Warum Rassismus schon beim Vorurteil beginnt
Robert Misik in FALTER 4/2022 vom 28.01.2022 (S. 19)
Aladin El-Mafaalani hat ein schlaues Buch über rassistische Wissensstrukturen geschrieben - und den Widerstand dagegen
Als Rassist: in will heute keiner mehr gelten", schreibt Aladin El-Mafaalani gleich auf seinen ersten Seiten, der ostentative, gar biologisch begründete Rassismus (der von unterschiedlichen, sogar zu hierarchisierenden "Menschenrassen" ausgeht) ist nicht einmal mehr bei Rechtsextremen heutzutage leicht zu finden, doch "struktureller Rassismus" ist "tief verankert in den Wissensbeständen" einer Gesellschaft.
Rassistische Diskriminierung geschehe "latenter, subtiler und weitgehend auch ohne Absicht und bösen Willen". Ja, es gäbe sogar das Diskriminierungsparadox, nämlich dass Diskriminierung umso stärker angeklagt wird, je mehr sie abnehme. Aus zwei einfachen Gründen: Wenn eine Gesellschaft für diskriminierte Migranten beispielswiese (oder deren Kinder) so durchlässig wird, dass sie aufsteigen können, kommen sie erst in Sprecherpositionen, aus denen sie ihre Diskriminierungserfahrungen vernehmbar thematisieren können. Die total Marginalisierten hätten diese Chance gar nicht gehabt.
Zudem wird die "Illegitimität" rassistischer Diskriminierung noch deutlicher, wenn Leute alle Normen erfüllen, gute Bildung erwerben, genauso gut die Landessprache können wie "Autochthone" und dann dennoch als nichtzugehörig behandelt werden. Jemandem, der gerade erst ins Land gekommen ist und die Sprache nicht beherrscht, würde dies nicht notwendig als "illegitim" erscheinen.
Aladin El-Mafaalani ist Bildungs-und Erziehungswissenschaftler an der Universität Osnabrück mit Schwerpunkt Migrationsforschung und 1978 im Ruhrgebiet als Sohn syrischer politischer Exilierter geboren. Seinem Buch hat er den ebenso provokativen wie undurchsichtigen Titel "Wozu Rassismus?" gegeben. Nun hat Rassismus seinen "Nutzen", etwa für rechtspopulistische Volksverhetzer. Aber irgendeine "Nützlichkeit", die der Titel insinuiert, ist natürlich im gesamten Buch nicht zu finden. Im Gegenteil, Mafaalani zerlegt alle Stammtischweisheiten, etwa, dass "Rassismus" oder "Ablehnung des Fremden" leider zur menschlichen Natur gehöre.
Zur "menschlichen Natur" mag eine gewisse Vorsicht vor Unbekanntem gehören, aber ebenso Neugierde, sobald es sich als ungefährlich herausgestellt hat. Erst der Rassismus als ideologisierte Doktrin hat Letzteres ausgeschaltet. Er ist also, so Mafaalani, tatsächlich wider die menschliche Natur. Auch wenn es heute kaum mehr den biologistischen Rassen-Rassismus gibt, sondern mehr den kulturalistischen "Neo-Rassismus", der unterstellt, die "Anderen" seien eben durch Tradition, Herkommen, Religion oder ethnisch-kulturelle Prägung so "fundamental anders".
Umgeben wird das mit rassistischem Wissen, das jeder und jede von uns hat, mögen wir noch so dagegen ankämpfen. Schon der Begriff "Vorurteil" sei eigentlich Unfug, schreibt der Autor überzeugend, da er unterstellt, man habe ein instinktives Vorurteil, das Wissen "voraus" gehe.
Das Vorurteil bestehe aber eben immer aus den "typischen" Vorurteilen, die jeder kennt, ist also in Wahrheit "rassistisches Wissen". Gerade das subtile rassistische Wissen und dessen latente Benützung auch durch all jene, die gar keine böse Absicht hegen, reproduziert Ausgrenzungen fast "von alleine".
Ein wunderbares Buch, das in Duktus und Umfang wie eine Einführungslektüre daherkommt und dennoch intellektuell tiefgehend ist. Es erschlägt die Leserschaft weder mit ausufernder Wissenschaftlichkeit noch mit modischem akademischen Aktivistenjargon. El-Mafaalani ist ein schlauer Typ und deswegen ist ihm auch ein kluges Buch gelungen.