⛰Vergangene Woche erschien ein Bericht namens "Air quality in Europe 2022", der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Die EU-Umweltagentur rechnete darin hoch, wie viele Menschen in der Europäischen Union im Corona-Jahr 2020 frühzeitig starben, weil die Luft zu dreckig war. Ergebnis: rund 238.000. Das sind mehr Menschen als in Linz leben.Um auf Probleme aufmerksam zu machen, sind Geschichten gemeinhin stärker...
FALTER.natur
Guten Tag,

Vergangene Woche erschien ein Bericht namens "Air quality in Europe 2022", der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Die EU-Umweltagentur rechnete darin hoch, wie viele Menschen in der Europäischen Union im Corona-Jahr 2020 frühzeitig starben, weil die Luft zu dreckig war. Ergebnis: rund 238.000. Das sind mehr Menschen als in Linz leben.

Um auf Probleme aufmerksam zu machen, sind Geschichten gemeinhin stärker als Zahlen. Deshalb möchte ich Sie heute auf eine Zeitreise mitnehmen, wir stellen die Uhr fast auf den Tag genau 70 Jahre zurück und springen zum 5. Dezember 1952. Während in den Alpen Männer Fellgewänder überwerfen und mit geschnitzten Krampusfratzen ausziehen, um böse Geister zu vertreiben, legt sich rund 1000 Kilometer nordwestlich langsam eine graue Nebelsuppe über London.

Der Tag war zuerst noch klar und kalt gewesen. Deshalb schaufeln die Londoner:innen mehr Kohle als sonst in ihre Öfen. Wenn wir von unserer Zeitmaschine nun auf die britische Hauptstadt hinunterblicken, sehen wir, wie aus den Rauchfängen der Häuser und den Schloten der Kohlekraftwerke immer dichterer Rauch aufsteigt. Langsam trübt sich London ein. Bald sieht man kaum noch einen Meter weit. Streckt man die Arme aus, erkennt man seine Hände nicht mehr. Der Verkehr kommt zum Erliegen. Die Luft schmeckt schmutzig. Spucke verfärbt sich schwarz. Der Tag wird zur Nacht.

Der Smog krallt sich fest und geht nicht mehr weg. Das liegt an der sogenannten Inversionswetterlage: Am Boden ist die Luft kalt, weiter oben ist sie wärmer. Die beiden Schichten vermischten sich nicht. Je dichter der Nebel, desto weniger Sonne kommt durch. Unten bleibt es also kalt und die Londoner:innen legen noch mehr Kohle nach. Mehr Kohle, mehr Abgase, mehr Smog. Die Schadstoffe können aufgrund der Inversionswetterlage nicht abziehen. Und es bleibt windstill: Kein Lüftchen, das die Nebelsuppe vertreibt.

Wer in diesen Tagen draußen unterwegs ist, kommt mit schmutzigem Gewand heim. Aber auch in den Häusern sind die Menschen nicht mehr sicher. Der gelb-graue Nebel dringt in die Wohnungen ein, Staub legt sich auf Möbel und Bilder. Im Wembley-Stadion wird erstmals in der Geschichte ein Match abgeblasen, das Theater Sadler's Wells sagt die Oper La Traviata nach dem ersten Akt ab, weil die Besucher:innen nicht mehr erkennen können, was auf der Bühne passiert. Kinos erklären dem Publikum, dass "die Sicht auf die Leinwand nicht über die vierte Reihe hinausgeht". Auf einer Agrarshow sterben Rinder. Und bald auch schon die ersten Menschen.

In fünf Tagen rafft die Luftverschmutzung 4.000 Menschen dahin, 8.000 weitere sterben laut Schätzungen in den kommenden Monaten an den Folgen. Unter dem Begriff "The Great Smog" geht das Drama in die Geschichte der größten menschengemachten Umweltkatastrophen Europas ein. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, empfehle ich Ihnen diesen Podcast, dieses Video und diese beiden Artikel hier und hier.

So schlimm die Tragödie war, am Ende schien wieder die Sonne. Die Öffentlichkeit hatte nach dem Massensterben Druck auf die Politik gemacht, 1956 erließ das britische Parlament als Antwort darauf den Clean Air Acteinen Meilenstein im Umweltschutz. Mit diesem Maßnahmenbündel verboten die Politiker:innen unter anderem den Ausstoß von Ruß in belasteten Gebieten und zwangen die Bewohner:innen Londons dazu, Heizungen auf rauchfreie Brennstoffe umzustellen.

