✍Johnny Cash, Elton John, Amy Winehouse, Freddie Mercury, Bob Dylan und viele andere waren schon dran. Nun hat auch Bruce Springsteen sein Biopic, einen Film also, der auf Fakten basierend aus seinem Leben erzählt. „Springsteen – Deliver Me From Nowhere“ von US-Regisseur Scott Cooper, ab morgen Donnerstag in den Kinos, ist jedoch keine dieser heroischen Rock- und Pop-Erzählungen, glänzend und funkelnd. Das würde auch…
FALTER.maily - Der fast tägliche Newsletter
Guten Abend!
Anders als glücklich: US-Serienstar Jeremy Allen White schlüpft überzeugend in die Rolle des Rockstars Bruce Springsteen, der Anfang der 1980er eine schwere Krise durchlebt (20th Century Studios)

Johnny Cash, Elton John, Amy Winehouse, Freddie Mercury, Bob Dylan und viele andere waren schon dran. Nun hat auch Bruce Springsteen sein Biopic, einen Film also, der auf Fakten basierend aus seinem Leben erzählt. „Springsteen – Deliver Me From Nowhere“ von US-Regisseur Scott Cooper, ab morgen Donnerstag in den Kinos, ist jedoch keine dieser heroischen Rock- und Pop-Erzählungen, glänzend und funkelnd. Das würde auch nicht passen zum Mann aus New Jersey, der zwar zu den größten Rockstars (und Liederschreibern) der Welt zählt, aber immer ein Zerrissener geblieben ist.

Meine Frau liebt den „Boss“ schon seit den Achtzigerjahren, meine jüngere Tochter, seit sie 2019 den entzückenden Kinofilm „Blinded By The Light“ gesehen hat, eine britische Coming-of-Age-Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht und der lebensverändernden Kraft von Springsteens Musik ein gleichermaßen unterhaltsames wie rührendes Denkmal setzt. Am 18. Juli 2023 standen wir dann alle drei relativ nahe an der Bühne, um Bruce Springsteen & The E Street Band gemeinsam live zu sehen.

Meine Frau hatte Tränen in den Augen, als der Sänger die Bühne betrat, so ergriffen war sie, noch vor dem ersten Ton, von seiner schieren Präsenz. Meine Tochter und ich brüllten Textpassagen mit, die nichts mit unseren eigenen Leben zu tun haben und uns doch so viel bedeuten; zu dritt erlebten wir einen einzigen dreistündigen Glückstaumel.

Meine Tochter war damals 18, nach dem Ende des Konzerts funkelten ihre Augen, alles an ihr strahlte. Klingt kitschig? Keine Sorge, die Erklärung von Springsteens Magie kommt erst. „Ich konnte letzte Nacht überhaupt nicht schlafen, obwohl ich erst spät heimgekommen bin“, erzählte meine Tochter tags darauf. „Das Konzert hat mich emotional derart aufgewühlt, und ich war viel zu euphorisiert davon, es hat noch Stunden danach in mir weitergearbeitet.“ 

Einige Wochen später traf ich eine Wiener Musikerin, mit der ich auch privat gern ein Schwätzchen halte. Sie selbst ist in Bob Dylan vernarrt; weil sie aber um meine Leidenschaft für Springsteen weiß, erzählte sie mir, dass ihr 81-jähriger Vater ebenfalls beim Konzert gewesen sei. Irgendwo weit weg von der Bühne, auf einem Sitzplatz. Ein weltoffener konservativer Mensch, der auf ein ereignisreiches Leben zurückblickt und bei der Vielfalt seiner kulturellen Interessen eben auch für Springsteen Platz hat.

Ob es ihm gefallen habe, fragte ich. Gefallen sei das falsche Wort, antwortete sie. Ihr Vater habe die Nacht nach dem Konzert kein Auge zugetan; Springsteen habe ihn derart aufgewühlt, dass die Kraft der Lieder und die Emotionen des Konzerts schlafraubend weiterwirkten. Wie schön, dachte ich: Durch seine einzigartige Präsenz und seine bei aller Schlichtheit doch so besonderen Lieder schafft es Springsteen in einem Fußballstadion vor 55.000 Menschen, die 18-Jährige direkt vor der Bühne ebenso intensiv und nachhaltig anzusprechen wie den 81-Jährigen irgendwo hinten auf den Rängen.

Die Diskografie des Musikers ist mit Meisterwerken gespickt, enthält aber auch allerlei Mediokres. Live aber ist er seit über 50 Jahren eine Macht. Völlig frei von Effekten verlässt er sich einzig auf die Wirkung seiner Musik, und es gelingt ihm dabei, das Gefühl zu vermitteln, er würde jede einzelne Person in dieser anonymen Masse direkt ansprechen, für die Dauer des Konzerts zu allen in einer engen Beziehung stehen.

