Der Fall Currentzis

Nach der Absage eines Benefizkonzertes im Wiener Konzerthaus gerät dessen Intendant Matthias Naske ins Zwielicht.

vom 14.04.2022

Darf ein Orchester, das von einer Putin-Bank finanziert wird, ein Benefizkonzert für die Ukraine spielen? Vor diese Frage sah sich das Wiener Konzerthaus gestellt, das am 12. April einen Auftritt des Dirigenten Teodor Currentzis mit dessen Musica Aeterna Orchestra organisierte. Die Einnahmen sollten der Caritas Ukraine-Nothilfe zugute kommen. In letzter Sekunde musste der Abend abgesagt werden. Die Ukrainische Botschaft ließ wissen, dass sie das Geld nicht haben will.

Das Scheitern war vorprogrammiert. Currentzis ist zu sehr mit dem russischen Establishment verbandelt, als dass er die Rolle eines neutralen Humanisten überzeugend spielen könnte. Der gebürtige Grieche absolvierte einen Teil seiner Ausbildung in St. Petersburg. In Nowosibirsk gründete er schließlich das Musica Aeterna Orchestra. Der Klangkörper wird von der staatlichen russischen VTB Bank finanziert, die von westlichen Sanktionen betroffen ist.

Currentzis wohnt in St. Petersburg und besitzt die russische Staatsbürgerschaft. Salbungsvoll beschwört er die spirituelle Erneuerung der Musik, für den Angriffskrieg in der Ukraine fand er bisher aber keine kritischen Worte. Bereits Anfang April protestierte die in Wien lebende ukrainische Geigerin Vira Zhuk in einem Brief an das Konzerthaus: „Russland schließt ganz klar an eine sowjetische Tradition an, Kultur als wichtigstes Sprachrohr seiner Propaganda zu missbrauchen.“

Intendant Naske verteidigt das Konzert auf Nachfrage des Falter: „Currentzis und sein Orchester haben sich klar positioniert. Der geplante Auftritt kann nicht als Kreml-Propaganda verstanden werden. Eher im Gegenteil ist wohl davon auszugehen, dass diese Haltung im Kreml als illoyaler, wenn nicht gar feindlicher Akt wahrgenommen wurde.“

Ein Journalist hielt dagegen. „Was reitet Konzerthaus-Intendant Matthias Naske zu diesem wirklich absurden Benefiz-Reinwaschungs-Konzert?“, schreibt der in Wien und Bremen lebende Musikkritiker und Autor Axel Brüggemann im Online-Magazin crescendo.de. Naske warf Brüggemann auf Ö1 Wichtigtuerei vor. Ein Kritikerkollege seufzte: „Nicht einmal Benefizkonzerte für Kriegsopfer sind heutzutage davor gefeit, unter die Räder militanter Moralapostel zu geraten“, schrieb Wilhelm Sinkovicz in der Presse.

Brüggemann fand Erstaunliches heraus. Naske ist im Stiftungsrat der Musica Aeterna Stiftung mit Sitz im Liechtensteinischen Vaduz. Der Zweck der gemeinnützigen Stiftung ist allgemein die Förderung der Tätigkeit von Musikorganisationen. Konkret wickelt sie die Aktivitäten des Musica Aeterna Orchesters in Europa ab. Naske bestreitet, dass die Stiftung Geld aus Russland bekommt. Sie diene lediglich dazu, dem Klangkörper eine wirtschaftliche Struktur zu geben. Die Stiftung habe ihre Tätigkeit mit Konzerteinnahmen und Spenden von privaten Gönnern finanziert.

Brüggemann entdeckte ein weiteres, interessantes Detail. Am 24. Februar, dem ersten Kriegstag, feierten Naske und Rico Gulda, der Künstlerische Betriebsdirektor des Konzerthauses, den 50. Geburtstag Currentzis in St. Petersburg: „Der Krieg wurde nicht thematisiert, dafür floss reichlich Schaumwein.“ Naske bestätigt zwar die Reise, verwahrt sich aber gegen die Symbolik: „Mich so darstellen, als hätten wir in Ignoranz gegenüber dem Unrecht des Krieges in Moskau gefeiert, ist untergriffig“, sagt Naske. Weder trank er Champagner noch war das Ausmaß des Krieges damals erahnbar. Der Fall Currentzis bekommt damit eine Wendung. Die Frage ist nicht mehr, ob der Dirigent im Konzerthaus auftreten sollte, sondern ob dessen Intendant über genügend Taktgefühl verfügt.

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