„Lachen ist ein Befreiungsakt“

Die Performancekünstlerin Magda Leeb und der Schauspieler Gregor Seberg improvisieren ein Kabarettprogramm. Ein Gespräch über Spinnen, Brennpunktschulen und die Wange des Großvaters

FALTER:Woche, FALTER:Woche 36/2021 vom 07.09.2021

Foto: Heribert Corn

Das kann schon passieren. Sobald in der Pandemie Auftritte wieder möglich waren, wollten alle auf die Bühne. Und dann steht man plötzlich zu zweit da und weiß nicht, wie einem geschieht. „Doppelbuchung“ heißt das Kabarettprogramm der Improvisationskünstlerin Magda Leeb und des Schauspielers Gregor Seberg, und mehr als diese Rahmenhandlung kann auch nicht verraten werden.

Denn der große Rest ist Improvisation. Während Seberg sich zum ersten Mal darin versucht, ist Leeb seit Jahren ein Profi der spontanen Performance. Die beiden spinnen Assoziationsketten, aus denen kurze Sketches entstehen. Nach der Pause – eine bewährte Methode Leebs aus früheren Programmen – schreiben die Besucherinnen und Besucher Begriffe auf Zettel, die sie auf die Bühne legen. Daraus kreieren Leeb und Seberg weitere Szenen.

Im Interview sollte es zuerst um die Kunst der Improvisation gehen und danach um die Lebensgeschichte der beiden, die sie auf die Bühne geführt hatte. Doch ein Satz über die Kindheit führte zur Volksschule und zu den Zeitschriften, die man als Kind dort bekommen hat. Also beginnt das Gespräch bei der Spatzenpost.

Falter: Frau Leeb, Herr Seberg, haben Sie die Spatzenpost gelesen?

Magda Leeb: Ja sicher. Dann Junges Volk und später Topic.

Gregor Seberg: Die kenne ich alle drei nicht, aber dort, wo ich aufgewachsen bin, waren Printmedien nicht vorrangig wichtig für heranwachsende Buben.

Wie haben Sie die Schulzeit erlebt?

Seberg: In der Schule habe ich Watschen und Strafen bekommen. Meine erste literarische Erinnerung ist mein Opa, der Wildwestromane gelesen hat. Ich bin auf seiner Wange gelegen und habe ihm stundenlang zugeschaut. Das Lauteste war das Ticken der Uhr. Und alle vier Seiten war zwischen den Kapiteln eine Winchester oder ein Colt aufgezeichnet. Darauf habe ich immer gewartet.

Leeb: War das ein rasierter Opa?

Seberg: Ja, auf der Wange meines Opas war der schönste Platz.

Sie sind bei den Großeltern aufgewachsen. Wie war das?

Seberg: Mein Opa war ein wahnsinnig liebender, gütiger, toller Opa. Und die Oma war eine total liebe, gütige, aber auch strenge Oma. Sie hatte beides: die strenge Schürhaken-, Pracker-, Ohrfeigen-, Scheitelknien-Oma, und die liebevolle Oma. Nachdem der Opa gestorben war, hat die Oma das Reisen für sich entdeckt. Sie ist mit dem Englischwortschatz „No speak Englisch“ nach Australien geflogen und hat ihr Visum irgendwo auf der Hinfahrt verloren. Sie hat erzählt: „Ich habe denen so oft ‚No speak Englisch‘ gesagt, bis sie mich ohne Visum reingelassen haben.“ Sie war super.

Sie haben schon öfters in Interviews erwähnt, dass Sie in Ihrer Kindheit in einem Glasscherbenviertel gewohnt haben.

Seberg: Das war in der Triestersiedlung in Graz. Sie liegt zwischen dem Zentralfriedhof und der Haftanstalt Karlau und war in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, bekannt für Gesetzlosigkeit. Viele Männer sind schon mit 16, 17 im Gefängnis gelandet und viele junge Frauen auf der Straße. Es war ein verlassenes Viertel, aber erschwinglich.

Frau Leeb, Sie sind mit Spatzenpost und ohne Ohrfeigen aufgewachsen.

Leeb: Richtig. Hätte ich eine von meinem Lehrer gekriegt, hätte ich es meiner Mama erzählt. Und die hätte sofort eine große Szene in der Schule gemacht. Aber ich habe recht gern gerauft. Also, ich habe mich nicht ständig geprügelt, aber ich konnte mich schon wehren, wenn ich den Eindruck hatte, dass mir jemand zu nahe kommen will. Ich war auch ein robustes Kind. Mich hätte es nicht so schnell davongeweht.

