✍Wenn Weltkrieg ist: Kann es sein, dass wir das gar nicht realisieren, obwohl wir bereits mittendrin sind? Der israelische Historiker Yuval Harari meint: Ja, beides – sowohl der Weltkrieg als auch unsere Unwissenheit darüber. In der Nacht auf heute, Sonntag, sind die Vereinigten Staaten aktiv in den Krieg eingetreten, den Israel seit vergangener Woche gegen den Iran führt. Die U.S. Air Force warf auf Nuklearanlagen bu...
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Guten Abend Friedrich Hinterberger!
Donald Trump mit Teilen seines Kabinetts vor einem Rednerpult im Weißen Haus
Der Präsident, der alle Kriege beenden wollte, mit seinem Kriegskabinett (© The White House/Facebook)

Wenn Weltkrieg ist: Kann es sein, dass wir das gar nicht realisieren, obwohl wir bereits mittendrin sind? Der israelische Historiker Yuval Harari meint: Ja, beides – sowohl der Weltkrieg als auch unsere Unwissenheit darüber.

In der Nacht auf heute, Sonntag, sind die Vereinigten Staaten aktiv in den Krieg eingetreten, den Israel seit vergangener Woche gegen den Iran führt. Die U.S. Air Force warf auf Nuklearanlagen bunkerbrechende Bomben des Typs GBU-57 ab – Geschosse mit gewaltiger Sprengkraft, die 60 Meter ins Erdreich eindringen können.

Alleine auf die Atomfabrik Fordo, die sich in einem Bergmassiv 100 Kilometer südwestlich von Teheran entfernt verbirgt, sollen nach Angaben von US-Regierungsstellen zwölf GBU-57 gefallen sein. Offenbar wollte das Militär sichergehen, dass die Zentrifugen zur Uran-Anreicherung, die das Mullah-Regime dort bis zu 90 Meter tief unter Gestein und Stahlbeton betreibt, auch wirklich zerstört werden. Zwei weitere der Monsterbomben trafen offenbar die Nuklearanlage in Natanz.

Wie hoch die USA bei diesem Einsatz pokern, lässt sich daran ermessen, dass die GBU-57 eine ihrer stärksten konventionellen Waffen ist. Und dass ihr Arsenal, soweit bekannt ist, nur über 20 Stück davon verfügt.

Ob der Angriff sein Ziel erreicht hat, war vorerst unklar. Trump sprach in der Nacht davon, dass das iranische Atomprogramm „vollständig zerstört worden sei”, ein hochrangiger US-General am Sonntagnachmittag bloß von „schweren Schäden”. Ob sämtliche Nuklearkapazitäten des Mullah-Regimes ausgeschaltet sind, ist damit vorerst offen. Radioaktivität dürfte laut Angaben des Iran und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA durch die Angriffe jedenfalls nicht ausgetreten sein.

Die Konsequenzen aus der jüngsten Eskalation sind vorerst nicht abzusehen.

Der Iran schwört Rache und hält sich dabei „alle Optionen offen”. Zum Beispiel die Blockade der Straße von Hormuz, mit entsprechenden Folgen für die Weltwirtschaft. Über die Meerenge zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman wird rund ein Viertel des weltweiten Öltanker-Verkehrs abgewickelt.

Donald Trump (den seine Fans nicht zuletzt wegen des Versprechens gewählt haben, Kriege zu beenden, aber keinesfalls zu beginnen) droht im Gegenzug zwischen den Zeilen mit Atomschlägen. Etwas anderes kann kaum gemeint sein, wenn der US-Präsident dem Iran „noch viel schwerere Angriffe” ankündigt, sollte das Land nicht umgehend bereit zu einem Friedensschluss sein.

Auf Israel, wo der Schlag gegen den Iran fast einhellig begrüßt wird, gehen währenddessen neue Raketensalven nieder.

Bei aller Dramatik der Situation: Ein Weltkrieg wird für sich genommen noch nicht daraus. Allerdings nur, wenn man den Konflikt isoliert betrachtet und außer Acht lässt, wer und was dabei alles im Hintergrund mitspielt.

