Andreas Kremla in FALTER 47/2021 vom 26.11.2021 (S. 36)
1946 schickt eine schwedische Zeitung einen jungen Journalisten in das verwüstete Nachkriegsdeutschland. Im Jahr zuvor hatte Stig Dagerman mit dem Kriegsroman "Die Schlange" Aufsehen erregt. Verstörende Bilder aus den Trümmern der Großstädte liefert er auch in den Artikeln. Sie sind geprägt von tiefer Empathie, die seine Kritikfähigkeit aber nicht lähmt.
Er schildert, wie der Überlebenskampf einer Auseinandersetzung mit persönlicher Schuld und kollektiver Verstrickung behindert. Ein Brecht-Zitat geht ihm dabei nicht aus dem Kopf: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral." Es sollte sich hinziehen, bis die von den Alliierten oberflächlich angegangene "Umerziehung" Früchte trägt. 1954 freiwillig aus dem Leben geschieden, konnte Dagerman diesen langwierigen und lückenhaften Prozess nicht bis zum Ende verfolgen. Sein Buch liefert Momentaufnahmen von fast Vergessenem, die einen erschaudern lassen.