Die Welt ist eine Scheibe
Sagen Sie niemals Karussell zu ihm. Das Tagada im Wurstelprater ist eine Bühne der Jugendkultur und die eindrucksvollste soziale Drehscheibe. Besuch in einem unterschätzten Wiener Wahrzeichen
Was ist mit deinem Gsicht?“, fragt der 38-jährige Steuermann Jürgen die 18-jährige Stammfahrerin, die wir Kerstin nennen wollen. „Meine Arbeit ist so stressig, da krieg ich Pickel“, sagt sie.
Ohne Umwege fuhr sie in den Wurstelprater, wo Karussellsteuerer Stammgästen ihre Probleme an den Hautunreinheiten ablesen können. Sobald die Einstiegsbrücke des Tagadas dann raufklappt und Jürgen ihre Lieblingslieder spielt, gerät ihre Welt allmählich wieder ins Gleichgewicht. Nach der dritten Runde zeichnet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ab.
Im Wiener Wurstelprater sind Tagada-Bediener nicht bloße Karusselldreher und Regelhüter, nicht nur Animateure und Diskjockeys. Sie sind Seelsorger und Sozialdienstleister.
Wenn das Riesenrad (1897) das Sinnbild des alten Wurstelpraters ist, ist das Rundfahrgeschäft Tagada (1994) das Wahrzeichen seiner Neuzeit. Dem Tagada schrieb die Wiener Popsängerin Pippa ein Lied (2020), im Tagada drehte der Dancehall-Star RAF Camora ein Musikvideo (2022).