„Es soll endlich aufhören“

23 Betroffene werfen dem Direktor einer Musikschule in Niederösterreich schwere Vergehen vor, darunter sexuelle Übergriffe, rassistische Beschimpfungen und Drohungen. Politische Verbindungen in die ÖVP sollen ihn seit vielen Jahren schützen

Feuilleton, FALTER 50/2022 vom 13.12.2022

Illustration: Georg Feierfeil

Lukas und Johannes spielen Tischfußball, als ein kleines Mädchen ins Zimmer kommt. Sie möchte sich umziehen, sagt es, für ein Konzert. Die beiden Buben verlassen den Raum. Sie sind 13, das Mädchen neun Jahre alt. Draußen auf dem Gang der Musikschule kommt ihnen der Direktor entgegen. „Na geh!“, erwidert er auf ihre Erklärung. „Bleibts ruhig drinnen. Dann sehts ihr wenigstens einmal echte Negertitten!“

So spricht ein Schuldirektor über eine Neunjährige mit afrikanischen Wurzeln? Kein Einzelfall an der Musikschule in einem kleinen niederösterreichischen Dorf. Es darf hier – so wie der Name des Musikschuldirektors – aus medienrechtlichen Gründen nicht genannt werden, auch zum Schutze der Betroffenen, die dem Falter allesamt namentlich bekannt sind. Doch die Verdachtslage ist so massiv und der Fall so exemplarisch, dass er auch anonymisiert Öffentlichkeit verdient. Er zeigt, wie Macht missbraucht, Kinder und Frauen sexuell belästigt werden – und wie Verantwortliche wegschauen.

„Russenfut“ soll der Direktor eine russischstämmige Lehrerin genannt haben, wenn diese nicht anwesend war. „Spiel nicht so schwanzlos!“, habe er Buben zugerufen, wenn beim Musizieren Fehler passierten. „‚Beidl‘ für Buben und Männer sowie ‚Schlampe‘ für Mädchen und Frauen gehören zum Standardvokabular des Direktors und werden täglich gebraucht“, erzählt Martin W., ehemaliges Vorstandsmitglied des zugehörigen Musikvereins, in einem schriftlichen Statement.

W. ist eine von 23 Personen, die gegenüber dem Falter schwere Vergehen des Musikschuldirektors schildern. Dieser soll die Musikschule in Niederösterreich wie ein „Diktator“ führen. Rassistische Beschimpfungen sind da noch das geringere Übel. Plötzliche Stundenkürzungen, Drohungen und sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen sollen zu seinen Machtinstrumenten gehören.

Seit Jahren sind die Vorwürfe im Ort bekannt. Passiert ist bisher nichts. „Wir fragen uns alle, von wem er geschützt wird“, so die Eltern eines Schulkindes.

Sechs Frauen berichten gegenüber dem Falter, selbst von sexueller Belästigung betroffen gewesen zu sein. Alle waren oder sind als Lehrerinnen an der Musikschule in dem kleinen Dorf tätig. Ihre Erlebnisse, die sie für den Falter teils schriftlich festhielten, ähneln einander auf erschreckende Weise. In Whatsapp-Chats, die dem Falter vorliegen, macht der Direktor zahlreiche ordinäre Anspielungen, schreibt, dass er sich Sex mit den Lehrerinnen wünsche. Um die Anonymität der Frauen zu schützen, werden die Chats nicht im Wortlaut zitiert, auch ihre Namen wurden geändert.

Was aber sagt der Direktor dazu? Er bezeichnet alle Vorwürfe als „frei erfunden“. Ein Vokabular wie hier geschildert kenne er nicht. Für den Direktor gilt die Unschuldsvermutung.

Sie wolle dazu beitragen, sein unerträgliches Verhalten aufzudecken, schreibt eine frühere Lehrerin hingegen dem Falter. Es sei höchste Zeit, diesem Schrecken ein Ende zu setzen, bittet ein Kollege. Eine andere Musikerin sagt nur: „Es soll endlich aufhören.“

Lisa B. unterrichtete vor ein paar Jahren an der Musikschule. Regelmäßig habe ihr der Schulleiter aufs Gesäß gegriffen, ihr zur Begrüßung Küsse auf den Mund gedrückt und sie an der Hüfte zu sich gezogen. Auf dem Gang, im Lehrerzimmer oder bei Konzertproben kam der Direktor auf sie zu.

„Ich habe kundgetan, dass ich das nicht möchte. Er lacht dann.“ Eine Kollegin soll der Direktor alkoholisiert bei einer Abendveranstaltung bedrängt und mit der Zunge geküsst haben, gegen ihren Willen. Zwei Personen bestätigten gegenüber dem Falter die Szene: „Später hat er vor Kollegen damit geprahlt.“ Der Direktor bezeichnet den Vorwurf als „dubios“.

