Mythen zu dekonstruieren, kann sehr unterhaltsam sein. Wer etwa glaubt, Spaghetti Carbonara sind ein urtümliches, italienisches Gericht, sollte unbedingt Alberto Grandis Zertrümmerung der italienischen Küche lesen, eines meiner Lieblingssachbücher des Jahres 2024.
Passend zum Gedenkjahr 2025 ist soeben eine neue Studie erschienen, die mit dem Mythos der "Trümmerfrauen" aufräumt. In unserem kollektiven Gedächtnis sind sie immer noch als tüchtige Heldinnen des Wiederaufbaus abgespeichert, ausgeblendet wird dabei, dass die Frauen, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges den Schutt der Bombardements wegräumten, ehemalige Nationalsozialistinnen waren, die dazu per Gesetz verpflichtet worden waren.
Mich beschäftigt derzeit aber ein anderer Mythos, einer, der weder unterhaltsam noch geschichtsträchtig ist, sondern noch sehr jung und dreist.
Aber nein, wir müssen nicht sparen! Wir haben kein Budgetproblem! Das war die Erzählung, die uns alle Parteien (die Neos vielleicht ausgenommen) im Wahljahr 2024 lieferten. Auch wir professionellen Beobachterinnen haben es mehr oder weniger geglaubt und zu wenig nachgehakt. Der Mythos vom soliden Staatshaushalt Österreichs war wohl einfach zu verlockend. Außerdem starrten alle übers Wahljahr hinweg wie gebannt auf den prognostizierten Triumph der FPÖ.
Mittlerweile ist klar, dass Österreich alles andere als musterschülerhaft dasteht, erst zu Wochenbeginn wurden die Berechnungen und Prognosen erneut nach unten korrigiert. Natürlich ist dabei die schlechte Konjunktur einzupreisen, aber nicht alleine. Warnende Stimmen hätte es gegeben, allen voran der Fiskalrat und dessen Präsident Christoph Badelt.
Auch die Beamtenschaft muss es kommen gesehen haben. Ein verantwortungsvoller Budgetsektionschef wird seinem Minister immer auch das Worst-Case-Szenario auf den Tisch legen, wie Ex-Finanz-Spitzenbeamte Gerhard Steger im aktuellen Falter erzählt.
Und selbst wenn die Länder nicht wie der Bund monatlich ihren laufenden Vollzug einmelden, sondern nur jährlich, es also in Österreich des Jahres 2025 tatsächlich kein kontinuierliches Monitoring der Bundesländerfinanzen gibt, wie Margit Schratzenstaller vom Wifo beklagt, kann man wohl davon ausgehen, dass ordentliche Landesfürsten dem Finanzminister ein Heads up geben, wenn Ungemach in ihren Haushalten droht. Oder?
Die politisch relevante Frage ist: Wer hat wann was gewusst und beschlossen, es nicht zu kommunizieren? Nach allem, was die Öffentlichkeit bis jetzt weiß, muss ich leider schreiben: Die letzte Regierung, allen voran die ÖVP, hat uns belogen. Oder wie es der erfahrene Politikjournalist Oliver Pink der Presse zuletzt formuliert hat: "Die bisherige Taktik war: nur zugeben, was sich nicht mehr verschleiern lässt." Die politisch Verantwortlichen heißen Ex-Finanzminister Magnus Brunner und Gernot Blümel (beide ÖVP).
Was sagt der tapfere Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ), im Jahr 2024 Mitglied des Fiskalrates, zu all dem? "Das ist vergossene Milch, wir müssen in die Zukunft schauen", meinte er heute im Kurier. Die Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos hat offensichtlich beschlossen, sich gegenseitig nicht wehzutun.
Gut fürs Koalitionsklima, gut für die Mythenbildung, schlecht für unser Vertrauen in die Politik.