FALTER.kinotipps

Welche Filme sollten Sie derzeit auf keinen Fall versäumen?

Am kommenden Sonntag ist wieder European Arthouse Cinema Day. Wussten Sie nicht? Ich auch nicht, denn diese "Werbeaktion" für europäisches Kino mit Anspruch wird mittlerweile derart schlecht beworben, dass man selbst Branchenintern nur eher zufällig davon erfährt. Immerhin, ein paar heimische Kinos nehmen daran noch teil (eine Übersicht finden Sie hier), die meisten zeigen Pedro Almodovars Kurzfilm "The Human Voice" mit Tilda Swinton (plus ein aufgezeichnetes Interview zum Film) zu - geringfügig - ermäßigtem Eintrittspreis.

Einer der letzten Heroen des amerikanischen Kinos der 1980er-Jahre ist diese Woche gestorben der Schauspieler Dean Stockwell nämlich, der sich unter anderem mit "Paris, Texas" von Wenders oder "Blue Velvet" von Lynch in die Filmgeschichte eintrug. Indes ist seine Karriere sehr viel größer und vielfältiger, als sie nun, da er im Alter von 85 Jahren gestorben ist, erinnert wird.

Stockwell stand bereits als Sechsjähriger vor der Kamera, mit zwölf spielte er dann in einer der seltsamsten und schönsten US-Produktionen der unmittelbaren Nachkriegszeit die Titelrolle: und zwar "The Boy with Green Hair" (1948), ein, wie man heute sagen würde, Plädoyer für Inklusion und Pazifismus, realisiert von Joseph Losey (Regie), Ben Barzman und Alfred Lewis Levitt (Drehbuch), drei Hollywoodlinken, die wenig später ins Visier der Kommunistenjäger gerieten und sich auf der Schwarzen Liste wiederfanden. - Einen kurzen Trailer (von leider bescheidener Qualität) finden Sie hier.

Inklusion ist auch ein wichtiges Thema beim Internationalen Kinderfilmfestival, dessen 33. Ausgabe morgen (Samstag 13.11.) im Gartenbaukino eröffnet und dann eine Woche lang 16 ausgewählte Filme in die Wiener Kinos Cine, Votiv und Cinemagic in der Urania bringt. Meine Kollegin Sara Schausberger hat das Programm auf besondere Empfehlungen hin durchgeschaut und eine kurze Vorschau auf drei der gezeigten Arbeiten geschrieben.

Tja, und ein wenig auch in eigener Sache möchte ich Sie auf die gestern eröffnete Retrospektive über den vor ziemlich genau 125 Jahren in Wien geborenen, später nach London emigrierten Schauspieler Adolf Wohlbrück / Anton Walbrook hinweisen, die ich gemeinsam mit den Filmhistoriker:innen Frederik Lang aus Berlin und Brigitte Mayr vom Verein Synema für das Metro Kinokulturhaus zusammenstellen durfte. Im aktuellen FALTER hat der deutsche Autor Anatol Regnier, selbst Sproß einer berühmten Schauspielerfamilie, eine sehr persönliche Hommage an seinen "Onkel Toni" verfasst.

Last but not least sei an dieser Stelle auch nochmals die Werkschau der Filmakademie Wien erwähnt, die an drei Tagen (16. bis 18.11) einen Überblick über die Arbeiten der hier Studierenden gibt. Der Eröffnungabend findet im Gartenbau statt, die übrigen Tage im Stadtkino im Künstlerhaus - und das bei freiem Eintritt.

Neu und empfohlen diese Woche: "Lieber Thomas", "Last Night in Soho", "Billie - Legende des Jazz", "Das Land meines Vaters", "The Booksellers". Weiters neu im Kino: Til Schweigers Problemfilm "Die Rettung der uns bekannten Welt", der Kinderfilm "Elise und das vergessene Weihnachtfest" sowie die Dokumentarfilme "Aksel - The Story of Aksel Lund Svindal" und "Das Tagebuch einer Biene".