Wie immer bei sexuellen Übergriffen lautet die Frage: Hat sich B. gewehrt? Ja, sagt sie, es müsse dem Direktor klar sein, dass sie und andere Frauen keine intimen Berührungen wünschten. Doch wie immer, wenn es um sexualisierten Machtmissbrauch geht, gibt es bei den Opfern einen entscheidenden Faktor: Angst.

„Als ich an die Musikschule kam, wurde ich gewarnt, dass er ein Psychopath ist“, erzählt Lisa B. „Ich habe dann alles getan, damit er mich mag.“ Viele Kollegen würden von ihm regelmäßig „zur Sau“ gemacht, in Konferenzen beschimpft und mit Kündigung bedroht. „Diese Einschüchterung ist Erziehungsmethode“, sagt B. „Wenn man seinen Schutz genießt, ist man froh drüber.“

Lisa B. habe den Direktor weggedrückt, unsittliche Berührungen ignoriert und sich selbst geschämt. Wie das vor den anderen aussehe, habe sie ihn gefragt, was die Eltern sagen würden. Er habe darauf nicht reagiert. Sie hatte Angst vor ihm, hat sie immer noch. Und sie wusste um die Ambivalenz: Junge, gefügige Frauen würden beim Direktor von gewissen Privilegien profitieren. Sie bekämen mehr Unterrichtsstunden als andere und damit auch ein besseres Gehalt, erzählen mehrere Lehrer. Frauen, die in Ungnade fielen, seien verbal attackiert und schließlich gekündigt worden.

„Er hat diesen Jagdinstinkt“, sagt eine junge Kollegin. „Man hat das Gefühl, er sondert seine Opfer von der Gruppe ab.“

Es gebe „auch private Freundschaften und Lehrer, mit denen man sich besser versteht“, erwidert der Direktor. Er weist den Vorwurf zurück, Frauen geküsst zu haben. Er vermutet eine Gruppe von Missgünstigen. „Die 24 anderen Lehrer, die auch zurzeit aktiv sind und bis zur Pension bleiben, würden etwas anderes sagen.“ Tatsächlich befinden sich sieben von ihnen unter den befragten Personen.

Franziska O. will „nur noch damit abschließen“. Die Musikerin war drei Jahre lang an der Musikschule tätig. Sie berichtet schriftlich von „sexuellen Angriffen, wie von hinten an meinem BH-Träger ziehen, damit er schnalzt“. Und: „Begrüßungsbussis, die auf einmal ‚unabsichtlich‘ auf dem Mund landen“. Als O. kündigte, drohte der Direktor, ihre Karriere zu zerstören, da er „in Wien Leute kennt“. Sie sei zu eingeschüchtert gewesen, um sich zu wehren. Und ging.

Der Direktor weist auch diese Vorwürfe zurück.

Die meisten klassischen Musikerinnen und Musiker, die für diese Recherche befragt wurden, gehören zur Elite ihres Fachs und haben Auftritte in aller Welt hinter sich. Nur besonders Begabte schaffen überhaupt die Aufnahme an eine Musikuniversität. Trotz jahrelangen Studiums hängen sie später oft im luftleeren Raum. Anstellungen sind rar, Engagements häufig nicht lukrativ.

Gerade deshalb ist die öffentliche Musikschule in Niederösterreich so begehrt. Großstadtnähe und ein kontinuierliches Einkommen locken hochqualifizierte Künstler, die hier ihr Können an die nächste Generation weitergeben. Auf eine freie Stelle kämen hunderte Bewerbungen. Dieses spezifische Umfeld ist anfällig für Machtmissbrauch.

„Kunst ist bis zu einem gewissen Grad subjektiv“, meint Lisa B. „Es ist schwierig zu sagen, welcher Künstler der bessere ist. Deshalb gibt es so viel Spielraum für so etwas.“

Das betroffene Dorf liegt eine halbe Autostunde von Wien entfernt. Ein typischer Ort im Weinviertel: Kirche, Erste Bank und eine relativ neue, blockartige Schule.

Vor 21 Jahren öffnete die Musikschule ihre Pforten, 24 Lehrende unterrichten Kinder aus der umliegenden Region. Schon bei der Planung des Musikschulkomplexes soll der Direktor involviert gewesen sein. Seit 2001 ist er der erste und bislang einzige Leiter der Schule. Sein Lebenswerk, heißt es.