Springsteen verkörpert auf der Bühne das Gegenteil von Bob Dylan. Ist der ewige Songwriter-Gott – dem der junge Kollege in den frühen Siebzigern glücklicherweise nur zwei Alben lang nacheiferte, bevor er seine eigene Sprache fand – ein hermetisches Wesen, das scheinbar ausschließlich für sich selbst spielt und an Interaktionen mit dem Publikum kein Interesse hat, sorgt sein Nachfolger als Größter unter den amerikanischen Liederschreibern für temporäre Gemeinschaften und kollektive Glücksmomente.

Er erzählt aus seinem Leben, scherzt, klatscht mit den Menschen vor der Bühne ab, schenkt einem Kind im Publikum seine Mundharmonika, hält Plädoyers für Menschlichkeit, Solidarität und Rücksichtnahme – und bei Bedarf äußert er sich auch unmissverständlich zum Präsidenten seines Landes. Spielt er dann wieder Musik, agiert er in einer eigenen Liga – egal, ob es einer seiner Klassiker oder eine vergessene Single-B-Seite ist.

Springsteens Geheimnis ist die Ambivalenz, die schier unversöhnlichen Kräfte von gleißendem Licht und starker Dunkelheit, die in ihm wirken. Er, der von der Bühne aus Millionen Menschen mit positiver Energie versorgt, leidet sein ganzes Erwachsenenleben lang schon an schweren Depressionen, und genau hier setzt der neue Film an.

Basierend auf „Deliver Me From Nowhere: The Making Of Bruce Springsteen’s Nebraska“, einem Buch des US-Journalisten Warren Zanes, erzählt er die Entstehungsgeschichte des Albums „Nebraska“ von 1982. Anfang dreißig nahm Springsteen – gebeutelt von den Dämonen seiner Kindheit mit gewalttätigem Alkoholiker-Vater und dauerbesorgter Mutter – dieses Meisterwerk alleine daheim im Schlafzimmer auf, roh, minimalistisch und unprofessionell; die Texte geprägt von Düsternis, Schmerz und Verlust.

Es sollte zur einzigen Homerecording-Platte der Popgeschichte werden, die in den Top drei der US-Verkaufscharts landet; es sollte den Boden bereiten für Springsteens Weg zum globalen Superstar, denn auch später veröffentlichte Welthits wie „Born In The U.S.A.“ entstanden in jenen Tagen; und es sollte den von Depression und Angstzuständen schwer gezeichneten Springsteen erstmals dazu bringen, professionelle Hilfe zu suchen.

All das erzählt der Film ruhig und ohne allzu viel dramaturgisches Schnickschnack, begleitet von einer fiktiven Liebesgeschichte mit einer Kellnerin sowie einer echten – jener zwischen dem Künstler und seinem kühl-analytischen, dabei aber stets loyalen und umsichtigen Manager Jon Landau. Jeremy Allen White, bekannt aus den Serien „Shameless“ und „The Bear“, verkörpert Bruce Springsteen glaubhaft und würdig, auch die Lieder des Meisters singt er mehr als passabel selbst.

Der Fokus liegt nicht auf dem Rockstar, sondern auf einem gequälten Menschen, dessen Leid aber weder klischeehaft ausgeschlachtet noch romantisch verklärt wird. „Springsteen – Deliver Me From Nowhere“ ist die Geschichte eines Scheiterns. Ein Scheitern freilich, das letztlich zu seinem Gegenteil wird – aber ohne Happy End in ungetrübtem Rosarot.

Man muss kein Fan sein und kein Vorwissen mitbringen, um diesen Film zu mögen. Ich werde ihn mir noch ein zweites Mal anschauen, diesmal mit Frau und Tochter.

Schönen Abend,

Bild von Gerhard Stöger
Ihr Gerhard Stöger

Heute für Sie auf falter.at:

Jetzt muss er also vor Gericht: Johannes Peterlik, ein ehemaliger Spitzenbeamter im Außenministerium. Er soll die Formel für Nowitschok, eine hochgefährliche Chemiewaffe, an einen mutmaßlichen Kreml-Spitzel weitergegeben haben (wir haben berichtet). Hinter dieser Agentengeschichte steckt aber mehr: Die Idee, einen russisch unterwanderten Geheimdienst in der Regierung zu installieren, schreibt Barbara Tóth: Vor fünf Jahren war Österreichs Demokratie in ernsthafter Gefahr – und niemand hat’s bemerkt.

