Biografie einer Aufrechten unter miesen Mitläufern
Barbaba Tóth in Falter 3/2022 vom 2022-01-21 (S. 20)
Harald Walser erzählt die lang verdrängte Lebensgeschichte von Maria Stromberger, die als Krankenschwester im KZ Auschwitz Leben rettete
Im April 1946 schalteten mehrere österreichische Zeitungen Fahndungsaufrufe. Gesucht wurde eine Krankenschwester namens Maria Stromberger, die im Konzentrationslager Auschwitz Inhaftierte mit Phenolspritzen ins Herz getötet haben soll. Das war die Vernichtungsmethode der Nazis, bevor sie ab 1941 das Giftgas Zyklon B für ihre Massentötungen einsetzten. Stromberger, damals 48 Jahre alt, wurde wenig später verhaftet und ins Internierungslager in Brederis bei Rankweil in Vorarlberg eingewiesen. Dort saß sie mit hochrangigen Nazis ein.
Es dauerte ein halbes Jahr, bis auch in Österreich begriffen wurde, wer diese Maria Stromberger wirklich war: keine Kriegsverbrecherin, sondern eine Heldin des Widerstands. In Haft schrieb Stromberger einen verzweifelten Brief an einen polnischen KZ-Häftling, den sie in Auschwitz betreut hatte und der dank ihrer Hilfe überlebte.
Unter den polnischen KZ-Überlebenden machte die erschütternde Nachricht aus Vorarlberg schnell die Runde. Unsere Maria, die uns so selbstlos geholfen und im Widerstand unterstützt hatte, in Haft? Die uns Essensrationen zugesteckt, Milch abgezweigt, Fotos und Informationen in Zahnpastatuben oder Haarbürsten versteckt aus dem KZ rausgeschmuggelt, ja sogar Waffen und Sprengstoff in unserem Auftrag transportiert hatte? Die dafür gesorgt hat, dass wenn einer von uns krank war, wir nicht zur Vergasung freigegeben wurden, sondern uns heimlich gepflegt hat, damit wir überleben? Die für uns wie eine Mutter war, polnisch lernte und mit ihrer offensichtlichen Fürsorge ihr eigenes Leben riskierte?
"Rettet Schwester Maria" titelte die Krakauer Zeitung Echo Krakowa im August 1946, ihr Chefredakteur, genauso wie der spätere polnische Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz, waren Häftlinge in Auschwitz und Mitglieder der dortigen Widerstandsbewegung gewesen. Cyrankiewicz, damals Generalsekretär der Polnischen Sozialistischen Partei, intervenierte bei den französischen Behörden, die in Vorarlberg als Alliierte damals bestimmten. So kam Stromberger frei.
Aber Anerkennung? Dank? Der blieb der Krankenschwester in Österreich zeitlebens verwehrt. Während sie in Polen als "Engel in der Hölle von Auschwitz" verehrt wurde, während sie in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz im Österreich-Teil sogar prominent gewürdigt wurde, war sie in ihrer Heimat nur innerhalb der KZ-Überlebenden-Verbände, die von Kommunisten dominiert waren, ein Begriff.
Als Maria Stromberger 1957 starb, erschienen in der kommunistischen Volksstimme und, überraschend, auch in der katholischen Furche kurze Nachrufe. Stromberger war gläubige Katholikin, aber keine Kommunistin. Sie war weder Opfer noch Täter, sondern eine mutige Einzelkämpferin, die in einem Terrorsystem versuchte zu helfen, wo es nur ging. Aus ihrer Lebensgeschichte ließe sich problemlos eine Netflix-Serie drehen, die viel über Aufrichtigkeit mitten im Unrecht erzählt. Aber Stromberger hat ihr Handeln nie glorifiziert, sondern lebte nach dem Krieg höchst bescheiden und zunehmend vereinsamt und depressiv. Nur einmal machte sie Schlagzeilen, als sie 1947 in Warschau im Prozess gegen den ehemaligen KZ-Kommandanten Rudolf Höß aussagte.
Sie passte in keine der Schubladen, die Österreich in den Nachkriegsjahren für seine Vergangenheit parat hielt. Sie hätte wohl viele ihrer Landsleute in ihrem Mitläufertum beschämt. Es sollte bis in die 1980er-Jahre dauern, bis ihre Lebensgeschichte aufgearbeitet wurde. Der Historiker und Ex-Politiker Harald Walser hat einen großen Anteil daran. Sein Buch, für das er auch Strombergers Nachlass auswerten konnte, setzt ihr ein würdiges Denkmal.