Guten Abend,

am Freitag hat uns Mesut, unser Mitarbeiter im Expedit, ein kleines, von ihm aufgenommenes Whats-App-Video geschickt. Es zeigt zwei rote Schwingtüren. Sie öffnen sich wie von Geisterhand und dahinter erstrahlt der "Rote Salon". Mesut hat uns den Raum offiziell zurückgegeben.

Der Salon ist natürlich gar kein Salon. Er ist ein nüchternes und etwas abgeranztes Sitzungszimmer, die Tische darin könnten auch aus dem Lehrerzimmer einer Schule der Neunzigerjahre stammen. Und dennoch bedeutet mir dieser Raum sehr viel: Es ist unser Konferenzraum, hier handeln wir den Falter aus, hier nehmen wir unsere Podcasts auf. Seit März 2020, dem Beginn der Pandemie, wurde der Salon als Bücherlager und Expedit benutzt. Unser Buchshop war enorm gewachsen, die Leute bestellten online bei uns, wir brauchten den Platz - und der Raum stand leer. Mesut zog ein und verpackte hier Tausende Bücher. Die Konferenzen hielten wir via Bildschirm ab.

Als es noch kein Corona und keine Sicherheitsabstände gab, versammelten wir uns hier jede Woche am Dienstagnachmittag. Ein Gast oder einer von uns machte die "Blattkritik" und dann diskutierten wir das Titelblatt, das Heft und die Schwerpunkte. Dann sprachen wir über das Storytelling und unsere Fehler. Manchmal stritten wir auch. Meistens waren wir danach wieder gut. Es rollte der Schmäh, manchmal auch die derbe Zote, einmal ließ ein junger weißer Mann vor allen die Hose herunter. Aber das ist lange her.

In unserem "Roten Salon" bewiesen wir uns Woche für Woche, dass wir eine "Redaktion", ein Team von Fachleuten, Diven, Exzentrikern, Intellektuellen, Streithähnen und Enthusiasten sind. Und nicht nur ein loser Verbund von freien Autorinnen und Autoren, verwaltet von einer kaputtgesparten Kernredaktion. Dahin nämlich geht bei vielen anderen Magazinen der Trend. Eine Redaktion aber streitet, debattiert, trinkt Kaffee, plaudert am Gang, heckt Geschichten aus, geht ins Kaffeehaus und montags nach Blattschluss müde nach Hause. Die Leserinnen und Leser sollen das dann im Blatt spüren.

Ich glaube ganz fest daran, dass die Zukunft einer Wochenzeitung auch davon abhängt, ob sie neben digitalen Innovationen auch ihre redaktionelle analoge Kultur pflegt. Eine Zeitung ist keine endlose Timeline, sie ist ein Werk. Eine Redaktion handelt aus, was ihr wirklich wichtig ist. Sie bietet der Leserschaft Orientierung und Auswahl, sie redigiert. Die Ergebnisse werden dann auf Papier oder in Newslettern, Podcasts oder in Videos und Social Media präsentiert.

Viele Redaktionen glauben dieser Tage auf diesen alten analogen Kram verzichten zu können. Wir glauben das nicht. Zuhause zu arbeiten mag kurzfristig die bequemere und billigere Option sein. Aber das ist ein vergiftetes Geschenk. Wenn sich Menschen nicht mehr treffen und persönlich kennenlernen, sterben irgendwann auch ihre sozialen Beziehungen ab.

Gestern haben wir uns daher zum ersten Mal wieder alle in der Redaktion getroffen. Und heute haben wir im Roten Salon erstmals wieder konferiert – geimpft und PCR-getestet wagen wir es wieder miteinander in einem Raum zu sitzen, um diese Zeitung auszuhandeln und zu gestalten. Ich bin ziemlich glücklich, nicht mehr alleine zu Hause zu arbeiten, sondern in diesem etwas abgewohnten, aber immer noch lebendigen Labyrinth in der Marc-Aurel-Straße 9, der besten und lebendigsten Redaktion der Stadt. Was für ein Privileg.

Ihr Florian Klenk

Ihr Florian Klenk

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Welche Verantwortung haben Medien in Zeiten der Pandemie? Wer soll in Talkshows reden dürfen und wer nicht? Wann endet Verantwortung und wo beginnt die Zensur? Meine Kollegin Barbara Tóth hat sich die sogenannte "False-Balance-Debatte" näher angesehen. Ihren lesenswerten Essay finden sie hier.

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Apropos Verantwortung und Streit: Ein Thema, über das wir vergangene Woche sehr stark debattiert haben, war die Frage, ob jene, die die Covid-Impfung ablehnen, einen Selbstbehalt bezahlen sollen, wenn sie auf die Intensivstation kommen. Ja, argumentiert Eva Konzett hier. Nein, entgegnet Nina Brnada.

empfehlung

Ein Hinweis in eigener Sache: Doris Glaser, Redakteurin der Sendung "Gedanken", bat mich kürzlich darum, über Journalismus in Zeiten der Propaganda zu reflektieren. Die Sendung können Sie hier nachhören.

videotipp

Vielleicht haben Sie es schon mitbekommen: Christian Bachler, der steirische Bergbauer, auch bekannt als "Wutbauer", absolviert diese Woche ein Praktikum beim FALTER. Was er bisher so erlebt hat, erzählt er Ihnen in diesem Video. Im September 2019 habe ich meinerseits ein Praktikum bei ihm auf der Krakauebene absolviert und habe dabei in kurzer Zeit so viel gelernt wie nie zuvor. Hier können Sie meinen Erfahrungsbericht von damals nachschauen.

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Die Wiener Ausstellungshäuser warten mit einem facettenreichen Herbstprogramm auf, von hochkarätigen Blockbustern samt millionenschweren Leihgaben reicht es bis zu radikaler Politkunst. Nicole Scheyerer und Matthias Dusini beschreiben in der Titelgeschichte unserer Kultur- und Programmbeilage, was man in der kommende Woche nicht verpassen sollte.

Von 17. bis 19. September findet ein abgespecktes, dafür möglichst Corona-sicheres Donauinselfest statt. Barbara Fuchs hat Projektleiter Matthias Friedrich dazu befragt. Die Serie "Leuchtkasten" präsentiert diesmal Arbeiten der großartigen US-Fotografin Susan Meiselas. Das Leseangebot komplettieren Kritiken zu Stücken in Josefstadt, Burgtheater, und Staatsoper, Empfehlungen für Lesungen, Konzerte, Kinderprogramme und Kunstereignisse sowie Rezensionen der neuesten Kinofilme.

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Der Film "Weiyena" der Austro-Chinesin Weina Zhao zeigt, wie schwer Vergangenheitsbewältigung auch im Reich der Mitte ist. Wie Europa der neuen Großmacht China begegnet, diskutieren im FALTER-Podcast die Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne), die oben genannte Filmemacherin Weina Zhao und die Sinologin Marlies Eder (Die Presse) mit Raimund Löw.

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