Helfen Leerstandsabgaben gegen die Mietpreis-Explosion? - FALTER.morgen #310

Versendet am 22.04.2022

Leerstandsabgaben gegen steigende Mietpreise? Warum das in Wien nicht so einfach ist >> Aus dem krachledernen Schunkelvergnügen „Wiener Wiesn“ wird die „Kaiserwiesn“ – unter dubiosen Umständen >> Wochenend-Event-Tipps von Lisa Kiss >> Thurnher köchelt Rehragout

Wetterkritik: Wer's frisch mag, wird sich freuen – heute hat es regnerische 10 Grad, am Samstag maximal 14 Grad. Und das heißt: Nur die wirklich Harten werden morgen zum Saisonbeginn im Schönbrunner Bad untertauchen. Das Wasser ist mit 16 Grad zwar wärmer als die Luft, das macht das Becken aber auch noch nicht zur Badewanne. Am Sonntag wird's dann mit bis zu 22 Grad deutlich milder (und damit perfekt für den Vienna City Marathon, siehe unten).


Guten Morgen!

Sie haben die Diskussionen um die emotional aufgeladene Leerstandsabgabe wahrscheinlich mitbekommen. Die ÖVP-geführten Länder Tirol, Salzburg und Steiermark haben kürzlich entsprechende Gesetzesentwürfe vorgelegt und wollen so die steigenden Mietpreise bekämpfen. Die Wiener Grünen wünschen sich das auch für die Hauptstadt und lieferten gestern gleich ein Modell dafür. 

Aber warum kommt der Vorschlag nicht von den Sozialdemokraten? Und hilft eine Leerstandsabgabe überhaupt gegen die steigende Mietpreis? Wir haben darüber mit zwei Experten, Thomas Ritt von der Arbeiterkammer und Robert Musil von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gesprochen.

Außerdem: Martin Staudinger beschreibt die fragwürdigen Umstände, unter denen aus dem Prater-Schunkelfestival „Wiener Wiesn“ ein Prater-Schunkelfestival namens „Kaiserwiesn“ wurde. Wir haben zusammengefasst, wo und wann Sie wegen des Vienna City Marathon mit Verkehrsbehinderungen rechnen müssen. Und Armin Thurnher kocht zartestes Rehragout.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Soraya Pechtl


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Auf dem Prüfstand

Die Immobilienpreise schießen in die Höhe. Mehrere Bundesländer wollen deshalb eine Leerstandsabgabe einführen, um die Wohnraumproblematik in den Griff zu bekommen. Aber hilft das wirklich? Und warum zieht Wien nicht mit?

Hinkt ausgerechnet das sozialdemokratische Wien hinten nach, wenn es um die Bekämpfung von Immobilienspekulation geht? Ja, finden die Wiener Grünen und stellten deshalb ihr eigenes Modell für eine Leerstandsabgabe vor.

Konkret sieht das so aus:

  • Für Wohnungen, die länger als sechs Monate leer stehen, fällt eine Leerstandsabgabe an. Das betrifft auch Appartements, die zu touristischen Zwecken vermietet werden.

  • Die Abgabe beträgt zwei Drittel des aktuellen Richtwertzinses. Derzeit würden pro Quadratmeter 4,07 Euro anfallen. Für eine 50-Quadratmeter-Wohnung wären das 205 Euro im Monat.

  • Wer seinen Haupt- oder Zweitwohnsitz an der Wohnadresse gemeldet hat, muss keine Abgabe zahlen. Ausnahmen gibt es auch für Sanierungen, Verlassenschaftsverfahren, Wohnungen in öffentlicher Hand oder wenn der Wohnungseigentümer die Wohnung krankheits- oder altersbedingt nicht bewohnen kann.

  • Die Eigentümer müssten den Leerstand selbstständig melden. Es soll stichprobenartig kontrolliert werden (durch einen Abgleich des Wohnungs-, Gebäude- und Melderegisters).  

Der Vorschlag könnte genauso gut von den Sozialdemokraten kommen. Aber warum hat die SPÖ nicht schon längst eine Leerstandsabgabe eingeführt? 

Weil nicht klar ist, ob die Stadtregierung das darf. Wien hatte bereits in den 1980-ern eine Leerstandsabgabe, die der Verfassungsgerichtshof wenig später aufgehoben hat. Davon haben Sie vielleicht schon mal gehört. Diese Entscheidung wird nämlich immer wieder als Begründung dafür angeführt, warum die Stadt keine Kompetenzen in diesem Bereich hat.

Aber die Sache ist ein bisschen komplizierter.