Wo haben Sie Ihre Kindheit verbracht?

Leeb: In einem eher unspektakulären Teil von Ottakring. Nicht auf dem Wilhelminenberg, wo es ganz fein ist, und auch nicht auf dem Brunnenmarkt, sondern dazwischen, in der Bandscheibe. Das war sehr beschaulich und auch ein bisschen lockerer, als ich mein Kind jetzt aufwachsen sehe. Diese Bespaßungsmaschinerie ist noch nicht über mich drübergewalzt.

Womit haben Sie sich als Kind beschäftigt?

Leeb: Ich war ganz eifrig in der katholischen Jungschar, habe Klavier gespielt und Jazz Dance gemacht. Ich wollte ganz lange Pianistin werden. Ich war davon beseelt, dass ich wahrscheinlich der nächste Vladimir Horowitz sein werde. Das hat sich schnell geändert, als ich bei einem Vorspielen war.

Herr Seberg, was wollten Sie einmal werden?

Seberg: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ich eines Tages Naturforscher sein werde. Ich bin viertelgebildeter Zoologe.

Was heißt das?

Seberg: Ich bin wahnsinnig tierverliebt, lese auch alles nach, kenne mich gern aus. Wenn ich groß bin, werde ich Zoologe.

Sagen Sie jetzt noch immer?

Seberg: Ja, ich glaube das auch noch immer. Das ist eigentlich meine Berufung. Als Kind hatte ich Spinnen, Käfer und andere Tiere. Ich bin ein paar Mal mit einer Krabbenspinne spazieren gegangen. Das ist die, die kein Netz spinnt, sondern unter der Blüte wartet und von hinten die Bienen anhüpft.

Warum sind Sie nicht schon längst Zoologe geworden?

Seberg: Mit 13 musste ich mit meiner Mutter nach Wien ziehen. Ich habe mich in der neuen Schule als Außenseiter gefühlt. Die Leute haben Hochdeutsch und Wienerisch geredet. Hochdeutsch war das Peinlichste, was es gibt, und Wienerisch das Schiachste. Und ich habe beschlossen, gar nichts mehr zu sagen. Meine einzigen Freunde waren Lyriker, je trauriger, desto besser. Georg Trakl zum Beispiel habe ich verehrt. So ist Sprache mein Steckenpferd geworden. Über die Lyrik kam ich zur Literatur, die mich zur Theaterliteratur gebracht hat. Ich war in der Bühnenspielgruppe, habe zuerst Germanistik und als Zweitfach Theaterwissenschaft studiert.

Warum nicht Biologie?

Seberg: Mich hat der Kosmos der Literatur interessiert, weil ich dadurch, dass ich etwas lesen kann, die Möglichkeit habe, überall hinzureisen. Wenn ich mir etwas vorstellen kann, dann gibt es das auch. Ich kann überall eindringen. In Menschen, in schiache Situationen, aber auch in schöne und lustige. Dann habe ich studiert und bin draufgekommen, dass man an der Uni nur darüber redet, es aber nicht tut. Das war mir zu passiv. Also bin ich Schauspieler geworden.

Frau Leeb, was wollen Sie – wie Herr Seberg – einmal werden, wenn Sie groß sind?

Leeb: Ich bin es tatsächlich schon geworden. Ich wollte immer auf die Bühne.

Warum?

Leeb: Eigentlich hat es mir schon immer den Kasperl rausgehaut, aber ich habe mich nicht getraut, auf eine Schauspielschule zu gehen. Ich dachte, ich lerne lieber zuerst etwas Bodenständiges. Lehrerin zu sein ist ein wunderschöner Beruf – und hat auch viel mit Bühne zu tun. Es hat einen performativen Charakter.

Waren Sie eine Lehrerin, die den Unterricht zur Performance gemacht hat?

Leeb: Ich habe mich sehr bemüht. Sonst wird es ja fad. Ich wollte gern für jede Gruppe das vorbereiten, was zu ihr passt. Man hat verschiedene Klassen, und bei manchen kommt es nicht gut an, wenn man vorne steht und wahnsinnig lustig ist. „Know your audience“ war das Motto, und das ist auch für die Bühne wichtig. Man muss schnell abchecken, wie die Leute drauf sind. Dafür war die Schule eine gute Übung.

