Matan war der Freund eines Freundes einer Freundin und stand eines Sommers vor Jahren plötzlich vor unserer Wiener Haustür. Der junge Israeli hatte kurz davor seinen Zivildienst beendet und beschlossen, eben nicht Indien zu bereisen, was damals viele seiner Freunde taten. Stattdessen fuhr er auf den Spuren seiner Vorfahren, Opfer der Shoa, durch Frankreich, Deutschland, Polen und Rumänien. Zwischendurch machte er immer wieder Halt auf unserer Couch, mal alleine, mal in Begleitung. Unvergessen die Nacht, als er wieder vor der Tür stand, diesmal gemeinsam mit einer Belgrader Künstlerin und deren Hund.
Es war eine lustige Zeit mit Besuchen im Schweizerhaus ("This place is so unjewish") und nächtelangen Gesprächen über seine Kindheit mit etlichen Geschwistern in einer illegalen Siedlung im Westjordanland, seine religiösen Eltern und deren politischen Ansichten, die er immer weniger teilte. Matan ging irgendwann seinen eigenen Weg. Es war wohl auch diese tiefgreifende Emanzipation, die diesem feinen Kerl seine bemerkenswerte Zähigkeit beschert hatte.
Zum Beispiel, als wir einige Sommer später in der Jerusalemer Neustadt zu Abend aßen und ich plötzlich spürte, wie mein T-Shirt nass wurde. Gläser flogen durch die Luft, Tumult brach aus, Tische wurden umgeschmissen. Ein Mob junger Orthodoxer fegte durch die Straßen und lief zu einem Parkplatz neben dem Gastgarten, in dem wir saßen, auf einen palästinensischen Wachmann zu. Die Polizei musste den Mann beschützen. Während bei mir und allen anderen Hektik ausbrach, wurden Matans Bewegungen und Blicke immer konzentrierter und ruhiger.
Tage zuvor hatte es bereits ähnliche Szenen gegeben, junge Israelis hatten Jagd auf Palästinenser gemacht, sie abgepasst und rassistisch beschimpft. Einige von ihnen waren Matans Schüler, damals hat er in einem Jerusalemer Sprachinstitut Hebräisch unterrichtet, manche seiner Kursteilnehmer waren Palästinenser. Er ließ sie von den Übergriffen erzählen, die sich manches Mal auf dem Weg zum Sprachkurs ereigneten. Und dann fuhr er fort mit seinem Kurs, als wäre nichts gewesen.
Dieses Weitermachen, egal, was ist, war getragen von der Hoffnung, dass die Verhältnisse irgendwann besser werden würden. Eine Einstellung, die viele Israelis teilten, erzählt Matan.
Heute, sagt er, frage er sich, ob es die richtige Strategie war. Vielleicht machte sie den Rechtsruck in Israel nur noch schlimmer, schreibt er dieser Tage und: "I am feeling despair".
Denn die politische Situation in Israel sei unerträglich geworden, eine Gesetzesänderung, die das Wirken des Obersten Gerichtshofs begrenzt, bringt Israel an den Rand einer Staatskrise und Matan und seine Freundin dazu, ernsthaft zu überlegen, das Land zu verlassen. Als Nachfahre deutscher Juden hat Matan Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Seinen Antrag hat er bereits gestellt.