Schätzungsweise stehen in Wien 30.000 Wohnungen leer. Genaue Zahlen gibt es nicht. © FALTER

Der Verfassungsgerichtshof hat die Wiener Abgabe 1985 aufgehoben, weil sie so hoch war, dass sie „den Eigentümer praktisch in den allermeisten Fällen zwingt, sich der Absicht des Gesetzgebers gemäß zu verhalten”. Und diese Absicht bestand darin, die leerstehenden Wohnung zu vermieten. Das Problem: Die Stadt habe damit nicht nur fiskalische Zwecke verfolgt, sondern auch wohnungspolitische. Und die sind Bundeskompetenz. 

Tirol, Salzburg und die Steiermark haben deshalb relativ niedrigere Abgaben eingehoben. In Salzburg sind es etwa 42 Euro monatlich für eine 50-Quadratmeter-Wohnung. Der Vorschlag der Wiener Grünen ist aber etwa fünfmal so hoch. „Wenn ich der Argumentationslinie des Verfassungsgerichtshofs folge, würde ich meinen, dass diese Abgabe den Eigentümer auch zum Vermieten zwingt, sagt Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen der Arbeiterkammer Wien.

Das Argument des grünen Budgetsprecher Martin Margulies, die grüne Justizministerin würde das Gesetz während der Legislaturperiode ohnehin nicht kippen, ist für Ritt – gelinde gesagt – fragwürdig: „Da liegt ein massives Unverständnis vom Rechtsstaat vor. Die Justizministerin kippt das Gesetz nicht. Das machen die Gerichte, und die sind unabhängig von der Politik.” Wenn der Bund wolle, dass die Länder eine effektive Leerstandsabgabe erheben, müsse der Nationalrat das Gesetz ändern (die Absicht dazu ist im Koalitionsprogramm verankert). 

Noch ein Nachsatz: Die Bundesländer Tirol, Salzburg und Steiermark haben je ein Landesgesetz in Begutachtung geschickt. Es liegt aber an den Gemeinden, diese umzusetzen. „Wir wissen nicht, ob jemals eine Abgabe erhoben wird. Wenn Wien hingegen eine Abgabe beschließt, dann gilt die auch für Wien”, sagt Ritt. 

Und was bringt eine Leerstandsabgabe überhaupt?

Laut Schätzungen aus dem Jahr 2015 stehen in Wien rund 30.000 Wohnungen leer. Das sind rund drei Prozent aller Wohnungen. Der Stadtgeograf Robert Musil von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sieht darin kein großes Problem: „Gesunder Leerstand wird in der Wissenschaft mit 2 bis 2,5 Prozent angegeben. Eine niedrige Leerstandsquote ist ein Indikator für den angespannten Wohnungsmarkt. Daten aus Deutschland bestätigen, dass es dort, wo die Nachfrage wahnsinnig hoch ist, wenig Leerstand gibt.”

Auch Thomas Ritt von der Arbeiterkammer findet einen „gewissen Leerstand als Mobilitätsreserve” sinnvoll. Er glaubt aber, dass der Leerstand in den vergangenen zwei Jahren deutlich zugenommen hat. Das sei auch auf die extrem billigen Kredite zurückzuführen – diese hätten dazu angeregt Wohnungen als Anlageobjekte zu kaufen.

Was tun gegen die hohen Preise, wenn keine Leerstandabgabe kommt?

Stadtgeograf Musil ist der Ansicht, man müsste mehr billigen Wohnraum schaffen. „Aktuell wird in Wien am Bedarf vorbei gebaut”, sagt er mit Blick auf die vielen hochpreisigen Wohnhausprojekte, die derzeit in der Stadt entstehen.

Ökonom Ritt schlägt (neben der oben erwähnten Gesetzesänderung) vor, dass bundeseigene Grundstücke nicht mehr an private Wohnbauträger verkauft werden. Außerdem müssten befristete Mietverträge begrenzt werden.

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FRANÇOIS TRUFFAUT

Retrospektive im METRO Kinokulturhaus
bis 11. Mai 2022

Er gilt als einer der führenden Köpfe der Nouvelle Vague, als Inbegriff des »Cinephilen« und als einer der wesentlichen Erneuerer des Kinos überhaupt. Die große Gesamtschau des Filmarchiv Austria präsentiert sämtliche von Truffauts Regiearbeiten in ihren neuesten Restaurierungen.


Stadtrecherche

Martin Staudinger

Wiesn das möglich?