Heute atmen wir in Europa deutlich bessere Luft als vor 70 Jahren. Dennoch bleibt die Luftverschmutzung eines der größten Gesundheits- und Umweltprobleme. Das gilt für Österreich wie für die ganze Welt. Im Vorjahr senkte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Richtwerte für Luftschadstoffe ab, weil mittlerweile klar ist, dass uns auch schon geringere Belastungen krank machen können.

Vor einem Monat schlug die EU-Kommission strengere Vorschriften für Luftschadstoffe vor. "Je länger wir den Kampf gegen die Umweltverschmutzung aufschieben, desto höher sind die Kosten für die Gesellschaft", sagte EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans. Ob die Kommission ihren Plan umsetzen kann, ist ungewiss. Lobbyverbände wie die Wirtschaftskammer arbeiten gerade daran, den Vorstoß abzuschwächen. Die Zivilgesellschaft macht indes Druck für mehr Tempo bei der Luftreinhaltung (auch in Österreich).

Wie das politische Match ausgeht, hat nicht nur, aber vor allem für Europas Städte riesige Auswirkungen. Selbst im Corona-Jahr 2020 waren laut dem Bericht der EU-Umweltagentur 96 Prozent aller Stadtbewohner:innen in der Europäischen Union Feinstaubbelastungen ausgesetzt, die höher liegen als die Richtwerte der WHO.

Kommen Sie gut ins Wochenende!

Bild von Benedikt Narodoslawsky
Ihr Benedikt Narodoslawsky
Anzeige
Anzeigenbild

Urlaub im schönsten Tal Tirols?

Wer variantenreiche Pisten, urige Hütten & authentische Dörfer liebt, sollte das Alpbachtal kennen. Dieses Kleinod im Herzen Tirols ist ein absoluter Geheimtipp für naturliebhabende Familien & Genussurlauber. Dank optimaler Lage erreichen Sie das Alpbachtal bequem mit der Bahn! Die Alpbachtal Card ist gleichzeitig Ihr Fahrschein für Regiobus und Skibus.

Fragen der Woche

Wenn Fledermäuse kopfüber hängen und ruhen, aber dann doch mal aufs Klo müssen, wie schaffen sie es dann, sich nicht ins Gesicht zu pinkeln? Die Antwort finden Sie in den Videos hier, hier und hier.

Und falls Sie gern in den Nationalparks im Südwesten der USA umherwandern und sich schon immer mal gefragt haben, ob es klug wäre, Colorado-Kröten abzulecken, darf ich Ihnen die Botschaft des amerikanischen National Park Service übermitteln: Bitte tun Sie es nicht! Das Sekret der Kröte kann Sie zwar berauschen, aber es kann Sie auch krank machen und töten. Vor allem aber finden es die bedrohten Amphibien eklig und gar nicht lustig.

Anzeige
Anzeigenbild
JO Salzburg Chris Perkles

Mit dem Zug in den Winterurlaub nach St. Johann in Salzburg. Einfach, bequem und klimafreundlich direkt ins Skigebiet Snow Space Salzburg. 5 Täler, 12 Gipfel und 210 Pistenkilometer warten. Und das Beste – das Skigebiet ist bis 2025 klimaneutral. So geht entspannter Winterurlaub.

Greenwashing

Lustig war hingegen der Gesichtsausdruck des ehemaligen Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl (ÖVP) bei der Energy-Globe-Award-Verleihung. Erst richtete er den jungen Klimaaktivist:innen in seiner Ansprache aus, sie sollten aufhören zu protestieren und lieber in der Wirtschaft anpacken. Dann kaperten die Klimaaktivist:innen und ein ausgezeichneter Unternehmer die Bühne und protestierten – selbst Leitl konnte die Situation nicht mehr weglächeln.

Erst wenige Tage zuvor hatten Klimaschützer:innen gegen die erste "Klimakonferenz der Wirtschaftskammer" demonstriert und sie als Greenwashing-Event kritisiert. Unter Klimapolitik hat die Wirtschaftskammer in den vergangenen Monaten ja gemeinhin verstanden, die CO2-Bepreisung und das Erneuerbaren Wärmegesetz zu sabotieren, das Klimaschutzgesetz zu verhindern und das Dieselprivileg zu verteidigen.

Apropos Greenwashing: Der gemeinnützige Verein foodwatch hat recherchiert, wie Lebensmittelkonzerne mit Werbung fürs Klima ein zweifelhaftes Geschäft machen. Selbst auf Fleischprodukten prangt das Label "klimapositiv". Wie das geht?