In Ihrem Soloprogramm „Kaiserin von Österreich“ haben Sie in einem improvisierten Sketch die Bildungspolitik angesprochen. Lässt Sie das Thema nicht los?

Leeb: Wenn dieses Fass auf der Bühne aufgestochen wird, muss ich sehr aufpassen, dass nicht der ganze Abend ein bildungspolitischer Diskurs wird. Das ist vielleicht wie bei Gregor das Naturthema. Da kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken und mich aufzuregen.

Was regt Sie auf?

Leeb: Es gibt sehr viele Ungerechtigkeiten in der österreichischen Bildungslandschaft. Lebenswege sind viel zu früh schon vorgezeichnet.

Meinen Sie damit, dass man schon nach vier Jahren Volksschule entscheidet, ob ein Kind ins Gymnasium oder in die Hauptschule geht?

Leeb: Zum Beispiel, ja. Auch den Begriff „Brennpunktschule“ lehne ich ab. Ich verstehe schon, dass Kolleginnen und Kollegen an den sogenannten Brennpunktschulen eine andere Art von Arbeit leisten müssen oder auch in andere Bereiche vordringen müssen. Aber am Ende des Tages sitzen da Kinder, und Kinder sind keine Brennpunkte. Kinder sind Kinder, egal, woher sie kommen und welchen Background sie haben. Manche brauchen vielleicht mehr Zuwendung oder mehr Unterstützung, aber ich finde das Stigmatisieren von Menschengruppen einfach unmöglich.

Sie haben 20 Jahre unterrichtet, konnten Sie für sich etwas verändern?

Leeb: Du kannst immer für deinen eigenen Unterricht geradestehen, aber systemisch tut sich nicht viel. Viele sozial orientierte Berufsgruppen sind mit einer Dokumentationswahnsinnigkeit konfrontiert. Die Bürokratie wird jedes Jahr mehr, und das ist ein Problem. Das Leben der Kinder wird dokumentiert, anstatt dass man schaut, was sie brauchen und wie man ihnen helfen kann.

Warum haben Sie sich entschieden, den Lehrberuf gegen die Bühne zu tauschen?

Leeb: Als ich Mitte 20 war, habe ich mit Improvisationstheater angefangen, eher als Gaudi. Dann ist es immer mehr geworden.

Hatten Sie nie Angst vor Improvisation? Dass Ihnen auf der Bühne nichts einfällt?

Leeb: In der Stunde davor geht es mir meistens ganz schlecht. Da denke ich mir dann, dass der Auftritt eine ganz blöde Idee war. Aber sobald ich auf der Bühne bin, ist es weg. Es ist der größte Spaß, den ich mir vorstellen kann.

Wie funktioniert Improvisation? Wie entstehen die Assoziationsketten, aus denen dann die Sketches werden, die Sie aufführen?

Leeb: Ein Wort, ein Bild, ein Zuruf erinnert dich an etwas. Dann sprichst du das aus. Ist man zu zweit auf der Bühne, reagiert der andere. Es hat etwas mit kindlichem Erzählen zu tun. Wenn Kinder reden, vermischt sich die Wahrheit mit dem, was sie dazuerfinden. Man merkt, dass sie austesten wollen, wie weit sie sich aus dem Fenster lehnen können, was man ihnen noch glaubt. Und Impro ist nichts anderes. Man tut „als ob“: „Tun wir so, als wären wir alle Raumfahrer, und sagen wir, du bist der jüngste Raumfahrer, ich die älteste, und ich habe Flugangst, und jetzt geht’s los!“

Seberg: Und das Krokodil ist auch dabei. Es kann aber nicht fliegen, und ihm wird schlecht.

Leeb: Es hat noch eine Zahnspange, und deshalb kann es nichts sagen und liegt so in der Ecke. Natürlich kann es sein, dass man mittendrin merkt, dass die Geschichte nicht lustig ist. Damit muss man leben.

Seberg: Ich glaube, dass das, was die Magda und ich machen, für die Menschen tatsächlich wichtig ist. Meine sonstigen Programme sind immer politisch aufgeladen. Braucht nur einer „Kurz“ gesagt haben, schon geht’s los. Aber unser Impro-Abend bietet überraschende, einfache, nachvollziehbare Geschichten, über die man lachen kann. Das hat etwas Therapeutisches. Ich denke oft darüber nach, warum der Mensch so gern lacht. Und ich glaube, es hilft uns beim Denken. Es erzeugt eine Art kathartisches Moment.

