Zum Glück hatte ich mich für Turnschuhe entschieden.
Die Einladung kam von einer lettischen Organisation, die sich um Exiljournalist*innen kümmert. Sie würden gemeinsam im Zoo von Riga sauber machen. Da ich mit den Mitgliedern – vielfach emigrierte Russ*innen – in Kontakt kommen wollte, registrierte ich mich. Und machte mich vergangenen Montagmittag auf den Weg in den Zoo, der in einem vornehmen Villenviertel im Osten der Stadt liegt.
Wie viel würden wir als Außenstehende in einem Zoo schon aufräumen, dachte ich. Den Kängurudung wegschaufeln? Im Affengehege putzen? Die Anweisung der Organisation, Arbeitshandschuhe mitzunehmen, hatte ich deshalb ignoriert.
Das war keine gute Idee. Wir wurden in ein leerstehendes Gehege geführt, das Gras voll altem Laub, die Äste auf einem unordentlichen Haufen, der Zaun in bedauernswertem Zustand. Eine Handvoll Rechen und große Säcke standen bereit. Und die Gruppe machte sich flugs an die Arbeit.
Denn, so lernte ich, während mir tapfer rechend die aufgewirbelte Erde ins Gesicht stob, in Lettland wird der Frühjahrsputz ernst genommen. Jährlich findet "Talka", zu Deutsch etwa "Hausputz", an einem Samstag Ende April (oder rund um dieses Wochenende) statt.
Im ganzen Land tun sich Menschen zusammen, um in ihrer Freizeit öffentliche Orte aufzuräumen. Auf einer Webseite kann man sich eintragen. 200.000 Menschen waren im Vorjahr dabei – bei einer Bevölkerung von 1,8 Millionen ein beträchtlicher, putzwütiger Anteil.
In Lettland ist man ordentlich stolz auf die Natur. Rund die Hälfte des Landes ist Waldfläche, die Holzwirtschaft macht den größten Teil der Exporte aus. Auch der Zoo gleicht einem Naturpark; die Tiere sieht man erst auf den zweiten Blick zwischen den mächtigen Bäumen.
"Talka" sei eine lettische Tradition, erklärte mir eine der Organisatorinnen, während ich den Inhalt meiner Wasserflasche in mich hineinleerte und die Blase auf meiner rechten Handfläche begutachtete. Aber es gäbe doch auch "Subbotnik", warf eine Teilnehmerin ein, die jahrzehntelang in Moskau gelebt hatte.
"Subbota" heißt auf Russisch "Samstag", Lenin persönlich soll den Begriff "Subbotnik" 1919 geprägt haben: Der Arbeitseinsatz diene dazu, nach der russischen Revolution die Wirtschaft anzukurbeln. Die Bevölkerung war mehr oder weniger freiwillig dabei und räumte öffentliche Orte auf, passenderweise immer rund um Lenins Geburtstag am 22. April. Lenin packte auch selbst mit an – zumindest, wenn man einem Gemälde aus dieser Zeit Glauben schenkt.
Kaum etwas ist in Lettland verhasster als die Sowjetunion, die das Land von 1940 bis 1941 und dann erneut von 1945 bis 1991 einverleibt hatte – ganz zu schweigen von den knapp 200 Jahren bis 1918, die Lettland Teil des russischen Reichs war. Und dem aktuellen russischen Machthaber Wladimir Putin, dessen Aggressionen hier alle fürchten.
Hat der ungeliebte Unterdrücker also den geliebten Frühjahrsputz erfunden? "Immerhin eine gute Sache aus der Sowjetunion", kommentierte ein Teilnehmer. Und es ist ja nicht so, als ob andere Kulturen eine solche Tradition nicht auch kennen würden.
So richtig wollte das dort allerdings niemand diskutieren. Denn dieser Brauch unbekannter Herkunft hatte ein bekanntes Gefühl geweckt: den Ehrgeiz. Wo wir nun schon dabei waren, wollten wir das Gehege picobello hinterlassen.
Zum Glück hatte ich mich für Turnschuhe entschieden.
Aus Riga grüßt Sie