Mit dem 4. Lockdown kommt auch die Arbeitslosigkeit nach Österreich zurück. Zwar wird die Möglichkeit, Mitarbeiter in staatlich unterstützte Kurzarbeit zu schicken, von vielen Unternehmen genützt. Aber schon vor dem Lockdown waren fast 280.000 Menschen ohne Job, ein Viertel davon Langzeitarbeitslose. Sie suchen seit einem Jahr oder länger erfolglos Arbeit.
Wer arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist und zuvor für einen gewissen Zeitraum angemeldet gearbeitet hat, erhält Arbeitslosengeld. Mit 55 Prozent des früheren Nettolohnes ist das, was Arbeitslose in Österreich erhalten, vergleichsweise niedrig. Der OECD-Mittelwert liegt bei etwa 70 Prozent. Arbeitslosigkeit trifft Frauen finanziell meist härter als Männer. Im Durchschnitt (2018) haben sie 870 Euro im Monat zur Verfügung, während Männer auf 1.040 Euro kommen.
Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) möchte das Arbeitslosengeld „reformieren“, möchte es degressiv gestalten: Das Arbeitslosengeld würde anfangs erhöht werden und dafür nach wenigen Monaten in Etappen sinken. Die Wirtschaftskammer und der Wirtschaftsbund der ÖVP unterstützen diesen Vorschlag, die Wirtschaftsvertreter der ÖVP fordern sogar ein Absinken der Nettoersatzrate auf nurmehr 40 Prozent.
Aber nicht allen Expertinnen und Experten gefällt, was ÖVP und Wirtschaft gerne hätten. "Das im internationalen Vergleich ohnehin sehr niedrige Arbeitslosengeld führt schon jetzt dazu, dass in Österreich neun von zehn Arbeitslose unter der Armutsgrenze leben", sagt der Politikwissenschaftler und Sozialstaatsexperte Emmerich Tálos von der Universität Wien. Ein Stufenmodell mit sinkender Arbeitslosenunterstützung würde insbesondere Langzeitarbeitslose massiv treffen.
Talos unterstützt deshalb gemeinsam mit vielen anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Initiative www.arbeitslosengeld-rauf.at. Diese fordert die langfristige Anhebung des Arbeitlosengeldes auf 70 Prozent. Das Volksbegehren für eine bessere finanzielle Absicherung von Menschen ohne Arbeit wurde im Juni 2021 gestartet. Derzeit sammelt die Initiative Unterstützungserklärungen. Abgeschlossen wird dieses voraussichtlich im Frühjahr 2022.
Aber kann sich Österreich in der Krise auch noch ein um 15 Prozent höheres Arbeitslosengeld leisten? "Bei etwa 400.000 Arbeitssuchenden würde eine derartige Erhöhung laut Berechnungen des Momentum Instituts knapp über eine Milliarde Euro kosten", sagt Tálos. Das klinge zwar nach sehr viel, wenn man aber bedenke wie viel staatliche Förderung derzeit in die Wirtschaft fließt, sei diese Milliarde vergleichsweise wenig.
Und von einer solchen Erhöhung würde auch die Wirtschaft profitieren, meint Talos: "Weil Arbeitslose ihr Geld meist nicht sparen können, sondern sofort wieder ausgeben müssen, würde ein höheres Arbeitslosengeld die Wirtschaft ankurbeln und mithelfen, dass Österreich aus dieser Krise herausfindet."