"Um Produkte als klimaneutral zu labeln, kaufen die Hersteller über Siegel-Anbieter CO2-Gutschriften aus vermeintlichen Klimaschutzprojekten", erklärt foodwatch. Dabei sei der Nutzen der angeblichen Klimaschutzprojekte oft fraglich. Die foodwatch-Recherche zeigt auf, "dass selbst zertifizierte Projekte eklatante Mängel aufweisen." Den Bericht finden Sie hier.

Anzeige
Anzeigenbild

Winterpoesie von Mario Pitscheider, Krampusmaskenschnitzer in Wagrain-Kleinarl

„Song ma moi a so: I probier ois Mensch lieblich z’sei und probier ah mei Oabeit lieblich z’mochn. Oba im Prinzip moch i hoid do wos Böses.

Des wos do jetz’ is, is jo eigentlich des wos mia so daug, wei oafoch ois zompasst.

Des is so irgendwo in an Loch d’rei. A schöne Gegend, gibs koa schenane.“

Aus dem Falter

Vergangene Woche forderte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ein Verbot für die Vernichtung von Neuwaren. Jährlich landen schließlich Tonnen an retournierten Packerln im Müll, unter anderem auch deshalb, weil die Lagerkosten teurer als die Entsorgung sind. Gerlinde Pölsler hat sich auf Recherche begeben und herausgefunden, wie groß das Problem tatsächlich ist. Ihren aufrüttelnden Text über den ökologischen Wahnsinn im Versandhandel lesen Sie hier.

Peter Iwaniewicz schreibt in seiner Tier-Kolumne wiederum über die Klimaaktivist:innen, die sich auf die Straße kleben und damit Staus verursachen und zieht den Vergleich zu Eseln, die in Stresssituationen stehen bleiben – und damit bestens ans felsige Gebirge angepasst sind, wo zu schnelle Schritte in den Abgrund führen können. "Wir brauchen mehr solche Esel, die nicht wie die 68er-Generation 'Revolution' rufen, sondern 'Transformation' fordern", schreibt Iwaniewicz.

Im FALTER.maily argumentiert Florian Klenk wiederum, warum die Aktionen der Letzten Generation dem Klimaschutz schaden. Und ich argumentiere hier, warum ich glaube, dass Klenk irrt.

Keine Fans der Kunst-Attacken der Letzten Generation sind jedenfalls Otto Hans Ressler und Oliver Ressler. Der eine ist Auktionist, der andere Aktionist fürs Klima. Nicole Scheyerer hat das Vater-Sohn-Duo im Feuilleton porträtiert und ist der Frage nachgegangen, was Aufstände gegen ökologische Krisen bringen.

Anzeige
Anzeigenbild

Das Tier in Dir im mumok

Die Ausstellung nutzt die populäre Anziehungskraft von Tieren, um über die Natur von Sex, Hunger und Zuneigung nachzudenken sowie über Familien- und Geschlechterbeziehungen, Sozialisation und Domestizierung.

Wer nimmt wen an die Kandare? Wer stutzt wem die Flügel? Wer krault wem den Bauch?

Kulturtipps

Klima und Kultur ist ja ein deutlich breiteres Thema als Farbattacken auf Kunstwerke hinter Schutzglas. Die IG Kultur setzte sich heuer intensiv mit der Klimakrise auseinander und stellt sich unter anderem die provokante Frage, ob der Klimaschutz selbst schon ins Museum gehört. Das Magazin der IG Kultur finden Sie hier.

Die Jugend-Umwelt-Plattform (JUMP) hat wiederum junge Menschen aus Ecuador, Kolumbien, Irland und Österreich zur digitalen Fotoausstellung zusammengetrommelt, um mit Fotos das Thema "Klimagerechtigkeit" aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Die Ausstellung "Pic climate justice!" können Sie virtuell und kostenlos hier begehen.

Das gute Leben

Wenn Sie sich für Lösungen interessieren: 80 Wissenschaftler:innen des Austrian Panel on Climate Change (APCC) ergründeten in einer dicken Studie, wie ein klimafreundliches Leben für alle möglich sein kann. Ihre Kernbotschaft lautet: Wir müssen für ein klimafreundliches Leben die Strukturen ändern. Gefragt ist also die Klimapolitik. "Die vorherrschenden Appelle an das verantwortungsbewusste individuelle Verhalten Einzelner und Aufrufe zu nachhaltigem Konsum werden in ihren Wirkungen überschätzt", erklären die Wissenschaftler:innen.