Leeb: Lachen ist ein Befreiungsakt. Zusätzlich ist es bei unserem Programm so, dass das Publikum etwas zur Show beitragen kann. Und die gibt es nur ein einziges Mal. Hast du sie nicht gesehen, warst du nicht dabei. Das ist schön. Natürlich ist es manchmal schade, wenn du die beste Geschichte des Jahres erzählst und weißt, okay, die kommt nicht wieder.

Herr Seberg, Sie haben im Gegensatz zu Magda Leeb bisher keine Impro-Programme auf die Bühne gebracht. Wie geht es Ihnen damit?

Seberg: Auch beim Theaterspielen erfinde ich gern etwas dazu oder lasse es weg. Manche meinen auch, ich hätte den Text besser lernen sollen. Ich wiederum finde, der Text ist eine Empfehlung des Autors. Der schlägt etwas vor und man entscheidet, ob man das so spielt oder nicht. Auch bei meinen eigenen Programmen mache ich das so: Was interessiert mich, was ich gestern geschrieben habe? Da steht oft nur ein Wort. Ich will, dass jeder Abend einmalig ist. Ich gehe auch gern auf die Leute ein und improvisiere mit ihnen.

Wie wichtig ist denn die Kontrolle bei der Improvisation?

Leeb: Es gibt schon Regeln. Zum Beispiel: „Akzeptiere, was dein Partner sagt.“ Sagt dein Partner: „Hallo Oma“, sagst du nicht: „Ich bin nicht deine Oma“, auch wenn du eigentlich eine Passantin spielen wolltest. Außerdem kann man üben, Geschichten zu erzählen. Man fängt mit Drei-Satz-Geschichten an: „Herr Karl fährt jeden Tag mit der Straßenbahn in die Arbeit. Am Dienstag sind die Schienen kaputt. Herr Karl geht zu Fuß.“ Fertig. Das ist der Held der Geschichte, und die Geschichte kannst du ausbauen: Der Held trifft noch einen Kompagnon, der Held hat noch ein größeres Problem, der Held scheitert, das Problem zu lösen, der Held überlegt sich Plan B. Jeder Hollywoodfilm ist so aufgebaut.

Herr Seberg, trainieren Sie die Improvisation, wie Frau Leeb es vorschlägt?

Seberg: Ich mag schon das Proben am Theater nicht. Ich kenne Kollegen, die proben so gerne, weil sie sagen, da fühle ich mich so frei. Ich denke mir: Da geht’s um nix! Wenn Leute drinnen sitzen, kannst du alles ausprobieren. Und keine Regie kann es dir verbieten. Übrigens, eines mag die Magda nicht: Wenn sie die Mama ist.

Warum nicht?

Leeb: Das Schöne an der Improvisation ist eigentlich, dass ich eine 80-Jährige oder eine 14-Jährige sein kann. Trotzdem ist es oft so, wenn ich mit jüngeren Kolleginnen spiele, dass ich dann die Mama bin und nicht umgekehrt. Es ist diese Gewohnheit, Menschen sofort nach Alter, Geschlecht und so weiter zu kategorisieren, obwohl man es gar nicht müsste.


Magda Leeb,

1976 in Wien geboren, arbeitete 20 Jahre lang als Hauptschullehrerin. Dann wechselte sie ins Genre Impro-Kabarett. Als Improvisationskünstlerin und Kabarettistin tritt sie im Duo mit Anita Ziehrer und auch solo auf. Ihr aktuelles Programm trägt den Titel „Die Kaiserin von Österreich“

Gregor Seberg,

1967 in Graz geboren, ist Schauspieler, Autor und Regisseur. Einem breiten Publikum wurde er unter anderem durch seine Rolle als Oberstleutnant Helmuth Nowak in der ORF-Krimiserie „Soko Donau“ bekannt. Seberg brachte bisher vier Solokabarettprogramme auf die Bühne. Sein aktuelles heißt „Wunderboi“ (2019)


„Doppelbuchung“ ist das erste gemeinsame Programm von Magda Leeb und Gregor Seberg

Kulisse, 12.9., 20 Uhr

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