„Er bringt die Musiker dazu, alles zu geben“, erzählt Angelika H., sie unterrichtet aktuell an der Schule. Österreichweit genießt sie einen guten Ruf. Immer wieder zieht der Direktor neue Projekte an Land, schafft Möglichkeiten für Auftritte und Wettbewerbe. „Mit der Musikschule hat er sein Imperium aufgebaut“, sagt Angelika H.

Jeder hier in der Region kennt auch den zugehörigen Musikverein, eine Blasmusikkapelle. Lehrer spielen dort verpflichtend und unbezahlt, auch ausgewählte Schüler sind dabei. Bei Adventabenden auf dem Dorfplatz, Konzerten in der Kirche oder politischen Festlichkeiten tritt die Kapelle auf. „Gratismusik für die ÖVP“ nennt das ein Musiker. Geleitet wird die Blasmusik ebenfalls vom Direktor, zahlreiche Preise gehen auf seine Kappe. Bei den Bürgermeistern genießt er ein hohes Ansehen.

Im Setting von Konzerten und Proben sei es immer wieder zu unangebrachten Situationen mit Schülerinnen gekommen, berichtet eine Lehrerin. Bei Vorbereitungen für ein Musikfest im Jahr 2017 habe etwa eine Jugendliche gefragt, wie sie helfen könne. Darauf soll ihr der Schuldirektor geantwortet haben: „Du kannst ein bisschen für uns tanzen. Du bist jetzt hier die Thekenschlampe.“

„Der Fantasie und den ‚Beobachtungen‘ von Lehrern, die nur ein Jahr bei uns waren, sind hier anscheinend keine Grenzen gesetzt“, sagt der Direktor auf diesen Vorwurf. „Ich gehöre mit meinen Schülern zu den in Bezug auf Wettbewerbe und Abschlussprüfungen erfolgreichsten Lehrern. Im Gegensatz zu den Beschwerdeführern, wo es nie Erfolge bei Wettbewerben gab.“

Ein Lehrer war dabei, als der Direktor einer 13-jährigen Schülerin zur Prüfung eine Rose geschenkt und ihr Küsse auf die Wangen gegeben haben soll. „Es war sehr unangenehm anzusehen“, sagt der Lehrer. „Mich hat er vor dem Mädchen zur Sau gemacht. Ich habe dann gesundheitliche Probleme bekommen, weil ich das nicht mehr gepackt habe.“ Er kündigte.

Ein Schuldirektor, der seine Schützlinge sexualisiert und seine Lehrerinnen unsittlich berührt. Gab es keine Beschwerden?

Zwecklos, sagen mehrere Personen gegenüber dem Falter. Der Direktor brüste sich mit dem Schutzschirm eines der mächtigsten Politiker des Landes, des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. Immer wieder habe er mit der Freundschaft zu dem Politiker geprahlt.

„Er erzählte, dass er eine private Beziehung zu Sobotka unterhält“, sagt Wolfgang G., ein früherer Freund des Schulleiters, auch er ist dem Falter namentlich bekannt. „Seine Direktorenstelle soll über diese ÖVP-Schiene gelaufen sein.“

Der Direktor widerspricht vehement. Seine Position sei öffentlich ausgeschrieben gewesen. Der Nationalratspräsident reagierte auf Falter-Anfrage nicht.

Als der Beschuldigte die Schulleitung übernahm, leitete Wolfgang Sobotka den Musikschulbeirat, der die Landesregierung in Musikschulfragen berät. Sobotka selbst war Musikschuldirektor in seiner Heimatstadt Waidhofen an der Ybbs. Ein Foto in einer Regionalzeitung zeigt die beiden im Jahr 2017, beim Geburtstagsfest des Direktors.

Ob nun wirklich private Bande bestanden oder nicht: Als Drohkulisse reichte die Beziehung zu Sobotka allemal. Ein früherer Lehrer gibt etwa an, sich beim niederösterreichischen Musik- und Kunstschulenmanagement (MKM) telefonisch beschwert zu haben. „Sie sagten mir dort, ihnen seien die Hände gebunden, weil der Herr einen Heiligenstatus hat. Sie bekämen sonst selbst eins auf den Deckel.“

Die Geschäftsführerin des MKM, Michaela Hahn, weist das am Telefon entschieden zurück. „Die Mitarbeiterin sagte, dass wir nicht zuständig sind. Sondern der Obmann der Musikschule – also der Bürgermeister.“

Tatsächlich fungieren die Bürgermeister von drei umliegenden Gemeinden nahe Wien als direkte Vorgesetzte des Direktors. „Die Bürgermeister wissen gut Bescheid“, sagen mehrere Betroffene zum Falter.