Lesen Sie noch Tageszeitung? Vielleicht sogar auf Papier? Damit dürfte es in absehbarer Zeit vorbei sein. In Deutschland erscheint die traditionsreiche taz wochentags ab sofort nicht mehr gedruckt, sondern nur noch digital, berichtet Christine Zeiner aus Berlin. Andere Blätter könnten bald folgen - auch in Österreich?

Für schnelle Entschlüsse ist die Katholische Kirche nicht bekannt. Aber selbst für ihre Verhältnisse hat es ziemlich lange gedauert, bis ein Nachfolger für den scheidenden Wiener Kardinal Christoph Schönborn gefunden war. Jetzt hat Rom gesprochen. Der Neue heißt Josef Grünwidl, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, gilt aber als Reformer, schreibt Otto Friedrich: Er kann sich Frauen als Priesterinnen vorstellen, tritt für die Freiwilligkeit des Zölibats ein – und wollte den Job eigentlich gar nicht.

Anzeige

Anzeigenbild

Testen Sie jetzt Ihr Wissen rund um "Angabe der Person"!

Wir verlosen 3 x 2 Karten für die Vorstellung „Angabe der Person“ von Elfriede Jelinek, in der Regie von Sara Ostertag, am Sa 8.11.25, 16.00 im Landestheater Niederösterreich.

Mit ihrer gewaltigen Sprachkunst holt Elfriede Jelinek zu einem literarischen Ermittlungsverfahren gegen globale Geldströme und die Gier des großen Kapitals aus. Sara Ostertag schuf eine bildstarke, unter die Haut gehende Inszenierung. „Bunt, sinister, brillant“, Der Standard,  „Ostertag bringt „Angabe der Person“ zum Schweben“, Kurier.

Hier klicken und mitspielen


Springsteens schönste Songs

Zur Einstimmung auf sein Wien-Konzert 2023 habe ich für die FALTER:Woche ein Mixtape zusammengestellt, das anhand ausgewählter Lieder Bruce Springsteens mehr als 50-jährige Karriere nacherzählt. Den Text können Sie hier online nachlesen, die zugehörige Playlist finden Sie hier.


Aus Springsteens Archiven

Eine der vielen Ambivalenzen in Springsteens Leben: Er ist zwar die Stimme der US-Working-Class, hat selbst aber nie seinem Leben im klassischen Sinne gehackelt. Ein Schwerarbeiter ist er trotzdem, auch abseits der Bühne; um die Menge seiner unveröffentlichten Lieder ranken sich Mythen. Heuer ist unter dem schlichten Titel „Tracks 2. The Lost Albums“ eine Box erschienen, die gleich sieben (!) fertig produzierte, zuvor aber unveröffentlicht gebliebene Platten aus den letzten vierzig Jahren enthält. Ausschussware ist keine davon. Meine Rezension finden Sie hier.


Foto- und Kinokunst

Sie hielt der Gesellschaft den Zerrspiegel vor: Die Fotos von Lisette Model offenbaren Emotionen und Exzentrik, aber auch Verletzlichkeit. Die Albertina widmet der gebürtigen Wienerin und späteren New Yorkerin eine Retrospektive. Sie eröffnet am 30. Oktober; in der aktuellen FALTER:Woche stimmt Nicole Scheyerer mit einem wunderbaren Porträt der Fotografin bereits jetzt darauf ein (Empfehlung des Hauses: am besten im Print lesen, da kommen die eindrucksvollen Fotos besser zur Geltung!).

Anders als Lisette Model erfuhr Franz Kafka erst posthum große Wertschätzung. Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland würdigt den großen Autor mit dem Biopic „Franz K.“, Filmexperte Michael Omasta hat mit ihr darüber gesprochen – ebenfalls für unsere Kultur- und Programmbeilage.


Wie fanden Sie diese Ausgabe?
Nur durch Ihr Feedback können wir unseren Newsletter verbessern.

Sehr gut | Gut | Weniger gut | Schlecht

FALTER.maily Logo
Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: abo.falter.at
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren.
Unser FALTER.maily-Archiv finden Sie auf falter.at/maily.
Sie wollen in unserem Newsletter Werbung schalten? Alle Informationen finden Sie hier.
Teilen via FacebookTeilen via BlueskyTeilen via E-MailTeilen via WhatsApp
Sie sind bei unserem Newsletter mit folgender E-Mail-Adresse eingetragen:

Profil und Newsletter-Abos verwalten

Von allen Newslettern abmelden

Medieninhaber: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H., Marc-Aurel-Str. 9, 1011 Wien
FB: 123082d HG Wien
Impressum/Offenlegung
Datenschutz