Der Rolle der Medien haben die Forscher:innen übrigens ein eigenes Kapitel gewidmet. Folgende Passage hat mein Herz höher schlagen lassen: "Trotz noch nicht vorhandener Forschung zum Thema ist es unserer Einschätzung nach wahrscheinlich, dass progressive Medienhäuser wie DerStandard und der FALTER als tendenziell fördernde Akteur_innen für den Diskurs zu einer klimafreundlichen Lebensweise in Österreich wirken, zum einen durch spezialisierte Aussendungen wie der Klimaklartext-Newsletter von DerStandard bzw. dem FALTER.natur-Newsletter, zum anderen durch die Einführung spezialisierter Ressorts wie das kürzlich gegründete Ressort für Natur im Falter."

Wenn Sie das mit einem Abo belohnen wollen, klicken Sie bitte hier. Weil wir aber nicht nur im eigenen Saft schmoren wollen, abschließend noch eine Werbeeinschaltung für die ausgezeichneten Kolleg:innen vom Datum, Standard, FM4 und Puls4, die diese Woche mit dem österreichischen Umweltjournalismuspreis ausgezeichnet wurden. Auch sie zählen – neben anderen tollen Medien-Initiativen – zu den "tendenziell fördernden Akteur_innen für den Diskurs". Herzliche Gratulation zum verdienten Erfolg!

Anzeige
Anzeigenbild

Geschichten, Spaß und Motivation

Erhalten Sie jeden Tag eine kurze, humorvolle Lektion per Mail. Spannende Geschichten mit viel Humor und Kultur warten auf Sie. Der Inhalt wird persönlich für Sie zusammengestellt. Damit Sie nur lernen, was Sie wirklich brauchen. Sichern Sie sich jetzt 1 Monat gratis unserer hochwertigen Online-Sprachkurse - ohne automatische Verlängerung.

In eigener Sache

Es ist jetzt ein bisschen peinlich, dass die Jubelmeldungen fürs Jahr 2022 zeitlich ausgerechnet in einem einzigen Newsletter zusammenkommen, ich hoffe, Sie verzeihen mir das. Jedenfalls: Am Mittwoch zeichnete das Nachhaltigkeitsmagazin Business Art gemeinsam mit dem CSR Circle die "Nachhaltigen Gestalter:innen" des Jahres 2022 aus.

Ich darf mich neben anderen jetzt auch mit diesem Ehrentitel schmücken, weil mich jemand für den "wöchentlichen Newsletter zu den Themen Nachhaltigkeit, Umwelt, Natur und Landwirtschaft" nominiert hat und auch die Jury den Newsletter auszeichnungswürdig fand. Für die Person unter Ihnen, die das Projekt als auszeichnungswürdig eingereicht hat, möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken!

Nach dem deutschsprachigen K3-Preis für Klimakommunikation freuen wir uns damit über die zweite Auszeichnung für das Projekt FALTER.natur seit der Gründung im März 2021 (Hintergründe zur Projektgründung gibt's im aktuellen Business-Art-Interview) . Die größte Anerkennung für meine Kolleg:innen und mich ist aber Ihr Feedback, das Sie uns Woche für Woche geben. Wenn Sie uns weiterempfehlen oder bewerten wollen, finden Sie unterhalb von diesem Text die Möglichkeit dazu. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und uns dazu animieren, besser zu werden!


Wie fanden Sie diese Ausgabe?
Nur durch Ihr Feedback können wir unseren Newsletter verbessern.

Sehr gut | Gut | Weniger gut | Schlecht

FALTER.natur Logo
Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: falter.at/abo
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren.
Unser FALTER.natur-Archiv finden Sie auf falter.at/natur.
Sie wollen in unserem Newsletter Werbung schalten? Alle Informationen finden Sie hier.
Teilen via FacebookTeilen via TwitterTeilen via E-MailTeilen via WhatsApp
Sie sind bei unserem Newsletter mit folgender E-Mail-Adresse eingetragen:

Profil ändern

Wenn Sie diesen Newsletter nicht mehr erhalten wollen, können Sie ihn hier abbestellen oder sich von allen abonnierten Newslettern abmelden.

Medieninhaber: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H., Marc-Aurel-Str. 9, 1011 Wien
FB: 123082d HG Wien, DVR: 0476986
Impressum/Offenlegung
Datenschutz