Statt der krachledernen Schunkelei „Wiener Wiesn“ im Prater gibt es im heurigen Herbst etwas anderes – die ebenso krachlederne Schunkelei „Kaiserwiesn“. Der große Unterschied: Die neuen Veranstalter haben eine erkennbare Nähe zur SPÖ.

Man muss kein Fan der Wiener Wiesn sein, um es mehr als fragwürdig zu finden, wie gerade mit ihren langjährigen Veranstaltern umgegangen wird. Seit 2011 hat Christian Feldhofer dafür gesorgt, dass das Publikum auf der Kaiserwiese mit trachtiger Gemütlichkeit bespaßt wurde – nach fünf kargen Jahren zu Beginn zuletzt sehr erfolgreich. Aber inzwischen ist er außen vor. Im kommenden Herbst machen dort andere Betreiber … tja, eigentlich genau das Gleiche.

Wiesn alt, Wiesn neu © Wiener Wiesn, Kaiserwiesn

Der große Unterschied: Krachledern neu hat im Gegensatz zu Krachledern alt eine erkennbare Nähe zur SPÖ Wien.

Die Neuen: Das sind Thomas Waldner und Johann Pittermann. Sie hätten sich einfach mit einem eigenen Konzept beworben und damit Erfolg gehabt, beteuerten die beiden gestern bei einer Presskonferenz. Politische Einflussnahme? Aber woher denn!

Nun ja.

Waldner war bislang als Organisator des Donauinselfestes (Hauptveranstalter: die SPÖ Wien). „Davor hat er zielstrebig Karriere in der SPÖ gemacht. 2005 ist er von Kärnten nach Wien gezogen, hat zuerst in der Bundes-SPÖ im Bürgerservice gearbeitet, ist danach in die Wiener Landespartei gewechselt und hat ungefähr jede SPÖ-Wahlkampftour in den Bundesländern mitorganisiert“, hieß es 2013 in der Presse über ihn. Pittermann wiederum war bei der Prater Wien GmbH (einem Unternehmen der Stadt) tätig, die (zumindest offiziell) über die Vergabe der Kaiserwiese entscheidet. Und Mehrheitsgesellschafter der neuen Veranstalter ist das mehr als nur SPÖ-nahe Echo-Medienhaus.

Das Konzept von Waldner und Pittermann ist im Vergleich zur Wiener Wiesn ungefähr so originell wie der neue Name. Auf der „Kaiserwiesn“, die sie erfunden haben, soll „Hüttengaudi pur“ unter dem Motto „Bier, Stelzen, Brauchtum und Kultur“ geboten werden. Dafür wurde sie aber auch mit keiner Ausschreibung behelligt, sondern gleich freihändig mit einem Mehr-Jahres-Vertrag (die Rede ist von zehn Jahren) verwöhnt.

Dem Standard gegenüber erklärte die Prater GmbH, mit den neuen Betreibern sei „eine Vertragsvereinbarung getroffen (worden), welche die Interessen des Standortes Prater und jene der Betreiber berücksichtigt und einen Mehrwert für alle Beteiligten der Veranstaltung generiert.“

Feldhofer (er hatte in der Vergangenheit einmal eine Drei-Jahres-Option und abgesehen davon nur Ein-Jahres-Verträge bekommen) schildert den Ablauf der Ereignisse folgendermaßen: Er und sein Marktingchef hätten im Dezember 2019 mit der Prater GmbH Gespräche über die Wiener Wiesn 2020 geführt – und dabei erfahren, dass eine Verdoppelung der Pacht geplant sei. „Das habe ich auch akzeptiert. Wir waren dann im Büro von Finanzstadtrat Peter Hanke und ersuchten um ein politisches Zeichen an die Prater GmbH für einen mehrjährigen Pachtvertrag, wurden aber in Folge immer wieder hingehalten – und es passierte  nichts. Im April 2021 kam dann plötzlich die kurze Mitteilung, dass die Prater GmbH die Zusammenarbeit mit uns beendet, weil sie sich Neuem nicht verschließen wolle.“

In der Folge sei es auch nicht gelungen, Genehmigungen für die Weiterführung der Wiener Wiesn an andere Standorten – etwa auf der Donauinsel – oder für ein Charity beim Eislaufverein zu erhalten.

„Dass es einen Mitbewerber gibt, hätte mich nicht gestört. Die Freunderlwirtschaft, die sich hier zeigt, stört mich aber sehr wohl“, sagt Feldhofer: „Was hier passiert ist, grenzt an Enteignung. Wenn man nicht wüsste, dass wir in Wien sind, könnten man meinen, wir sind in Nordkorea.“

Das mag ein bisschen übertrieben sein – aber eines ist klar: Wenn im Zusammenhang mit der Kaiserwiesn ein schaler Nachgeschmack bleibt, dann liegt das nicht in erster Linie an abgestandenem Bier.