Laut Definition ist ein Weltkrieg ein Krieg, „der durch sein geografisches Ausmaß über mehrere Kontinente und durch den unbegrenzten Einsatz aller verfügbaren strategischen Ressourcen weltweite Bedeutung erlangt oder der im Ergebnis eine grundsätzliche Neuordnung der weltweiten internationalen Beziehungen mit sich bringt.“

Sämtliche dieser Bedingungen wurden nach und nach erfüllt: und zwar genau genommen seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 22. Februar 2022, argumentierte Yuval Harari bereits vor einem Jahr.

Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts war ihm zufolge so friedlich und geordnet wie keine zuvor in der Geschichte der Menschheit. Weltweit sei etwa mehr Geld für Gesundheitsversorgung ausgegeben worden als für Rüstung, so Hariri. Mittlerweile hat sich das Verhältnis wieder ins Gegenteil verkehrt.

Und auch die Kriege, die Amerika infolge der Anschläge von 9/11 vom Zaun gebrochen hat, waren letztlich regional begrenzt.

Das ist jetzt anders. Regionale Kriege gibt es de facto nicht mehr. Der Angriff auf das iranische Atomprogramm ist mehr als nur Teil des Nahostkonflikts. Russland ist mit dem Iran verbündet, die USA mit Israel, China mit Russland, Europa mit der Ukraine, aber nicht mehr wirklich mit den USA und so weiter.

Wer wem beisteht oder auch nicht, hat wiederum Auswirkungen auf den Ukraine-Krieg – und ist Teil des Systemkonflikts um eine neue Weltordnung, der immer mehr mit dem Recht des Stärkeren ausgetragen wird. Und das auf allen Ebenen, vom Schützengraben bis in den Cyberspace. Die „internationale Gemeinschaft” (oder das, was noch von ihr übrig ist) steht händeringend und hilflos daneben.

Im Mai 1941 wäre es den wenigsten Menschen bewusst gewesen, was global gerade vor sich geht, so Harari. Sie hätten wahrgenommen, dass es kriegerische Auseinandersetzungen in Europa und in Asien gibt – aber ein Weltkrieg? Das sei ihnen erst rückblickend klar geworden.

83 Jahre danach geht es uns möglicherweise nicht anders.

Bild von Martin Staudinger
Ihr Martin Staudinger

Heute für Sie auf falter.at


Militärschlag auf Bestellung

Wer wissen möchte, ob sich im US-Verteidigungsministerium etwa zusammenbraut, kann das (eine gesunde Portion schwarzen Humor vorausgesetzt) bei einem X-Account namens Pentagon Pizza Report tun: Der misst das Besucher- und Bestellaufkommen von Pizzerien, Bars und Schnellimbissen rund um das Pentagon und diverse US-Militärstützpunkte. Ist es vor allem nächtens überdurchschnittlich hoch, deutet das auf bevorstehende Militäroperationen hin. Voraussage-Genauigkeit: Hoch, zumindest in den vergangenen Wochen.


Prophezeiung, selbst erfüllt

Das Internet vergisst bekanntlich nichts. Also auch nicht einen Tweet aus dem Jahr 2013: Damals machte sich Donald Trump über den amtierenden US-Präsidenten Barack Obama lustig, der seiner Meinung nach bei Verhandlungen mit dem Iran nichts zustande brachte. Und prophezeite, Obama werde sich irgendwann nicht anders zu helfen wissen, als das Land militärisch zu attackieren. „Denken Sie daran, dass ich schon vor langer Zeit vorausgesagt habe, dass Präsident Obama den Iran angreifen würde, weil er nicht in der Lage ist, richtig zu verhandeln – er ist nicht kompetent!“ Tja.


Der Angriff und seine Folgen

Was der Angriff auf den Iran bedeutet und wie er die Lage in der Region verändern könnte, bespricht Raimund Löw im FALTER Radio mit dem Politikwissenschaftler Heinz Gärtner. Die Sendung wurde zwar vor dem US-Bombardement aufgezeichnet, hat deshalb aber nichts an Aktualität eingebüßt.

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