Wäsche waschen und komponieren

Das Festival der Jazzwerkstatt Wien feiert heuer den Alltag - mit gar nicht alltäglicher Musik

FALTER:Woche, FALTER:Woche 36/2021 vom 08.09.2021

Eine professionelle Plattform für junge heimische Jazz-Cracks auf die Beine stellen: Mit diesem ambitionierten Vorhaben fand 2004 die Jazzwerkstatt Wien zusammen. Der Erfolg hat den kreativen Haufen um Clemens Wenger, Peter Rom und Clemens Salesny keineswegs saturiert und langweilig gemacht. Im Gegenteil: Er strotzt immer noch vor Begeisterung und Forschungsdrang und lädt bei seinen Veranstaltungen weiterhin dazu ein, musikalische Scheuklappen abzulegen.

Das von 12. bis 18. September ausgetragene diesjährige Jazzwerkstatt-Festival ist stilistisch vielfältiger denn je. Da kann es nicht nur zufällig passieren, dass an einem Abend völlig Unterschiedliches zu hören ist, eine Klangkunst-Performance, eine akustische Jazzband und eine Neo-Soul-Combo etwa. Es wird passieren, mit voller Absicht.

Clemens Wenger ist ein Musiknerd, aber ihm und dem Rest des Kollektivs ist es auch wichtig, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. "Die kulturelle Vielfalt gibt es in der Musiklandschaft oft nur im Pressetext", sagt er. "Noch immer bleiben die Szenen gerne unter sich und tragen durch ihr selbstgefälliges Gehabe auch zum gesellschaftlichen Klima bei. Unser Programm ist ein Angebot, Anderem zuzuhören. Ein kleines Zivilisierungsprojekt, wie wir finden."

Abseits großer Fragen geht es heuer auch um die kleinen Dinge, die gern übersehen werden. Als Motto dient der Beatles-Song "A Day in the Life", in dem es so schön heißt: "Woke up, fell out of bed / Dragged a comb across my head / Found my way downstairs and drank a cup /And looking up, I noticed I was late /Found my coat and grabbed my hat /Made the bus in seconds flat /Found my way upstairs and had a smoke."

Die Jazzwerkstatt thematisiert den Alltag in seinen verschiedenen Facetten, den Automatismen, dem Stress, den kleinen Beobachtungen, aber auch dem Zauber, der täglichen Verrichtungen innewohnen kann.

Halt: Künstler und Alltag? Überraschenderweise sind Musikerinnen und Musiker in der Tat ganz normale Menschen, die Wäsche waschen müssen oder ins Fitnesscenter gehen. Dazwischen schreiben sie E-Mails, verplempern Zeit mit Social Media und arbeiten an Kompositionsaufträgen.

Landläufig würde man meinen, der Höhepunkt eines Musikertages sei der abendliche Auftritt. Für Wenger ist das nicht notwendigerweise so: "Wenn zum ersten Mal eine musikalische Idee gut klingt, beim Üben oder bei der Probe, bringt das auch ein Glücksgefühl", sagt er. "Musik machen heißt nicht nur rauslassen, sondern auch zuhören. Dem lauten Teil, egal bei welchem Beruf, wird zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das stille Suchen ist eigentlich unglaublich schön."

Schön ist auch, dass die Jazzwerkstatt 2021 keine Bubenbande mehr ist. Heuer sind die Bassistin Beate Wiesinger und Rojin Sharafi, eine Komponistin elektroakustischer Musik, mit an Bord. Sie bringen andere Akzente und Stilrichtungen ein. Auch neue Ideen haben wieder Platz, im Club Das Werk geben an einem Abend etwa zehn Acts auf zehn Minuten beschränkte Kurzkonzerte. Bei den Locations ist das Spektrum breit, bespielt werden auch Usus am Wasser, Rhiz sowie Porgy &Bess.

Sind Musikschaffende bessere Veranstalter als Konzertprofis?"Wir sind keine Festivalveranstalter, sondern eine Plattform, eine Spielwiese", gibt Wenger zu bedenken. "Wir können naiver und instinktiver programmieren. Das muss nicht immer perfekt funktionieren, wir wollen eine ungezwungene Atmosphäre bieten, um Musik zu spielen und zu hören."

Ein Highlight im Programm ist HŪM, benannt nach einer Pflanze, der die iranische Mythologie besondere Kräfte zuschreibt. Der in Teheran geborene und kurdischstämmige Wiener Musiker und Sänger Omid Darvish, die Saxofonistin Astrid Wiesinger und Co-Kuratorin Rojin Sharafi, die ebenfalls Wurzeln in Teheran hat, bieten eine Synthese aus iranischer Volkstanzmusik, Jazz, Elektronik und Improvisation. Im Iran herrscht ein Tanzverbot. Beim Konzert von HŪM hingegen herrscht Tanzgebot.


12. bis 18.9., jazzwerkstatt.at

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