Er war überall und immer ein gern gesehener Gast. Wenn wir uns im Bruno Kreisky Forum trafen, sah ich ihn schon von Weitem. Hochgewachsen, den Kopf leicht zurückgelegt, die Wangen gerötet, die Augen mit mildem Spott und gelassener Freundlichkeit geradewegs aufs Ziel gerichtet. Seine Worte waren immer so, wie auch Georg Lennkh war: voller Klugheit und Wärme, nichts zu dick aufgetragen, alles gut dosiert.
Obwohl schon 85, saß der Botschafter a.D. gerne am Podium, kuratierte Veranstaltungen, erhob seine Stimme im Vorstand des Forums, fachsimpelte mit Kolleg:innen.
Ein Meisterdiplomat, darüber waren sich Zeit seines Lebens alle einig, und einer der erfahrensten im Außenministerium. Dort hatte Georg Lennkh 1965 angefangen. Später holte ihn Bundeskanzler Bruno Kreisky als Kabinettschef zu sich. Kreisky, der bürgerliche Sozialist, umgab sich gerne mit anderen Bürgerlichen, die wie er ein starkes soziales Gewissen hatten.
Der parteifreie Steirer Lennkh hatte in Wien und an seinen internationalen Posten ein weites Netz an Kontakten, Freundschaften und Seelenverwandtschaften aufgebaut. Eine davon aus dem Akademischen Gymnasium in Graz betraf auch mich: Die Freundschaft zwischen Georg und meinem Vater Gerald, die bereits dort begann, erhielt sich über die Generationen. Die Lennkhs waren oft bei uns zu Gast. Georg kam gern zu Festen, er gab gern Feste und: er war nicht nur in der Diplomatie ein Feinspitz. Er war ein Gourmetkoch. Sein Signature-Dish: Steinpilzrisotto.
Seine kulinarische Kunst blieb privaten Gästen vorbehalten, seine diplomatische Karriere aber prägte zum Beispiel Österreichs Entwicklungszusammenarbeit. Er war Österreichs Botschafter bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD in Paris, österreichischer Sonderbotschafter für Afrika (2005–2010) und EU-Sonderbeauftragter im Tschad (2006–2010). Von 2012 bis 2018 war er außerdem Präsident von Care Österreich.
Von 1993 bis 2004 leitete er die Entwicklungshilfe im Außenamt in Wien. Ich lebte damals als Korrespondentin in Jerusalem und erinnere mich an verschiedene Treffen mit ihm, in denen er darüber sinnierte, wie wichtig und gleichzeitig heikel es sei, der damals noch jungen Palästinensischen Autonomiebehörde während des Oslo-Friedensprozesses auf die Beine zu helfen. Sollte Österreich die palästinensische Polizei mit aufbauen helfen oder riskierte die Republik, in den Konflikt hineingezogen zu werden? Georg Lennkh war der richtige Mann für solche heiklen Projekte, er war engagiert und umsichtig.
Den Nahen Osten hatte er lange davor mit Kreisky in allen Facetten kennengelernt. Kreisky hatte schon in den 1970er Jahren versucht, Israelis und Palästinenser zu versöhnen, sie zur gegenseitigen Anerkennung zu führen. Die aktive Außenpolitik, die Österreich unter seiner Führung hatte, zielte genau auf das ab, was heute verloren zu gehen scheint: das Recht auf Anerkennung, Würde und Menschenrechte für alle Beteiligten in Israel und Palästina.
„Kreisky hat Georg viele sehr sensible Missionen anvertraut. Er schickte ihn etwa nach Libyen und in den Iran“, sagt Wolfgang Petritsch, ebenfalls ein Kreisky-Zögling und später Hoher Repräsentant der UNO in Bosnien und Herzegowina.
Was Kreisky so an diesem Grazer gefiel, der aus dem steirischen Landadel stammte? Lennkh hatte die Größe, sich selbst trotz der Wichtigkeit seiner Arbeit nicht zu wichtig zu nehmen – eine seltene Eigenschaft: Er drängte sich nicht in die erste Reihe. „Der Georg war die Verkörperung des eleganten, feinen, zurückhaltenden Diplomaten“, sagt Weggefährtin Gertraud Auer Bornea d’Olmo.
In den vergangenen Jahren war der sensible Diplomat auch deshalb einer derjenigen, die mit großer Sorge die Entwicklung im Nahen Osten beobachteten. Und die Haltung Österreichs dazu. Am 28. August wurde ein Brief von 26 Diplomat·innen veröffentlicht, die Österreichs Regierung dazu aufriefen, mehr Druck auf die Regierung in Israel auszuüben, um den Krieg in Gaza zu beenden: „Auf Worte müssen Taten folgen“. Ex-Außenministerin Benita Ferrero-Waldner von der ÖVP hat das Schreiben ebenso unterzeichnet wie ihr Vorgänger Peter Jankowitsch von der SPÖ. Unterschrieben hatte auch Rudolf Lennkh, ein Cousin von Georg, ebenfalls ein hochrangiger Diplomat im Dienste der Republik.
Georgs Unterschrift aber fehlt. Er wollte, sagt Petritsch, das Schreiben noch unterzeichnen. Aber er hat es nicht mehr geschafft.
Vorigen Montag, den 1. September, verstarb Georg Lennkh. Er hatte mit seiner Frau Annie, um die er sich seit Jahren rührend kümmerte, auf der Île de Ré an der französischen Atlantikküste Urlaub gemacht. Beim Schwimmen geriet er in eine Strömung. Er kämpfte. Lange Minuten. Er gewann. Schaffte es zurück ans Ufer, ging nach Hause. Doch die Anstrengung holte ihn in den Stunden danach ein.
Seine Frau, seine Kinder und Enkel müssen jetzt ohne ihn weitermachen. Wir, der Freundeskreis, auch. Wir trauern um dich, Georg!