

Warum ist das so besonders? "Der Besucher weiß normalerweise nichts von dem dahinterliegenden Aufwand, kann sich dadurch aber darauf verlassen, dass die für ihn angezeigte Tour sicher auch so funktioniert", erklärt Martin Heppner, Obmann des Vereins. Die Touren zum autofreien Wandererlebnis gibt's hier.

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Gute Nachricht

Der Wind fegte diese Woche mit vollem Karacho durch Wien. Das kann nerven, ist aber auch irgendwie gut: Am letzten Novembertag "konnten die heimischen Windräder mit knapp 50 GWh ein Viertel des Strombedarfs erzeugen", vermeldete die IG Windkraft.

Die Erneuerbaren wachsen schneller als je zuvor, und zwar weltweit. Trotz steigender Kosten der Materialien für Solar- und Windkraftanlagen. Das zeigt eine neue Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA). Grund dafür ist die Politik, die angesichts der Klimakrise die Erneuerbaren stärker forciert. Die schlechte Nachricht: Obwohl der Erneuerbaren-Ausbau an Fahrt aufgenommen hat, geht er laut IEA noch immer viel zu langsam, um die Welt bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu machen. In Österreich bremsen derzeit die Bundesländer den Ausbau der Erneuerbaren aus, wie der Dachverband Erneuerbare Energie hier kritisiert.

Aus dem Falter

Weihnachtszeit ist Naschzeit, glauben Sie mir, da bin ich Experte. Viele süße Kekserl und Lebkuchen haben leider einen bitteren Beigeschmack. Sie enthalten nämlich oft Palmöl, das den Regenwald in einem brutalen Ausmaß zerstört. "Ohnehin bedrohten Tierarten wie dem Orang-Utan, dem Sumatra-Tiger und dem Elefanten wird der Lebensraum weggerodet", schreibt Gerlinde Pölsler in ihrer großen Recherche, in der sie auch Alternativen zur Palmölschokolade aufzeigt. Wenn Sie wissen wollen, welche das sind, können Sie Pölslers tollen Text hier lesen.

Nicht nur im fernen Malaysia und Indonesien wird es eng für die Natur. Auch in Österreich schreitet das Artensterben voran. Laut dem Umweltbundesamt sind hierzulande etwa die Hälfte der rund 500 heimischen Biotop-Typen bedroht, mehr als die Hälfte aller Amphibien und Reptilien stark gefährdet. Knapp die Hälfte aller Fische und ein Drittel aller Säugetiere ebenso. Der wissenschaftliche Biodiversitätsrat hat bewertet, was die heimische Politik heuer gegen den Verlust der biologischen Vielfalt im Land getan hat. Die Analyse der WissenschaftlerInnen fällt ernüchternd aus. Meinen Bilanzbericht lesen Sie hier.

Wie wichtig die Natur ist, zeigt unser Tierkolumnist Peter Iwaniewicz seit Jahr und Tag. In der aktuellen Ausgabe beschreibt er, wie uns Lebewesen das Leben retten können, die viele Menschen gern tot sehen würden: Motten. Iwaniewiczs Motten-Hommage finden Sie hier.

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Einfach Schön

Wenn Sie noch auf der Suche nach einer Weihnachtsidee für irgendjemanden auf der Welt sind, dieses Jahr aber nicht schon wieder ein günstiges, lässiges, tolles Falter-Abo verschenken wollen, weil das heutzutage schon fast jeder macht, darf ich Sie auf unsere karitative "Hilfe, Geschenke!"-Aktion aufmerksam machen, um die sich meine überaus geschätzte Kollegin Birgit Wittstock gekümmert hat. Das Prinzip läuft so: Sie spenden fürs Integrationshaus und können im Gegenzug sehr tolle Sachen gewinnen - unter anderem nachhaltige Modeartikel und Recycling-Designware. Hier geht's zur "Hilfe, Geschenke!"-Aktion.

Falls Ihnen das zu riskant ist (nicht jeder gewinnt), können Sie ja auch ein Unternehmen aus Ihrer Region unterstützen und dort etwas bestellen. Hier gibt der Falter einen Überblick über Shops in Österreich, bei denen Sie während des Lockdowns online bestellen können – Sportartikel, Kinderspielzeug, Bücher und ähnliches.

Stichwort Bücher: Falter-Chefredakteur Florian Klenk hat eine AutorInnen-Autogramm-Aktion von Falter-RedakteurInnen ins Leben gerufen. Sie können im Advent folgende Bücher inklusive Signatur samt Widmungswunsch bestellen: Wildbadeplätze von Marion und Nathalie Großschädl, Hotel Paradiso von Matthias Dusini, Bauer und Bobo von Florian Klenk und mein Buch Inside Fridays for Future.

Apropos: Der liebe Friedel Hans hat die erste "Inside Fridays for Future"-Buchpräsentation der Welt aufgezeichnet, die kurz vorm Lockdown stattfand. Einige LeserInnen des Newsletters waren auch in der kleinen, feinen Runde dabei. An dieser Stelle ein Danke dafür, es hat mich sehr gefreut. Wenn Sie die Buchpräsentation nachschauen wollen, finden Sie sie hier.


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