Armin Thurnher in Falter 51/2020 vom 2020-12-18 (S. 44)
Yotam Ottolenghi ist der Koch der Röstkarottenküche. Aus seinem Buch stammen Karottensalat und Süßkartoffeln im Menü. Kein anderer hat in seinen Kochbüchern so sehr dem neuen Geschmack zum Durchbruch verholfen, kein anderer hat die vegetarische Küche so modernisiert und chic gemacht, dass man von einer Art World Music der Küche sprechen kann. Röstaromen, Kreuzkümmel, Kardamom, Chiliflocken, Sumach, aber auch Knoblauch, Zitrusfrüchte und dergleichen prägen sie, gern in neuen Aggregatzuständen: schwarzer Knoblauch, Salzzitronen.
Ottolenghi betreibt mehrere Restaurants in London und auch, wie er im neuesten Kochbuch berichtet, eine Versuchsküche, wo neue Rezepte erprobt werden. Er schafft es meisterlich, Aromen zu intensivieren, ohne sie komplett zu überlagern. Eine Röstkarotte, einst – bei Paul Bocuse selig – mit Zucker, Zwiebeln, Olivenöl kombiniert (es war nicht alles schlecht!), bekommt nun Marillen, Zitronen und Salzmandeln zur kontrastierenden Gesellschaft. Die scharfwürzige Tomatensauce mit Dill weckt die eher zur behäbigen Laschheit neigenden Süßkartoffeln aus ihrer Lethargie. Man kann diese Rezepte selber abwandeln; ich nehme Koriander statt Dille, aber wer weiß, was Ihnen dazu einfällt. Ottolenghis neues Kochbuch wird Ihnen dabei sicher hilfreich sein.
Nigel Slater, der englische Food-Journalist, einer der besten seiner Zunft, macht das Gegenteil von schicker Fusion-Küche: leicht kochbare Hausmannskost, saisonal angepasst und mit wenigen, leicht erhältlichen Zutaten hantierend. Von ihm stammen die üppige Käsesuppe mit Kohlsprossen und die Nachspeise im Menü.
Slater hält es wie Ottolenghi: Seine Küche ist, wie er sagt, „fast vegetarisch“, und er erreicht damit ein großes Publikum. Erstaunt bemerkt er, dass selbst er, der Food-Journalist, nicht erkannt hatte, „wie umfassend und schnell sich der Wandel“ zur vegetarischen Küche vollzieht. Röstgemüse finden wir auch bei ihm, und natürlich behandelt er es nicht wie die Altvorderen, sondern mit Joghurt und Tahin. Das Angenehme bei diesem Buch: Es ist so gut gemacht, dass man dem Autor die persönliche Erfahrung am Herd glaubt, aus der es kommt und für die es gedacht ist. Schön und alltagstauglich!
Aromen. Wenn wir schon von ihnen reden, sei hier an ein Buch erinnert, das unvermindert aktuell ist, weil man doch wissen will, was Tamarindenpaste, Sumach oder gar Paradieskörner genau sind. Einer der Autoren, Thomas A. Vierich, ist dem Falter-Publikum wohlbekannt; der andere, Thomas A. Vilgis, ist Physiker und beschäftigt sich auch mit Molekularküche. Ihr Werk ist schön und enzyklopädisch. Man erfährt alles über Herkunft, Wirkungsweise und Anwendungsbereiche von Gewürzen. Zwar sucht man Ottolenghis Chamoy-Sauce vergeblich, aber man findet alles, was man für sie braucht. Und gute Rezepte dazu.
Das eigene Kochbuch. Wenn wir schon von Kochbüchern reden, erlaube ich mir, zuletzt wieder einmal daran zu erinnern. Mit Irena Rosc habe ich unter dem Titel „Thurnher auf Rezept“ die Summe aller von uns veröffentlichten Rezepte zusammengefasst; alles selbst gekocht, wenn auch meist nicht selbst erfunden. Ein Kochbuch als Tagebuch. Immer noch erhalte ich Zuschriften von Leuten, die sich daran erfreuen und vor allem an dem, was sie gerade daraus gekocht haben.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: