Welche Filme sollten Sie derzeit auf keinen Fall versäumen?
Den sogenannten Nahversorgern unter den Kinos geht's seit der Pandemie nicht wirklich gut. So berichtete mir unlängst Oberösterreichs wichtigster Arthouse-Betreiber, dass die meisten Filme nur noch halb so viel Publikum finden wie 2019. Anders ist die Bilanz von besonderen Events, beispielsweise des Festivals des Neuen Heimatfilms in Freistadt, dessen 35. Ausgabe vergangene Woche unter praktisch unvermindertem und regem Publikumszuspruch stattfand.
Zu den erstaunlichen Qualitäten dieser mit rund 50 Filmen noch gut überschaubaren Veranstaltung gehört, dass viele der gezeigten Arbeiten dort als Österreichpremiere laufen (und nicht wenige davon sind hierzulande leider auch nur in Freistadt zu sehen). Das gilt auch für die drei preisgekrönten Produktionen des heurigen Festivals:
"Wir könnten genauso gut tot sein", der dystopische Erstlingsfilm von Natalia Sinelnikova, einer Absolventin der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, galt der Jury als bester Spielfilm und erzählt die Geschichte einer Wohnhausgemeinschaft unter beklemmender sozialer Kontrolle. In der als bester Dokumentarfilm ausgezeichneten Produktion "Wie ich Partisanin wurde" geht Vera Lacková dem verdrängten Schicksal slowakischer Roma nach, die sich wie ihr Urgroßvater den Partisanen anschlossen.
Eine wirklich unstrittige Entscheidung traf die Jugendjury, die den kanadischen Spielfilm "Scarborough" von Shasha Nakhai und Rich Williamson prämierte, der von den prekären Lebensumständen dreier Kinder und ihrer Familien aus besagtem Stadtteil von Toronto erzählt. Ein mitreißend gespielter, aufwühlender Film, dem man einen mutigen Verleih und regulären Kinostart wünscht.
Damit zum Filmgeschehen dieser Woche (neu und empfohlen): "Freibad", "Meine Stunden mit Leo" und "Die Zeit, die wir teilen". Weiteres startet "Three Thousand Years of Longing", ein mit Digitaleffekten zugequasseltes Fantasy-Märchen mit Idris Elba und Tilda Swinton.
Das Österreichische Filmmuseum zeigt Martin Scorsese, das Metro Kinokulturhaus die Doppelretrospektive Prager Schule und Balkantango. Das Gartenbau widmet sich David Bowie on Film, ehe Mitte September das neue Porträt "Moonage Daydream" in die Kinos kommt. Und im Votiv Kino und De France startet am Donnerstag ein Queerfilmfestival mit der skandinavischen Doku "Vorurteil und Stolz - En queer Filmhistoria".
Ein schönes Wochenende mit guten Filmen,
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Doris Dörries Sommerkomödie aus "Deutschlands einzigem Frauenfreibad" will viel unter einen Hut bringen: Altershäme und Körperscham, Rassismus und Doppelmoral. Genüsslich prallen Vorurteile und Klischees der liebevoll überzeichneten Figuren aufeinander, um mit humorvollem Ton weibliches Körperbewusstsein und individuelle Freiheit zu thematisieren. Das spielfreudige Ensemble (u.a. Andrea Sawatzki, Maria Happel, Lisa Wagner) giftelt unterhaltsam in alle Richtungen und dass von der woken Postfeministin bis zur arabischen Designermuslimin alle ihre Watschen abbekommen, ist grundsympathisch. Das Miteinander ist auszuverhandeln und kann ja nicht so schlecht sein, wenn am Ende jede sein darf, was sie will. (Martin Nguyen)
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Regie: Doris Dörrie, D 2022
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Eine verwitwete Religionslehrerin bucht einen Callboy, um einmal im Leben richtig Sex zu haben. Doch wie kriegt man 31 lustlose Ehejahre und Begriffe wie "Konkupiszenz" aus dem Kopf? Sophie Hydes Kammerspiel "Meine Stunden mit Leo" ist so lustig wie beklemmend; es verlässt kaum mal das anonyme Hotelzimmer, sondern fokussiert auf seine beiden Darsteller, den schnuckelig professionellen Daryl McCormack und die wie immer fabelhafte Emma Thompson. Eine Lektion in Intimität. (Michael Omasta)
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Regie: Sophie Hyde, GB 2022
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Die erfolgreiche Pariser Verlegerin Joan (Isabelle Huppert) zieht sich in ihr Landhaus zurück und lässt ihr (Liebes-)Leben Revue passieren. Indessen erhält sie unerwartet Besuch von ihrem Sohn und einem exzentrischen deutschen Autor. "Was in der Realität der erinnernde Tagtraum, ist im Kino die Rückblende - ein Stilmittel, aus dem dies hübsche Melodram hauptsächlich besteht. Mit viel Sinn für das Komische und Poetische, fein durchsetzt mit tänzerischen, surrealen Szenen, zeichnet Laurent Larivière das Porträt einer Frau voll melancholischer Lebendigkeit" (Sabina Zeithammer).
