✍Wenn Super Mario, Frodo und ein Ghostbuster Schlange stehen, sollte man dem auf den Grund gehen. Die Suche nach dem Ursprung führt mich vorbei an Legobauern, Brettspielern und Stars-Wars-Sturmtrupplern, die Schlange windet sich unerschöpflich um bunte Stände und dunkle Gesellen, und wandelt die eigene Gestalt zu Pokémon, Prinzessinnen und Power Rangers. Es sind hundert Meter, bis sich endlich der Grund ihres Auflaufs...
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Guten Abend Susanne Brezina!
Zwei Menschen in Verkleidung vor der Messe Wien
Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind: Zwei Cosplayer vor der Wiener Messe bei der Comic Con 2018 (Foto: Davidbitzan/DB photoat/ CC-BY-SA-4.0)

Wenn Super Mario, Frodo und ein Ghostbuster Schlange stehen, sollte man dem auf den Grund gehen. Die Suche nach dem Ursprung führt mich vorbei an Legobauern, Brettspielern und Stars-Wars-Sturmtrupplern, die Schlange windet sich unerschöpflich um bunte Stände und dunkle Gesellen, und wandelt die eigene Gestalt zu Pokémon, Prinzessinnen und Power Rangers. Es sind hundert Meter, bis sich endlich der Grund ihres Auflaufs offenbart.

Der 71-jährige Schauspieler Jonathan Frakes betritt die Bühne, und weil der um meine Geburt herum das Raumschiff Enterprise kommandierte, erheben sich hunderte Gewandete zum Applaus. 29 Jahre nach dem Serienende spreizt Frakes immer noch die Finger zu "Live Long and Prosper" und führt minutenlang vor, wie er sich damals als William T. Riker immer hingesetzt hat. Sein Autogramm kostet 66 Euro, ein Foto mit ihm 100 Euro.

Die Wiener Messehallen haben gestern und heute unseren Orbit verlassen. Die Vienna Comic Con ist mit über 500 Ausstellern und über 35.000 Besuchern das Hochamt der österreichischen Trickfilm-, Fantasy-, Cosplay-, Science-Fiction-, Anime- und Rollenspiel-Gemeinden. 42 Euro pro Tag kostet das Treffen jener, die sonst viel daheim sind.

Es ist ein schellendes Gewurl aller Alterskohorten und Alternativgalaxien, ein Reizjahrhunderthochwasser: auch weil zwei Drittel der Gäste verkleidet sind, ein Drittel höchst aufwendig. Cosplay heißt die Fanpraxis, sich Kostüme aus Comicheften, Serien, Filmen, Videospielen oder sonstwas nachzuschustern. Der Wiener Maskenball hat viele Gesichter. Wie verwurzelt die Szene schon ist, zeigt der Hobbybedarfs-Messestand vom "Nähcenter Engelwolf Norbert" aus Fünfhaus.

Bei der Comic Con kann jeder sein, was und wie er will. Diese Popkultur spricht auch Menschen an, bei denen sonst nicht unbedingt die Hexe los ist, die im Alltag vielleicht selten heldenhafte Abenteuer verleben und die wegen ihrer Nischeninteressen anderswo als Sonderlinge galten. Hier aber feiern sie in Kostümen Triumphe.

Und das hat seinen Preis. Die zweite Messehalle ist ein einziger Fabelkirtag von Fanartikel-Großhändlern und Fantasy-Handwerkern. Da gibt es Anime-Matten, so groß wie Bettvorleger, aber gedacht für die Computermaus (30 Euro), wiederverwendbare Met-Adventskalender mit 24 Honigweinvariationen (89,50 Euro), eine handbemalte 26,5-Kilo-Lichtkönigstatue aus dem Computerspiel World of Warcraft (1499 Euro) und Dienste von Klingonisch-Traurednern (Preis nach Vereinbarung). Fürs leibliche Wohl ist gesorgt: 55 Euro kosten längliche, mit lasziven Animekörpern bedruckte Kuschelkissen.

