Bis einer weint

Peter Iwaniewicz fragt: Wer ist hier das Walross?

Natur, FALTER 9/2023 vom 01.03.2023

Was haben Freya und Thor gemeinsam? Nein, hier sind nicht die Gottheiten der nordischen Mythologie für Liebe und Wetter gemeint, sondern zwei Walrosse. Gleichermaßen verwirrend wie die Familienbeziehungen der germanischen Göttergeschlechter sind die Verwandtschaften in der Gruppe der Robben: Es gibt die Familie der Hundsrobben mit Seehund und Seeelefant, weiters Ohrenrobben mit Seebären und Seelöwen und eben Walrosse. Keine Angst, das ist nicht Prüfungsstoff!

Freya und Thor sind Walrosse, die nicht nur auf Packeisschollen durch die Arktis driften, sondern auch auf kleinen Booten in Hafennähe herumliegen. Das machte sie einerseits zu Medienstars, die gerne am Ende von Nachrichtensendungen als nette Tierstory gesendet werden. Für Freya endete es aber nicht so nett, denn trotz offizieller Aufforderungen, Abstand zu halten, drängten Schaulustige in Freyas Nähe, um Selfies und anderen Unfug zu machen. Als dann auch noch ein paar der kleineren Schlauchboote, die von ihr geentert worden waren, unter ihrem Gewicht von etwa 600 Kilogramm sanken, ließen die Behörden das Walrossweibchen "aus Sicherheitsgründen" abschießen. "Bang bang, my baby shot me down", singt Nancy Sinatra dazu. Einerseits werden solche Wildtiere von vielen geliebt, andererseits aber dann auch wieder gefürchtet.

Thor befindet sich zurzeit in der isländischen Hafenstadt Breiðdalsvík und wurde stimmungsmäßig als "mürrisch" eingestuft, weil er einen ihm zugeworfenen gefrorenen Fisch nicht gefressen hat. Das ist richtig falsch! Wildtiere zuerst anfüttern und dann, wenn sie mehr fordern, Angst bekommen und sie wegen mangelnder Manieren "letal vergrämen".

Wir haben verlernt, mit der Natur richtig umzugehen. Gartenbesitzer führen einen steten Kampf gegen Grün- und Kroppzeug jeder Art. Frisst ein Fuchs das Katzenfutter auf, dann ruft man nach einem Jäger, weil man um das Leben seiner Kinder fürchtet. Oder man ist wie der VP-Tourismussprecher Franz Hörl "traurig", weil "Wolfsfreunde mit dem Feuer und dem Leben von Mensch und Tier spielen".

Einerseits erlassen wir Gesetze, um bedrohte Tierarten zurückzuholen, gestehen dann aber andererseits Wildtieren nicht das Recht zu, gemeinsam mit uns Lebensräume zu nutzen. "Bereits der kleinste Anschein eines Schadens weckt eine Anspruchshaltung auf Entschädigung", meint dazu der Ökologe Josef Reichholf und ergänzt: "Wildtiere haben in der Regel kein Problem mit uns, solange wir sie in Ruhe lassen." Unsere Probleme sind eigentlich nur Mensch-Mensch-Konflikte.

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