Sport

Dieses Wochenende geht’s ziemlich rund in Wien: Wie jedes Jahr bringt der Vienna City Marathon zehntausende Läuferinnen und Läufer (angemeldet sind heuer rund 31.000) auf die Beine und die Stadt durcheinander. Zahlreiche Sperren und Umleitungen sorgen dafür, dass man sich genau überlegen muss, wie man abseits der Laufroute vorwärts kommt.

© APA/Alex Halada

Hier ein Überblick:

  • Freitag

Bereits ab heute, 20 Uhr wird der Universitätsring zwischen Stadiongasse und Grillparzerstraße zum Aufbau des Zielbereichs für den gesamten individuellen und öffentlichen Verkehr gesperrt (bis Sonntag, 24.04.2022, 20:00 Uhr).

  • Samstag

Morgen finden mehrere kleinere Laufwettbewerbe statt: Der Coca Cola Inclusion Run, The Daily Mile Run, der Kinderlauf Vienna und Vienna 10k.

Einen Überblick über Startzeiten, Routen und Verkehrsmaßnahmen gibt’s hier vom ÖAMTC. Die Straßenbahnlinien 1 und D werden am Samstag bereits ab Betriebsbeginn umgeleitet, die Linie 2 ab 15.30 und mehrere weitere Bim- und Buslinien ab dem frühen Abend. Eine genaue Auflistung finden Sie auf der Website der Wiener Linien.

  • Sonntag

Am Sonntag folgt dann der Hauptbewerbe – der Marathon und der Halbmarathon. Die Wagramerstraße stadteinwärts ab der Schüttaustraße bereits ab 4 Uhr früh gesperrt, der Rest der Route (siehe Grafik) folgt dann abschnittsweise ab 6 Uhr.

© Vienna City Marathon

Genaue Infos dazu gibt's ebenfalls von den Wiener Linien und dem ÖAMTC.


Am Samstag steigt in der 14. Runde der Frauen Bundesliga auch das große Wiener Frauen-Derby. Die First Vienna FC Frauen treffen in der Naturarena Hohe Warte auf die Wiener Austria. Das Spiel gegen die Stadtrivalinnen ist zugleich das Duell der drittplatzierten Vienna gegen die viertplatzierte Austria. Mit einem Sieg können die Blau-Gelben den dritten Platz absichern. Anpfiff ist um 14 Uhr. Der Eintritt ist frei.


Frage Des Tages

Der Auwinkel, der die Dominikanerbastei mit der Postgasse verbindet, wurde 1862 umbenannt. Wie hieß die Gasse vorher?

1. Sauwinkel

2. Tauwinkel

3. Brauwinkel

Auflösung von gestern: Der Ausdruck „sich einen Karl machen“ geht auf das Carltheater im 2. Bezirk zurück, das im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde. (Quelle: Unnützes Wiener Wissen, Holzbaum Verlag)


Wochenend Events

Lisa Kiss

Theater

Das Team des Burgtheaterstudios hat das Jugendstück „Dschabber“ (von „Hidschab“, dem Wort für Kopftuch) des kanadischen Dramatikers Marcus Youssef glaubhaft ins heutige Wien übersiedelt. Weil sie viele Akteurinnen und Akteure sind, teilen sie sich die Rollen auf; die drei Fatimas, zwei Jonasse und ihre beiden Kolleginnen in anderen Rollen spielen mit feinem Sinn für Emotion und Humor. Ab 13 Jahren. (Martin Pesl)

Burgtheater, Vestibül, Fr 18.00


Pop

Mit seinem Soloprojekt Fuzzman pflegt Herwig Zamernik, bekannt als langjähriger Bassist der Klagenfurter Indiepopband Naked Lunch, seit einigen Jahren die hohe Kunst des Schlagers mit Tiefgang und reichlich Soul an Bord. Das aktuelle Album „Endlich Vernunft“ ist sein bisher bestes; zur Seite steht dem Fuzzman (bitte Deutsch aussprechen!) die angemessen heitere Begleitband The Singin’ Rebels. (Gerhard Stöger)

