Transgender zwischen Trend und Tragik
Kirstin Breitenfellner in FALTER 16/2022 vom 22.04.2022 (S. 18)
Alice Schwarzer scheut sich nicht vor Konflikten und hat mit dieser Eigenschaft schon manche Debatte angestoßen, die überfällig war. Auch jetzt trifft sie wieder ins, ja, Schwarze. Bereits 1984 hatte sie den Transsexualismus in einem Artikel in der von ihr herausgegebenen feministischen Zeitschrift Emma thematisiert und als den dramatischsten Konflikt innerhalb einer sexistischen Welt bezeichnet. In einer solchen leben wir ihrer Meinung nach immer noch -oder immer mehr.
Während der Feminismus dafür gekämpft habe, das biologische Geschlecht von den Geschlechterrollen zu entkoppeln, verstärke der derzeit rasant wachsende Trend des Transsexualismus Klischees über Männer und Frauen. Etwa wenn prominente Transfrauen wie Caitlin Jenner Frausein mit Nagellack verbinden und dafür auch noch Beifall ernten würden. Gemeinsam mit der Emma-Redakteurin Chantal Louis hat Schwarzer nun den Sammelband "Transsexualität" herausgegeben.
Den Anlass dazu gab die geplante Reform des deutschen Transsexuellengesetzes, nach der Jugendliche ohne Zustimmung ihrer Eltern ab 14 Jahren ihr Geschlecht auf dem Standesamt ändern können sollten. Das Problem liegt für Schwarzer und ihren Mitstreiterinnen nicht in diesem Sprechakt, sondern in den irreversiblen Folgen, die dieser in der Regel nach sich zieht: von Pubertätsblockern über Hormonersatztherapien bis zur operativen Entfernung von Geschlechtsorganen. "Gesunde Körper werden so verstümmelt und lebenslang krank gemacht."
Trans ist Trend. In manchen Schulklassen sitzen mittlerweile fünf Mädchen, die glauben, sich im falschen Körper zu befinden. Der Zuwachs innerhalb der letzten Jahre in den westlichen Industrienationen beträgt atemberaubende 4000 Prozent. 80 Prozent der Transitionswilligen sind weiblich. Viele Therapeuten, erzählen Betroffene, erstellen die Diagnose bereits nach 30 Minuten, ohne Auswege zu zeigen. Dabei könnte man die Mädchen auch ermuntern, aus dem starren Rollenkorsett auszubrechen. Transsexualität stelle einen schweren seelischen Konflikt dar -und nicht bloß eine Irritation oder ein Unwohlsein. Gerade deswegen täte Bedachtsamkeit not.
Selbstverständlich gehe es nicht darum, das Leiden und die Diskriminierung von echten Transsexuellen zu leugnen, aber es sei notwendig, auf die Inkonsistenzen und die Gefahren dieses Trends hinzuweisen, sind sich die Beitragenden einig. Etwa die Leugnung realer Machtverhältnisse. So erscheine Mädchen ein Überstieg ins immer noch mächtige Geschlecht oft als Lösung für Probleme, die eigentlich anderswo lägen: in Angststörungen, Depressionen, ADHS, Autismus, sexuellen Gewalterfahrungen oder einer Homosexualität, die im Gegensatz zu Trans derzeit nicht mehr cool zu sein scheint.
Die Trans-Debatte wird mit schweren Geschützen ausgefochten. Radikale Trans-Aktivistinnen bekämpfen Feministinnen der alten Schule mit Cancel-Culture und Shitstorms, nun schießen diese also zurück. Einen "identitären Holzweg" nennt Cinzia Sciuto die Idee, dass das gefühlte Geschlecht angeboren sei, das biologische aber wechselbar. Und plädiert wie ihre Mitstreiterinnen für eine weniger unerbittliche Kategorisierung der Geschlechter.
Während Länder wie Schweden oder Großbritannien ihre Gesetze nach einer heftigen öffentlichen Debatte bereits überdacht haben, beginnt diese im deutschsprachigen Raum erst. Dieses gut lesbare Buch liefert Betroffenen sowie deren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern eine brauchbare Einführung in die Problematik.