Die Klimaprotest-Falle

Florian Klenk
Versendet am 29.11.2022

Seit einigen Wochen beherrscht auch bei uns der Aktivismus radikaler Klimaschützer die Schlagzeilen. Mitglieder der "Last Generation" beschütten (durch Glas gesicherte) Gemälde mit Suppe, Püree oder Farbe, sie blockieren den Morgenverkehr oder besetzen die Zufahrten von Flughäfen.

Während konservative Kräfte - vor allem in Deutschland - nach Haft und harten Strafen gegen die "Terroristen" rufen (und eine reaktionäre Straflust entwickeln), bemühen die Befürworter der Aktionen Vergleiche mit Mahatma Ghandi oder Martin Luther King.

Ziviler Widerstand sei nie angenehm, sagen sie, aber eben notwendig für die gute Sache. Man schaue nur, wie oft nun über "das Klimathema" in den Medien berichtet werde. Die radikalen Proteste würden den Diskurs zudem in die richtige Richtung verschieben. Weil der Protest an den Rändern immer radikaler werde, würden jene, die gestern noch als radikal gelten, heute als moderate Stimmen wahrgenommen ("radical flank effect").

Aber stimmt das denn auch? Einen sehr spannenden Überblick der Forschungslage bietet der Klimaaktivist und Soziologe Sven Hillenkamp in diesem Text für die 'Zeit'. Er fürchtet, die Hoffnung auf den Flankeneffekt sei "empirisch unbegründet".

Gerade eine Szene, die so sehr darauf drängt, den Erkenntnissen der Wissenschaft zu folgen, sollte nun genau zuhören, was der Klimabewegung nahe stehende Forscher:innen am 'Penn Center for Science, Sustainabilty and the Media' an der Uni in Pennsylvania herausgefunden haben. Hier ist das Ergebnis. Die Experten befragten rund 1000 Menschen, welche Auswirkungen die Schüttaktionen und Blockaden auf die Bevölkerung haben.

Das Ergebnis: 46 Prozent der Befragten gaben an, dass die Protestaktionen ihre Unterstützung für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels senken. 27 Prozent meinten, dass sie in ihrer Unterstützung "sehr massiv" demobilisiert werden. Bei 40 Prozent haben die Protestaktionen keinen Effekt. Nur 13 Prozent werden mobilisiert. Was auch überrascht: Nicht nur die alten Boomer wenden sich ab, sondern auch die junge Generation. Nicht nur rechte Republikaner wollen vom Klimathema immer weniger hören, sondern auch linke Demokraten.

Einer der Studienautoren, der Klimaforscher Michael E. Mann, deutet das Ergebnis in dieser Analyse so: Die Proteste richten sich nicht gegen jene, die für die Umweltzerstörung und Erderhitzung verantwortlich sind, sondern verwirren und verunsichern selbst Sympathisanten. Die Bevölkerung, verunsichert und genervt, wendet sich nicht nur von den Klimaschützern ab, sondern auch von ihrer so lebenswichtigen Agenda.

Politische Entscheidungen werden ja, wie wir seit Trump und Brexit wissen, nicht nur mit dem Hirn, sondern vor allem auch mit dem Bauch getroffen. Und der Bauch der Bevölkerung verknüpft das wichtige Thema auf einmal mit dem nervigen Protest. Es gibt einen Begriff dafür: "politics of emotion".

Professor Michael E. Mann, der sein wissenschaftliches Leben dem Klimaschutz widmet und am dritten Sachstandsbericht des "Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen" (IPCC) der UNO mitgearbeitet hat, rät der radikalen Protestbewegung daher zu einem radikalen Umdenken.

Ziviler Widerstand solle sich gegen jene Institutionen und Personen richten, die für die Erderhitzung verantwortlich sind. Einfach nur mit schockierenden Fotos und Schlagzeilen zu provozieren (oder sich wie kürzlich geschehen in der Elbphilharmonie lächerlich zu machen), sei zwar medienwirksam, aber langfristig ein PR-Desaster, das der guten Sache schade.

Auch Klimaaktivist Hillenkamp mahnt, den Aktivisten "sollte es nicht gleichgültig sein, wenn die Klimabewegung an Ansehen verliert". Sie sei schließlich "neben der Wissenschaft, der wichtigste Bote, der wichtigste Kommunikator der Katastrophe. (...)". Und man wisse aus der Kommunikationsforschung: "Wenn der Bote mir unsympathisch ist, kann er die besten Argumente vorbringen, ich werde sie nicht hören."

Ihr Florian Klenk


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