WUK, Fr 20.00


Tanz

Tänzerinnen und Tänzer leben prekär. Um dem entgegenzuwirken, hat das Tanzquartier so etwas wie eine eigene Compagnie gegründet: Parasol. 160 Personen haben sich beworben, fünf wurden ausgewählt. Ein Jahr lang sind sie fest angestellt und erarbeiten zwei Stücke. Das erste Projekt leitet der Choreograf Ian Kaler. „Ecto-Fictions“ geht der Frage nach, wie sich die Interaktion und Begegnung mit Pferden auf die Körperlichkeit und Bewegung des Tanzensembles auswirken. (Sara Schausberger)

Tanzquartier, Halle G, Fr, Sa 19.30


Buchtipp

Judith W. Taschler: Über Carl reden wir morgen

Für die Tanten war es immer ein Rätsel, warum Großonkel Eugen, der Zwillingsbruder von Großvater Heinrich, zehn Jahre nach seiner Auswanderung in die USA zurückkehrte, wo er doch „drüben" reich geworden war. Auch über den Urgroßvater Alois wurde geredet: Er hatte lange bei der k.u.k. Marine gedient, bevor er die väterliche Mühle übernahm und eine Frau aus dem Dorf heiratete. Das sind die Eckpunkte aus der eigenen Mühlviertler Familiengeschichte, die Judith W. Taschler für ihren neuen Roman herangezogen hat; die Leerstellen und Jahre dazwischen füllt, neben viel Recherche, die Fantasie.

Die Autorin hinterfragt Familie, Identität und Schicksal, ohne vereinfachende Erklärungen zu geben. Durch leichtes zeitliches Verschieben beim Übergang der Geschichte zum nächsten Protagonisten ergibt sich ein neuer Ton, eine andere Perspektive. Das abrupte Ende vor der herausfordernden Zeit nach 1922 deutet auf eine Fortsetzung hin. (Thomas Leitner)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at


Thurnhers Freitagsrezept

Zartes Rehragout

Die Verzärtelung des Rehs – sie gelingt erfolgreich zum Beispiel in Form des Rehragouts

© Irena Rosc

Das Reh kommt uns in verschiedenen Formen entgegen; gefürchtet ist die des Ragouts, denn unter dessen dicker Mehlsauce pflegt sich im Wirtshaus manches Lichtscheue mit Recht zu verbergen. Dennoch ist das Ragout eine Möglichkeit, durch langes, sanftes Köcheln Aromen zu intensivieren. Darum geht es beim Schmurgeln, Schmoren, Köcheln nämlich, nicht ums Weichkochen!

In unserem Fall verwenden wir die physikalische Eigenschaft von Säure, um das Fleisch zugleich zu würzen und weichzumachen. Das Eiweiß des Bindegewebes, sagt der Fachmann, wird durch die Säure denaturiert. Wir legen das Fleisch also ein. Und zwar in eine Mischung aus Rotweinessig und Wasser; wer es mit seinem Reh und mit sich selber besser meint, nimmt Rotwein. Dabei stellt sich die Frage nach der Qualität; es muss nicht unbedingt ein großer Bordeaux sein, aber schon ein guter Roter, den man dazu auch trinken würde.

Das Rehfleisch geben wir mit dem Gemüse in eine Schüssel aus Porzellan, Glas oder Steingut, vermischen es mit den Gewürzen und übergießen es mit Essig oder Wein. Dann kommt das Ganze gut zugedeckt in den Kühlschrank, wo es durchzieht – das kann drei Tage dauern, Hans Gerlach, aus dessen witzigem Kochbuch das Rezept stammt, empfiehlt sogar fünf Tage. Im Kühlschrank kann dem Fleisch nichts passieren, meist kommt es sowieso zu wenig abgelegen in den Handel.

Wichtig ist die schöne Sauce. Die geht so: Fleisch anbraten, immer wieder etwas Marinade zugießen, verdunsten lassen, zugießen. Falls das Fleisch kocht, erst umrühren, wenn alles Wasser verdampft ist und sich Röststoffe bilden. Dann Johannisbeergelee hinzufügen, die restliche Marinade einfüllen und das Ganze noch vierzig Minuten köcheln lassen (Hitze reduzieren). Zehn Minuten vor Schluss die geschälte Kartoffel hineinreiben. Das weiche Fleisch herausfischen, den Rest durch ein Sieb gießen und auffangen. Dabei das Gemüse ausdrücken, dessen Aroma wollen wir haben. Sauce zum Fleisch geben – fertig.

Zutaten und Zubereitung finden Sie hier.

Der Text stammt aus dem Buch „Thurnher auf Rezept" von Irena Rosc und Armin Thurnher (Falter Verlag, 192 Seiten, 29,90 Euro). Erhältlich im faltershop.


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