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Regie: Laurent Larivière, F/IRL/D 2021
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Samay ist dem Kino verfallen. Er schwänzt die Schule um ins Galaxy zu laufen und Fazal bei der Arbeit zuzuschauen; der Vorführer macht den Buben mit den Feinheiten des Films vertraut, wofür dieser ihm die köstlichen, von seiner Mutter zubereiteten Lunchboxes überlässt. Später werden Samay und seine Freunde sich Filmrollen "borgen" und mit einem Projektor Marke Eigenbau in einem verlorenen Palast spielen; Musik und Geräusche improvisiert die Rasselbande live dazu. "Das Licht, aus dem die Träume sind" des indischen Filmemachers Pan Nalin ist eine autobiografisch getönte Ode an das Kino: eine Feier der Farben, der Bewegung, des flirrenden Lichts. (Michael Omasta)
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Regie: Pan Nalin, F/IND 2021
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Seit über 80 Jahren bearbeitet Familie Solé eine Pfirsichplantage, doch nun läuft die Pacht aus und die Bäume sollen Solaranlagen weichen. "Von einer Familie, deren Identität bedroht ist, von einer Welt im Wandel und der Krise kleinstrukturierter Landwirtschaft erzählt Carla Simón in 'Alcarràs – Die letzte Ernte'. Ein wunderbares Ensemble lokaler Laiendarsteller trägt das im titelgebenden katalanischen Ort angesiedelte Drama. Sorgfältig choreografiert, geben Simón und Kamerafrau Daniela Cajías allen Figuren Raum, zeigen ihre Arbeit, Feste, Konflikte, ihren Zusammenhalt, umfangen von einer sanften Sommerlandschaft. In seiner Schönheit, Vielstimmigkeit und unaufgeregten Zärtlichkeit ist ihr Film ein Glanzlicht dieses Kinojahres." (Sabina Zeithammer)
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Regie: Carla Simón, E/I 2022
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Eine semidokumentarische Studie in Sachen Generationskonflikt: Peter, 17, scheint als Lehrling in einem Selbstbedienungsladen den Schwarzen Peter gezogen zu haben. Die erste (abendfüllende) Regiearbeit des in den 1970ern nach den Vereinigten Staaten emigrierten Milos Forman, sehenswert.
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Regie: Milos Forman, CSSR 1963
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Es sind Szenen seiner eigenen, von Gewalt geprägten Jugend, die Martin Scorsese hier verarbeitet hat: "Der Film handelt von jenem amerikanischen Traum, demzufolge alle meinen, ganz rasch sehr reich werden zu können; und wenn sie es auf legalen Wegen nicht schaffen, dann eben auf illegalen ..." Gleichsam ein anthropologisches Traktat über das Leben in Little Italy, ein frühes Meisterwerk.
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Regie: Martin Scorsese, USA 1973
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Ein queerer Kompilationsfilm: Eva Beling hat sich in den schwedischen Filmarchiven auf die Suche nach einschlägigen Geschichten, Figuren und Momenten gemacht – und eine ganze Schatztruhe geborgen, mit der sie die Entwicklung von den Anfängen mit Mauritz Stillers "Ikarus" (1916) bis zu Filmen wie "Something Must Break" (2014) oder "Als wir tanzten" (2019) nachzeichnet. - Gespräch mit der Filmemacherin im Anschluss!
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Regie: Eva Beling, SWE/ISL/FL 2021
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Titelfigur ist kein Geringerer als der schöne David, der von einem ausgetrockneten Planeten anreiste, um sich die Wasservorräte der Erde nutzbar zu machen. Nicolas Roeg, in seinen frühen Arbeiten - so auch hier - ein Schöpfer genialer, leicht mystizistischer Bilderwelten, hat die Geschichte dieses androgynen Wesens eigenwillig, irritierend, anrührend erzählt.
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Regie: Nicolas Roeg, GB 1976
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