Fünf Personen geben an, sich offiziell über den Direktor beschwert zu haben. Mit einem Bürgermeister habe es einige Gespräche gegeben, Konsequenzen hätten diese nicht gehabt. Ein E-Mail liegt dem Falter vor, in dem ein Lehrer beklagt, dass sein Vertrag ohne Vorwarnung nicht verlängert wurde. Laut dem Lehrer blieb es unbeantwortet. Der Bürgermeister antwortete auf Anfrage des Falter, dass er sehr wohl zu einem Gespräch gebeten habe.

Spätestens als vor einigen Monaten ein Artikel in einer niederösterreichischen Regionalzeitung erschien, richteten sich aller Augen auf den Direktor. Titel: „Klima der Angst“. Schon damals wurde eine Reihe von Vorwürfen publik, rund um Stundenkürzungen und Mobbing. Gab es Sanktionen? Der Bürgermeister sagt, es habe Gespräche mit dem Direktor gegeben. Und: „Willkürliche Kündigungen oder sogar strafrechtlich relevante Dinge sollten ja, wenn, dann Sache der entsprechenden Gerichte sein.“

Sollten die Betroffenen eine entsprechende Ermächtigung erteilen, könnte die Sache strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen. Während etwa sexistische Witze das Arbeitsrecht betreffen, regelt § 218 körperliche Übergriffe. Als Straftat zählen Berührungen am Mund und am Po, wie sie in den Beschreibungen der Frauen mehrfach vorliegen. § 218 sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten vor.

Zwei Prozesse wegen Verletzungen des Arbeitsrechts hat der Direktor schon hinter sich. Wolfgang G. ist Flötist und unterrichtete vor mehreren Jahren in der besagten Gemeinde: „Er hat mich gekündigt, weil er sich angegriffen fühlte“, erzählt er. G. habe im Jahr 2008 versucht, einen Betriebsrat zu initiieren, da er dessen Vorteile aus anderen Musikschulen kannte. Der Direktor war dagegen.

„Er hat mir dann Stunden abgezogen. Eine neue Kollegin wurde eingestellt und meine Arbeit gekürzt.“ G. klagte, ihm wurde recht gegeben. Doch dann gingen die Schikanen erst richtig los. Nach einem hitzigen E-Mail-Verkehr, in dem es um ein technisches Problem ging, wurde er später fristlos entlassen. G. klagte erneut. Zwei Jahre lang zog sich die Causa, er verließ die Schule schließlich einvernehmlich. „Wer Widerspruch aufs Tapet bringt, bekommt Probleme“, resümiert der Querflötenlehrer.

Der Direktor sagt dazu, er sei nie mit der Gründung eines Betriebsrates konfrontiert worden. Über G. habe es Beschwerden von Eltern wegen Zuspätkommens gegeben. Zudem hätten sich weniger Kinder an der Schule angemeldet.

Vorsitzende des Musikschulbeirats ist aktuell Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Eine Anfrage des Falter beantwortete Mikl-Leitner nicht, ihr Büro verwies an die Kulturabteilung der Landesregierung. Die Vorwürfe seien dort nicht bekannt: „Die Gemeinden agieren unabhängig und weisungsfrei im eigenen Wirkungsbereich und haben somit auch die Personalhoheit in ihrer Musikschule.“

Im Kollegium herrscht eine ängstliche Stimmung. Niemand will auf die Abschussliste kommen. Mit Grund: Neun Personen geben an, dass der Direktor ihnen Stunden gekürzt habe – aus persönlicher Missgunst, so die Vermutung. „Wir sind in so einer Abhängigkeit“, sagt eine aktive Lehrerin. „Die Musikszene ist doch sehr klein.“

Es sind 23 Betroffene und Zeugen, die einem Musikschuldirektor Sexismus und Machtmissbrauch vorwerfen. Zwei Bürgermeister, die ihn hätten sanktionieren müssen. Ein ÖVP-Politiker, mit dessen Macht er sich geschmückt haben soll. Und eine Landeshauptfrau, die sich für nicht zuständig erklärt.

„Was sich in dieser Musikschule und im Musikverein abspielt, gleicht einer Diktatur. Ist jemand anderer Meinung, wird er sofort verbal beschossen und mundtot gemacht“, sagt Martin W., der früher im Vorstand des Musikvereins tätig war. Er selbst und auch andere Personen hätten den Direktor des Öfteren darauf hingewiesen, dass er sein Fehlverhalten unterlassen solle. Die Reaktion sei jedes Mal dieselbe gewesen. Spott und die Empfehlung „Hoit die Pappen“ und „Scheißts euch net an“.

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