Gemeinsam gegen Gemeinsam

Von einsamen Gemeinsamen, Impfgegnern und Tennisspielern

Harry Bergmann
am 11.01.2022

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Alle gemeinsam? Nein! Foto: APA/Florian Wieser

„Gemeinsam oder einsam?“ lautete die wichtigste – zugegeben suggestive – Frage der 1992 begonnenen Kampagne zum EU-Referendum.

Ich will aber jetzt gar nicht über die EU reden oder darüber, dass manche Mitglieder diese Frage heute mit „Lieber einsam!“ beantworten würden und auch nicht darüber, dass viele in Großbritannien inzwischen „Lieber wieder gemeinsam!“ sagen würden. Nein, ich will über ganz etwas anderes reden, nämlich über das irreführende Gemeinsam. Dieses Gemeinsam wird ja fast täglich in der mittlerweile schon tragisch-komischen – nein, tragisch-tragisch-komischen – Pandemie-Krisenkommunikation beschworen. Aber was soll es sein, dieses Gemeinsam? Mit Sicherheit ist es nicht eindeutig. Es ist nämlich immer das Gemeinsam, in dem sich derjenige oder diejenige befindet, der oder die es gerade einfordert.

Nehmen wir zum Beispiel die 40.000, die am letzten Wochenende in Wien bei Eiseskälte demonstrierten. Identitäre vorne, Identitäre hinten, aber lassen wir dieses Thema heute einmal aus. Bleiben wir einfach bei den stinknormalen Corona-Skeptikern, Masken-Verweigerern, Abstand-Ignorierern und Impf-Gegnern. Ich lasse das Händewaschen weg, in der Annahme, dass es immer noch einen überwältigenden Anteil an Händewaschen-Befürwortern in allen Teilen der Gesellschaft gibt, solange nicht mehr als ein- bis zweimal am Tag gewaschen wird. Die Kälte- und Logikunempfindlichen waren auch gemeinsam. Und wie gemeinsam die waren! Schließlich haben sie ja einen gemeinsamen Feind. Die, die ihnen das alles eingebrockt haben, an das sie sich eh nicht halten.

Sollte irgendjemand auch nur im Entferntesten daran glauben, dass mit dem Gemeinsam „wir alle“ gemeint sein könnten, dann möge er sich das bitte schleunigst abschminken. „Wir alle“ gibt es schon lange nicht mehr. Es gibt ja auch keinen, der „für uns alle“ zuständig wäre. Politiker jedenfalls sicher nicht. Da hat jeder seine Leut‘, die er mit künstlicher Aufregung gegen die Leut‘ des anderen Politikers ausspielen muss.

Politik ist schließlich ein Beruf und keine Berufung. Oh doch, einen gäbe es, den wir sogar direkt gewählt haben. Aber der moderiert jetzt lieber Kindersendungen für Erwachsene. Dabei könnte er es auch ganz anders, zumindest konnte er es ganz anders. Sie sollten einmal seine Abschiedsrede im Parlament googeln. Großartig, Herr Professor. Großartig!

Was wir hier haben, ist also eine Situation von „Gemeinsam gegen Gemeinsam“ und keine Rede mehr von „Gemeinsam gegen Einsam“. Der skurrile Höhepunkt dessen spielt sich gerade in Australien ab. Australien gemeinsam gegen Serbien gemeinsam. Novak Djokovic, der Karl Schranz von Serbien, will ausgerechnet dort Tennisspielen, wo das nur den Geimpften gestattet ist. Er, der Impfgegner, will aber eine Ausnahme, schließlich ist er ja auch ein Ausnahme-Spieler. Vielleicht kriegt er diese Ausnahme, vielleicht auch nicht. Vielleicht war er tatsächlich Corona positiv (zum zweiten Mal), vielleicht auch nicht. Vielleicht besuchte er einen Tag nachdem er positiv getestet wurde – ohne Maske und ohne Abstand – eine öffentliche Veranstaltung, vielleicht auch nicht. Ein Match bei der Australien Open geht jedenfalls auf 3 gewonnene Sätze und da kann noch viel passieren. Es bleibt also spannend.

Aber was haben wir in Little Austria damit zu schaffen? Wir können etwas von Djokovics Entschlossenheit lernen, nämlich von der Entschlossenheit, sich nicht impfen zu lassen.

Glauben Sie, dass es bei „unseren“ Nicht-Geimpften noch immer Unentschlossene gibt? Ich nicht. Sorry, ich kann mir diese Person einfach nicht vorstellen, die ein Jahr lang alle Pro-Impfen-Argumente von allen bedeutenden Experten dieser Welt gehört hat und noch immer nicht weiß, was sie tun soll. Nein, diese Person ist einfach fest entschlossen, sich nicht impfen zu lassen. Warum auch immer. Daher verstehe ich auch „Wahlzuckerln“ wie 500 Euro Impf-Scheck oder Impf-Lotterie nicht. Und wenn schon Boni, warum dann die Impfpflicht? Wenn Du mein Geld nicht willst, renne ich Dir – „sunsta, sunsta“ schreiend – mit der Impfnadel nach? Das alles erinnert schon sehr an Goethe. „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“

Und jetzt auch das noch: Omikron. Die Virus-Mutation, die wir brauchen, wie einen Kropf. Und schon lachen sie und klopfen sich auf die Schenkel, die Kälteunempfindlichen: „Ha, ha, jetzt kriegen es auch die Geimpften!“ Und unser ganz neuer Herr Bundeskanzler geht mit schlechtem Beispiel voran: er kriegt es doch tatsächlich und wird zum Testimonial in der „alles wurscht, wir kriegen es jetzt eh alle“-Kampagne.

Dabei waren wir gerade so gut auf dem „Österreichischen Weg“ unterwegs: Omikron durchrauschen lassen (denn gerade im Fasching sind wir Weltmeister im Durchrauschen), aber zu feig sein, es zuzugeben.

Für alle, die sich mit diesem „Wir kriegen es eh alle“ nicht abfinden wollen, gilt zumindest für das Sozialleben der nächsten Wochen der vielzitierte Paradigmenwechsel. Von „Lieber gemeinsam, als einsam“ zu „Lieber einsam, als gemeinsam“.

Guten Jahresstart und bleiben Sie gesund, wünscht

Ihr Harry Bergmann

Meine extra für den Jahresstart abgeänderte Bio hat offensichtlich keine Beachtung gefunden. Erstens hat mich niemand überreden wollen, weitere Kolumnen zu schreiben, zweitens hat sich mein Verleger nicht bei mir gemeldet (wahrscheinlich hat er mich schon vergessen) und drittens hält sich die Begeisterung von potentiellen Kunden ebenfalls in Grenzen. Mir bleibt wohl nur mehr das Durchrauschen bis 2023.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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