✍Wir stehen am Rande eines Abgrunds, eines Wirbels, eines schwarzen Abyssus. Er droht aber nicht, uns hinabzureißen, denn er ist seicht wie der Zicksee. Ich rede vom Wahlkampf. Ich habe schon viele Wahlkämpfe gesehen, aber was der Spitzenkandidat der SPÖ, Andreas Babler, derzeit auf sein Haupt zieht, ist nicht unbeachtlich, um es einmal vorsichtig zu sagen. Die Kronen Zeitung, die einst über Bablers Vor-Vor-Vorgänger...
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Nachdenklich: SPÖ-Chef Andreas Babler bei der Besichtigung eines Teils des renaturierten Liesingbachs, mutmaßlich nicht allzu weit von Doris Bures' Zuhause entfernt. (Foto: APA/GEORG HOCHMUTH)

Wir stehen am Rande eines Abgrunds, eines Wirbels, eines schwarzen Abyssus. Er droht aber nicht, uns hinabzureißen, denn er ist seicht wie der Zicksee. Ich rede vom Wahlkampf. Ich habe schon viele Wahlkämpfe gesehen, aber was der Spitzenkandidat der SPÖ, Andreas Babler, derzeit auf sein Haupt zieht, ist nicht unbeachtlich, um es einmal vorsichtig zu sagen.

Die Kronen Zeitung, die einst über Bablers Vor-Vor-Vorgänger den unnachahmlichen Slogan „Tiere würden Faymann wählen“ prägte, ist nun überzeugt, ganz Schönbrunn würde sich mit Abscheu abwenden, führe auch nur ein Lastwagen mit einem Babler-Plakat auf der Maxingstraße vorbei.

Die Antibablerei erreicht Höhepunkte. Der Linzer Bürgermeister, ein parteiinterner Gegner Bablers und eingefleischter Doskozilist, musste zurücktreten, weil publik wurde, dass er öffentlich nicht nur gelogen, sondern einem Günstling die Bewerbungsunterlagen für die Leitung des Brucknerhauses zugeschanzt hatte (aufgedeckt wurde die Misswirtschaft im Brucknerhaus von Kollegin Panzenböck im Falter).

Recht ungewöhnlich für einen österreichischen Parteichef, hatte Babler den Linzer Bürgermeister erst zum Rücktritt aus der Partei und dann auch von seinem Amt aufgefordert. Die Medien rechneten ihm das nicht hoch an. Von anderen Parteichefs pflegten sie in ähnlichen, wenn auch in der Dimension kleineren Fällen keineswegs einzufordern, sie sollten mit harter Hand durchgreifen. Von Babler, dem die Mittel zu fehlen schienen, forderten sie es mit Inbrunst.

Dann wurde auch noch ein parteiinternes Mail der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures an die Kronen Zeitung geleakt, die deren Kritik zu einer Palastrevolution gegen Babler aufblies. Bures beschwerte sich, als ihr das Wahlprogramm zur Diskussion vorgelegt wurde, es sei nicht diskutiert worden, und stellte diese Kritik gleich der Öffentlichkeit vor.

Die geschlossen verächtliche Front gegen den SPÖ-Spitzenkandidaten reicht von der Profil-Chefredakteurin, die ihm den Titel eines Songs des Boxers Hansi Orsolics umhängte („Mei potschertes Leben“ hieß der, im Profil zu „Andreas Bablers patschertes Leben“ umgedöblingert), bis zu den bekannt Babler-freundlichen Gratiszeitungen.

Wie geschickt oder ungeschickt der Wahlkampf Bablers bisher war, fällt angesichts solchen geballten Medienun- und Übermuts gar nicht mehr ins Gewicht. Es soll der Öffentlichkeit vor allem weisgemacht werden, Bablers Konkurrenten würden um Platz eins kämpfen. Die Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass ÖVP-Chef Nehammer und Babler um Platz zwei kämpfen; dieses „Duell“ soll verschleiert werden.

Ich aber sage euch: Nicht einmal solche fatale Duell-Logik entscheidet eine Wahl. Ich hörte vor ein paar Wochen einen sehr instruktiven Podcast der New York Times mit Bernie Sanders, dem alten linken Senator von Vermont, der trotz seiner 83 Jahre fit wirkt wie ein Turnschuh, sich erneut um sein Amt bewirbt und keine der verbalen Schwächen Joe Bidens zeigt. Unter anderem sagte Sanders:

„Ich denke, das Wachstum des Trumpismus hat viel weniger damit zu tun, wofür Trump steht, Sie wissen schon, Steuererleichterungen für Milliardäre, Leugnung des Klimawandels, Sexismus, Rassismus, Homophobie. Das ist nicht so sehr der Grund, warum die Menschen ihn unterstützen. Sie haben sich die Demokratische Partei angeschaut und gesagt: Hey, wir haben euch einmal vertraut. Ihr wart einmal die Partei der Arbeiterklasse. Das seid ihr nicht mehr. Und ich denke, der Kampf besteht jetzt darin, die Demokratische Partei wieder dazu zu bringen, deutlich zu machen, auf welcher Seite sie steht.“

Könnte es sein, dass Andreas Babler mit seinen Bemühungen, wie immer man sie einschätzen mag, einen wunden Punkt getroffen hat? Während alle anderen Parteien doch recht deutlich machen, dass sie sich darum balgen, die „Partei der Wirtschaft“ zu sein? Könnte es sein, dass in den USA ein Richtungswahlkampf Konturen annimmt, während man bei uns alles tut, einen solchen hinter allerlei dubiosen Personalia zu verschleiern?

Ich wünsche Ihnen trotzdem eine schöne Woche,

Bild von Armin Thurnher
Ihr Armin Thurnher

Revolte und Resignation

Die Seuchenkolumne macht keine Pause. Empfohlen sei hier der jüngst erschienene Gastbeitrag des Schriftstellers Doron Rabinovici, den er beim Symposium der Salzburger Festspiele hielt.


„Endlich ein Sozi“

Weil es thematisch so gut passt: Lesen Sie das Sommergespräch, das Barbara Tóth mit SP-Chef Andreas Babler führte. Endlich ein Sozi an der Spitze der Sozis, sagt er von sich. Die Herren Kickl und Nehammer hatten übrigens für Falter-Sommergespräche keine Zeit (so war das auch in den Gründungsjahren des Falter, als gewisse Parteien gewissen Medien ausschlossen. Hat uns nicht geschadet).


Klimaexistenzialismus

Nikolaj Schultz, der Shooting Star der Soziologie („Landkrank“) plädiert für eine Philosophie des neuen Existenzialismus. Die Klimakrise zwinge den Menschen, sich selbst und seine Gefühle neu zu denken, argumentiert der dänische Denker im Falter-Podcast.

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