Wie läuft’s bei Ihnen so in der Arbeit? Also, ich habe gestern mal wieder geweint. Nicht heimlich auf dem Klo, weil mich mein Chef angeschrien hat (hypothetisches Beispiel – mein Chef ist lieb), nicht am Schreibtisch, weil ich überfordert bin (bin ich nicht), und auch nicht in der Sitzung, weil ich mal wieder gemobbt wurde (ich werde nicht gemobbt).
Nein, ich habe einfach eine traurige Geschichte gehört. Es kam ziemlich unerwartet. Ich hatte einen Termin mit dem Werkstattinhaber Sepp Eisenriegler, der mir etwas über den ausgesetzten Reparaturbonus erzählen sollte – kein Thema, das mich zu Tränen rührt; das Interview verlief erwartungsgemäß unemotional.
Rührend wurde es danach, als mir Eisenriegler seinen Mitarbeiter Mortesa Bahrami vorstellte. "Unser MacGyver", sagte er, "Der Mann für die komplizierten Fälle." Staubsauger, Waschmaschinen, Toaster und Plattenspieler – egal, was es ist: Mortesa weiß, wie man die Dinge in Ordnung bringt. Und das schon immer.
"Ich bin in Afghanistan aufgewachsen", sagt Mortesa, "Dort wird alles repariert." Den meisten Afghanen fehlt nämlich das Geld für eine Wegwerfmentalität nach westlichem Vorbild. Schuhe und Kleidung gingen damals am häufigsten kaputt. "Die haben wir dann geklebt und genäht", erinnert sich Mortesa. Elektrogeräte, die er heute hauptberuflich repariert, konnten nicht kaputt gehen – denn die besaß die Familie ohnehin nicht. "Viel zu teuer."
Mit 20 kam Mortesa als Flüchtling nach Österreich, lernte Deutsch und fing zwei Jahre später in der Werkstatt an. Heute, acht Jahre später, ist er dort der beste Mitarbeiter, hat eine Wohnung, eine Frau und verdient genug Geld, um regelmäßig einen Teil nach Hause zu schicken.
Noch war ich bester Stimmung und freute mich darüber, im Gehen noch so eine schöne Aufsteiger-Geschichte zu hören. Um diese zu komplettieren, fragte ich: "Deine Mutter muss sehr stolz auf dich sein, oder?"
Mortesa, vom Typ her abgeklärter Techniker, wurde auf einmal ziemlich emotional. "Ja, schon", antwortete er, während ihm die Tränen in die Augen schossen. Nicht aus Stolz darauf, was er alles geschafft hat, sondern wegen dem, was er dann sagte: "Aber sie ist auch traurig", erklärt er. "Sie fragt immer: War das alles wert? Ich habe mein Kind nicht aufwachsen sehen."
Nun musste auch ich die Augen zusammenkneifen und zusehen, dass mir die Tränen nicht über die Wangen kullerten. Einfach, weil eine Mutter ihren Sohn vermisst. Einfach, weil ein Sohn seine Mutter vermisst. Liebe und Sehnsucht sind wohl universell menschliche Angelegenheiten. Doch permanentes Vermissen ist eine Last, die viele Migranten in diesem Land – zwischen AMS-Termin, Deutschkurs und Wohnungssuche – ständig mit sich tragen müssen.
"Egal, wie viele Freunde man hat, wie viel Geld man verdient, wie gut man integriert ist – die Leere und dieses Vermissen bleiben", sagt Mortesa noch heute, zehn Jahre, nachdem er 2015 am Westbahnhof angekommen ist.
"Das Heimweh hat uns damals alle fertig gemacht", sagt er über sich und die 300 anderen, mit denen er damals gemeinsam im Flüchtlingsheim gelebt hat. "Es hängt sehr von der Persönlichkeit ab, was man aus seinem Leben hier macht." Manche kamen mit dem Heimweh, der Einsamkeit und der Sprache nicht zurecht. "Sie haben sich schlecht entwickelt, sich mit den falschen Leuten zusammengetan, hatten keine psychische Betreuung."
Während Mortesa so erzählt, wird mir wieder einmal klar, was in der Migrationsdebatte oft untergeht: Egal, ob man nun über Erfolgsgeschichten spricht oder über die "afghanischen Messerstecher" aus den Boulevardzeitungen – hinter jeder dieser Geschichten steht ein Mensch mit Familie, mit Vergangenheit, mit Schmerz und Zerrissenheit.
Keine neue Erkenntnis, nur eine Erinnerung.