Ein schönes Wochenende mit guten Filmen,

Bild von Michael Omasta
Ihr Michael Omasta
Last Night in Soho
Swinging London: Psychothriller um eine zeitreisende Modedesignerin (Anya Taylor-Joy), die auf unerklärliche Weise den Körper einer lasziven Sängerin in den 1960ern in Beschlag nehmen kann, jedoch bald mit etwas Dunklem konfrontiert wird. Dem schwachen Finale zum Trotz: worth a look!
Regie: Edgar Wright, GB 2021
Lieber Thomas
Eine biografische Erzählung aus dem Leben des DDR-Autors und Filmemachers Thomas Brasch, die auf der Grundlage seines Werkes aufbaut. "In atmosphärischem Schwarz-Weiß, mit Traumsequenzen, die wenig bündig Braschs Obsession mit dem 'Mädchenmörder Brunke' einbinden sollen, und einer anfangs rasanten Abfolge von Frauen, für die er sich nacheinander und gleichzeitig begeistert – Bettina Wegener (Paula Hans), Sanda ­Weigl (Ioana Iacob), Katharina Thalbach (Jella Haase) –, schreitet der Film die Stationen eines wechselvollen Lebens ab. Albrecht Schuch verkörpert fesselnd den ewig Unzufriedenen als innerlich Getriebenen, als einen, der hoch pokert und den dann die Angst umtreibt, nicht liefern zu können." (Barbara Schweizerhof)
Regie: Thomas Wendrich, D 2021
Billie - Legende des Jazz
Das kurze Leben Billie Holidays bietet reichlich Stoff für Drama: Aufgewachsen zwischen Gewalt und Prostitution beginnt ihr steiler Aufstieg als Jazzsängerin, der schließlich in Alkohol- und Drogenexzessen endet. Aus 200 Stunden an Tonaufnahmen verdichtet Regisseur James Erskine in seiner Doku "Billie" eine faszinierende Rekonstruktion ihrer Person und ihrer Zeit. Zwischen rassistischen Repressalien und einer männerdominierten Branche singt sich Billie mit "Strange Fruit" ins Visier des FBI, das den Protestsong als Brandbeschleuniger der Bürgerrechtsbewegung einstuft. (Martin Nguyen)
Regie: James Erskine, GB 2020
Das Land meines Vaters
Es ist was faul im Staate Frankreich: Seit Jahrzehnten strampeln sich massiv verschuldete Landwirte am Existenzminimum ab, die Suizidrate ist enorm. In seinem ersten Spielfilm "Das Land meines Vaters" verarbeitet Édouard Bergeon seine eigene, tragische Familiengeschichte. Der Fokus liegt dabei weniger auf der Kritik an einer kapitalistischen, fremdbestimmten, chemie- und medikamentenverseuchten Landwirtschaft als auf der sehr persönlichen Anklage des tabuisierten Leids der Bauern. So muss Pierres Familie dessen Untergang voll Verstörung zusehen. (Sabina Zeithammer)
Regie: Edouard Bergeon, F 2019
The Booksellers
"The Booksellers" lässt Bücher-Narren und -Närrinnen in New York über ihre Leidenschaft sprechen. Bibliophil sind hier die letzten Buchhändler (nur noch 79 Buchgeschäfte gibt es aktuell in New York City), die weiter gegen steigende Mieten und den online-Handel kämpfen. Die Doku spannt den Bogen der Bücherliebe vom schrulligen Hamsterer bis zur Versteigerung von Leonardos "Codex" für 28 Millionen Dollar. Viel Zeit zum kontemplativen Schmökern bleibt leider nicht. (Dominique Gromes)
Regie: D. W. Young, USA 2021
The Human Voice
Eine freie Adaption des Einakters "Die menschliche Stimme" (1930) von Jean Cocteau: ein Telefongespräch zwischen einer Frau und ihrem Geliebten, die sich getrennt haben - die Geschichte einer großen Liebe, von Einsamkeit, Schmerz und Abhängigkeit.
Regie: Pedro Almodóvar, E 2020
Werkschau: Tag 1, Programm 4 - Highfalutin
Legenden und Fakten über den spätestens seit seiner Darstellung der transsexuellen Elvira Weishaupt in Fassbinders "In einem Jahr mit 13 Monden" legendären schwulen Schauspieler Volker Spengler: An einem Tisch im Berliner Szenelokal Diener Tattersall nehmen Freunde und Weggefährten - wie Margarita Broich, René Pollesch, Martin Wuttke, Susanne Sachsse, Marc Siegel, Wieland Schultz-Keil, Vaginal Davis, Inga Busch, Anna Heesen - Platz und auch Spengler selbst kommt zu einem seiner letzten großen Auftritte. Ein faszinierendes Dokument.
Regie: Hans Broich, Ö/D 2021
Viktor und Viktoria
Eins der wenigen vollendet gelungenen Beispiele für eine deutsche "Screwball Comedy": Der heisere Damenimitator Thimig lässt an seiner Stelle die als Mann verkleidete Kollegin Müller auftreten. Ihr Aufritt wird ein Bombenerfolg, so muss sie den Part auch im Leben immer weiterspielen. Als Londoner Gentleman: Adi Wohlbrück!
Regie: Reinhold Schünzel, D 1933
Invest in Failure (Notes on Film 06-C, Monologue 03)
Nach den Horrorikonen Lon Chaney und Boris Karloff durchmisst Avantgardist Pfaffenbichler im dritten Film seiner Monolog-Reihe das 160 Titel umfassende Werk des romantisch-grüblerischen Antihelden James Mason (1909-1984), der es vom britischen Kino nach Hollywood schaffte und mit Regisseuren wie Hitchcock, Minnelli oder Kubrick arbeitete.
Regie: Norbert Pfaffenbichler, Ö 2018

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