Booom! Ein Frontbericht vom "Klimakrieg"
Benedikt Narodoslawsky in FALTER 1-2/2022 vom 14.01.2022 (S. 19)
Der amerikanische Wissenschaftler Michael E. Mann schildert, wie fossile Konzerne seit Jahrzehnten Klimapolitik zerstören
Im Jahr 1999 veröffentlichte der Atmosphärenwissenschaftler Michael E. Mann eine der eindrücklichsten Grafiken der menschengemachten Klimakrise. Sie zeigt, wie sich die Erdtemperatur der letzten 1000 Jahre auf der nördlichen Erdhalbkugel verändert hat. Rund 900 Jahre passiert fast nichts, doch in den letzten 100 Jahren steigt die Temperatur plötzlich rasant an. Die Grafik wurde unter dem Begriff "Hockeyschläger-Diagramm" berühmt, weil die jahrhuntertelange stabile Gerade mit dem aprupten steilen Temperaturanstieg aussieht wie ein liegender Hockeyschläger.
Vorlage für "Don't Look Up"
Michael E. Mann zählt heute zu den bekanntesten Klimaforschern der Welt, dem Hollywoodstar Leonardo DiCaprio diente er gerade als Vorlage für die Rolle des Wissenschaftlers Randall Mitty in der erfolgreichen Netflix-Komödie "Don't Look Up" (siehe Seite 43). Was Mann so schillernd macht: Die Lobby der Klimawandelleugner schoss sich über Jahre hinweg auf ihn ein, um seinen Ruf -und damit auch die Wirkmacht seines Hockeyschläger-Diagramms - zu zerstören. Und er stellte sich diesem Kampf in der Öffentlichkeit.
Mit dem Buch "Propagandaschlacht ums Klima" schlägt Mann nun zurück. Gekonnt spürt er darin den Strategien der milliardenschweren Kohle-, Öl-und Gaskonzernen nach, die die Klimapolitik seit Jahrzehnten hintertreiben. Er schildert, wie die fossile Industrie bewährte Methoden aus anderen Branchen abkupferte. Etwa jene der Tabakindustrie, wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen, Politiker und Medien für den Kampf gegen Forscher einzuspannen und so viele Nebelgranaten zu zünden, bis kaum jemand mehr erkennen kann, was Fakt und was Meinung ist.
Oder jene Strategie, mit der die Getränke-Industrie ein nationales Pfandsystem verhinderte, die das Müllproblem entschärft, aber die Gewinne der Konzerne geschmälert hätte. Mit Lobbying und Werbekampagnen gelang es ihr, das Pfand als Mehrkosten für die Konsumenten umzudeuten, und bewarb zugleich freiwilliges Müllsammeln und -trennen. So wälzte sie die Verantwortung der Konzerne auf die Bürger ab. Die gesetzlichen Auflagen für die Industrie kamen nicht, stattdessen wurden Leute, die ihren Mist auf die Straße werfen zu den Sündenböcken.
Genauso geschickt gingen fossile Konzerne gegen Klimapolitik vor, verhinderten durch Lobbying etwa die CO₂-Steuer und lenkten die Aufmerksamkeit zugleich auf den ökologischen Fußabdruck der Bürgerinnen und Bürger. So verhinderten die Konzerne nicht nur strukturelle Änderungen, sie verlagerten auch die Schuldfrage und trieben damit einen Keil in die Klimabewegung. Alle Klimapolitiker und Klimawissenschaftler, die für internationale Konferenzen ins Flugzeug steigen müssen, können nun öffentlichkeitswirksam als Heuchler verleumdet werden. Dass Bot-Armeen in den sozialen Medien diese Spaltung gezielt vorantreiben, hat Mann selbst miterlebt.
Fossiler Sieg in der EU
Im "Klimakrieg", wie es der kämpferische Wissenschaftler nennt, hat die fossile Industrie mittlerweile die Schlachtpläne umgeschrieben. Das Leugnen der Klimakrise läuft heute angesichts eindeutiger Erkenntnisse ins Leere. Stattdessen setzen die Klimapolitikzerstörer aufs Nichthandeln und Verzögern. Das gelingt ihnen etwa, indem sie der Öffentlichkeit Scheinlösungen verkaufen - etwa die klimaschädliche "Brückentechnologie" Gas als Ersatz für die noch schmutzigere Kohle. Oder das Verherrlichen der gefährlichen und teuren Atomenergie als Rettung in der Krise. Ein Plan, dessen Erfolg sich gerade in Europa zeigt: Mit der sogenannten Taxonomie-Verordnung will die EU-Kommission Gas und Atomstrom künftig als grüne Energieformen einstufen.
Ebenfalls hart ins Gericht geht Mann mit den "Untergangspropheten", die die Klimakrise so darstellen, als ob sie nicht mehr zu bewältigen sei - und Menschen damit in den Fatalismus treiben und sie untätig werden lassen. Der wortgewaltige Klimaforscher hält den Krieg nämlich noch lange nicht für verloren: "Ich weiß, dass wir die Katastrophe noch abwenden können."