Für die Fantasieindustrie ist das nur ein Halt auf ihrer endlosen Tournee. Der Puzzle-Verkäufer kommt aus Polen, die Damen mit den getrockneten Früchten aus Paris, die Tintenmalerin aus Japan, Steven und Rossana sind mit zwei Koffern selbstgemachter Star-Wars-Schlüsselanhänger und besetzter BHs vom Eriesee in Ohio angereist – da haben sie gleich die "Comics & Games"-Messe im italienischen Lucca mitgenommen.

Nicht nur die homoerotischen Zeichnungen einer nonbinären Deutschen Person offenbaren Tangenten zur Queercommunity. Auf der "Drag Queen Stage" moderiert Tamara Mascara stundenlang Catwalk-Duelle und Make-up-Workshops. Beim Satz "James Sullivan schreibt Casual Queerness, weil sein Radikalisierungsfaktor anderen Marginalisierungsachsen gilt" auf einem Panel mit Science-Fiction-Autorinnen musste ich leider weg.

Fantasy braucht schließlich auch Klarheit und Ordnung. Die Lego Gemeinschaft Österreich erzieht: "Bitte nicht berühren – Die ausgestellten LEGO® Modelle sind Privateigentum des jeweiligen Erbauers". Und das ganze Cosplay ist ja kein Akt genialer Schöpfung, sondern der akribisch-originalgetreue Nachbau von Märchenmonturen.

Wer zum Beispiel beim Österreich-Garnison des Star-Wars-Kostümklubs 501st Legion mitmachen will, muss sich erst mit dem trilogie-dicken Kostümspezifikationen-Katalog vertraut machen und sein Outfit vom internen Rat akkreditieren lassen. Einer der 86 Aktiven in Österreich spitzt für nächstes Jahr auf eine Sith-Rüstung, die kostet aber aus dem ungarischen 3D-Drucker 1200 Euro, aus tiefgezogenem US-Kunststoff 3800 Euro. Viel Zeit darf er sich nicht lassen: Wer zwei Jahre bei keiner solchen Veranstaltung am Stand steht, verliert seine Legionszulassung.

Als es draußen schon dunkel wird, fallen die ersten Masken. Wenn der alternde Sturmtruppler sich die Auswirkungen des Ganzkörperpanzers auf sein Kreuz eingestehen muss und die Prinzessin für einen Tag mit Comic-High Heels doch nicht mehr so elegant zu schreiten vermag.

Als ich vom ganzen Weltenwandeln schon Drehschwindel habe, sehe ich noch einen kleinen Ninja Turtle mit Eistee in der einen und seinem Vater in der anderen Hand. Der ist aus Solidarität (und mutmaßlich, weil er sonst nichts Anlassadäquates kannte) als einer von der Rockband KISS gekommen. We're Creatures Of The Night!

Bild von Lukas Matzinger
Ihr Lukas Matzinger

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Musik aus fernen Welten

Über Nischeninteresse brauche ich nicht zu reden – ich meine, wer kippt sonst auf philippinischen Shoegaze hinein? Shoegaze ist eine Rockmusikrichtung mit verträumten Gesängen, verzerrten Gitarren und langsamen, ätherischen Akkorden. Die Philippinen sind unverschämt schöne Pazifikinseln. Und so klingt das zusammen.


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Der wohl schönste Satz aus dem aktuellen FALTER lautet: "Naschen ist Kuscheln im Mund!" Er stammt von Gabriele Kornherr, ihres Zeichens Co-Besitzerin des Wiener Zuckerlgeschäftes "Zum süßen Eck". Kommenden Sommer gehen Kornherr und ihr Ehemann in Pension. Jetzt suchen sie Nachfolger, die das Zuckerlgeschäft 110 Jahre nach seiner Gründung weiterführen wollen. Wolfgang Machreich hat die beiden in ihrem süßen Reich besucht.


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