2011 bekam er den Concordia-Preis für Pressefreiheit, in den Jahren 2011, 2013, 2018 und 2020 wurde er Journalist des Jahres in der Kategorie Außenpolitik. 2018 kam der Axel-Corti-Preis, 2023 erhielt er das Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich. Langer Liste kurzer Sinn: Karim El-Gawhary ist einer der meist- und höchstausgezeichneten Fernsehjournalisten in Österreich.
Das ist auch kein Wunder. Mit großem Einsatz hat der Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters es offensichtlich richtig gut hingekriegt, den Nahen Osten in deutsche und österreichische Wohnzimmer zu bringen. Er hat seit 2004 aus Kairo für den ORF über den arabischen Nahen Osten berichtet. Der 63-jährige Journalist war auch auf sozialen Medien emsig tätig. Die Leute mochten das.
Und sie mochten es nicht. Manche empört seine Berichterstattung. Er sei zu israelkritisch, zu emotional. Vor allem seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas Israel überfiel und Israel einen Krieg gegen die Hamas begann, der den Gazastreifen in Schutt und Asche legte, liegen die Nerven blank.
Jetzt heißt es, dass der ORF den Vertrag von El-Gawhary mit Mitte 2026 auslaufen lässt. Offiziell ist das noch nicht. Statt dem Kairoer Büro könnte eines in Amman eröffnet werden, als Korrespondent dort ist Paul Huemer im Gespräch. Das ORF-Büro in Tel Aviv bleibt unbestritten. Im ORF heißt es etwas widersprüchlich und etwas vage, es müsse Einsparungen geben.
Hinter den Kulissen aber rumort es. Vor der Absetzung El-Gawharys häuften sich Vorwürfe gegen ihn. Worum geht es dabei?
In einer ZIB2-Sondersendung im November 2023 erklärte der ORF-Korrespondent: „Es gibt im Arabischen kein Wort für Antisemitismus, das wäre auch merkwürdig, die Araber sind ja selbst Semiten.“ Ganz korrekt ist das nicht: Tatsächlich gibt es im Arabischen zwar einen Begriff für Antisemitismus, dieser ist aus oben genanntem Grund aber nicht so gebräuchlich.
Die jüdischen österreichischen Hochschüler·innen JöH reagierten allerdings empört: „Unfassbar. Karim El-Gawhary verbreitet im ORF bekannte Narrative, die Antisemitismus leugnen.“
Das hatte er aber nicht. Im selben Gespräch mit Nadja Bernhard sagte er: „Es gab in der arabischen Geschichte immer wieder Probleme zwischen Muslimen, Juden und Christen, es gab Pogrome, aber es gab nicht annähernd etwas wie den Holocaust, der wurde von Deutschen und Österreichern verübt.“ Er ordnete ein, dass die Experten für industrialisierten Judenhass historisch gesehen nicht im Nahen Osten, sondern in Zentraleuropa zu finden waren.
Ein anderer Vorwurf gegen ihn: Im Zuge einer Reportage aus dem Südlibanon hatte El-Gawhary vor einem Hisbollah-Poster einen Aufsager für den ORF gemacht. Das Schild war auf Arabisch, der Korrespondent ging darauf nicht ein. Irgendjemand übersetzte es dann auf der digitalen Hassschleuder X, dem ehemaligen Kurznachrichtendienst Twitter. Dort stand: „Israel ist absolut böse und es ist verboten und verräterisch, mit ihm zu verkehren“. Sofort brach eine Welle der Empörung über den Journalisten herein. Er habe sich absichtlich vor das Plakat gestellt, um antiisraelische Propaganda zu verbreiten.
Kann jemand so etwas ernsthaft glauben? Der Reporter hatte sich vor dieses Plakat gestellt, um zu zeigen, wo er war: im von der Hisbollah kontrollierten Gebiet im Südlibanon. Dass er überhaupt dort hinkam, war verdienstvoll. Eine Woche nach dem 7. Oktober 2023 konnte er für den ORF erzählen, welche Spannungen im Grenzgebiet zu Israel im Norden herrschte. Nichts aber ist seinem Weltbild ferner, als islamistischen Fundamentalisten das Wort zu reden.
Aus dem Nahen Osten zu berichten bedeutet, sich in einem Minenfeld zu bewegen. Nicht nur buchstäblich, auch inhaltlich. Sophie von der Tann, ARD-Korrespondentin in Tel Aviv, ist ebenfalls gerade ins ideologische Kreuzfeuer geraten, weil sie mit klaren Worten die israelische Regierung für ihr Vorgehen im Gazastreifen und im Westjordanland kritisiert. Aber: Keine Journalistin könnte heute aus Tel Aviv berichten, ohne diese Regierungspolitik kritisch zu beleuchten. Alles andere wäre Verrat an unseren journalistischen Grundsätzen, die Wahrheit zu berichten.
Wie oft habe ich schon gehört, der ORF oder die BBC berichte anti-israelisch. Oder anti-arabisch. Jetzt also auch noch die ARD. Selbst wenn faktisch alles an einem Bericht in Ordnung ist, kommt es eben oft auf die eigene Perspektive an, ob jemand die Gewichtung für richtig oder falsch hält. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind im Zeitalter der aufgepeitschten Empörung auf sozialen Medien noch wichtiger geworden. Ein schwieriger Spagat: Sie müssen sich um ausgewogene Berichterstattung bemühen und gleichzeitig für Klicks sorgen, um relevant zu bleiben.
Ich berichte selbst seit über drei Jahrzehnten immer wieder aus dem Nahen Osten. Ich bin Kritik an meiner Arbeit seit langem gewöhnt. Und ich nehme sie jedes Mal sehr ernst. Angesichts der letalen Gefahr, der Israeli·innen und Palästinenser·innen permanent ausgesetzt sind, kommt uns Medienleuten eine große Verantwortung zu. Neben faktenbasierter Arbeit gilt: Einseitigkeit ist falsch, Empathie für die Betroffenen beider Seiten angebracht.
Auch Karim El-Gawhary nimmt diese Verantwortung ernst. Ich habe ihn für den Falter einige Male zu diesem Thema interviewt, und dabei war aus jedem seiner Worte zu spüren, wie sehr ihn die Kritik an seiner Arbeit beschäftigt. Und auch verletzt.
Er will sich zu seiner offiziell nicht bestätigten Absetzung als Nahost-Korrespondent derzeit nicht öffentlich äußern. Der ORF sollte sich dagegen wehren, sich die Stimme dieses empathischen Erklärers des arabischen Nahen Ostens nehmen zu lassen.
Findet zumindest Ihre