Mensch gegen Natur - FALTER.natur #34

Benedikt Narodoslawsky
Versendet am 12.11.2021

Für die Regenten in Zeiten der Aufklärung war der Sumpf gefährliches Terrain. Er konnte das Volk krank machen (Malaria), ließ die Landesgrenzen verschwimmen, hinderte die eigenen Soldaten am Durchmarschieren und bot Deserteuren ein Versteck. Die Natur wurde als Feind betrachtet, auf den sich alle einigen konnten. Und die Herrscher zogen gegen sie ins Feld.

Da war Friedrich der Große, der in einem Gewaltakt das sumpfige Oderbruch trockenlegen ließ und sich mit den Worten "Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert" rühmte. Da war Napoleon, der die deutschen Staaten zum "Rheinbund" zusammenschließen ließ - und damit den Grundstein dafür legte, den wilden Rhein zu zähmen. Und da war Hitler, der mit seiner Blut- und Bodenideologie danach strebte, den in seinen Augen verwilderten slawischen Osten fruchtbar und deutsch zu machen.

"In Abwandlung des berühmten Ausspruchs von Clausewitz könnte man sagen, der Krieg gegen die Natur sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", schreibt der britische Historiker David Blackbourn in seinem dichten, aufwändig recherchierten Werk "Die Eroberung der Natur" (aus dem all die oben genannten Beispiele stammen). Erfrischend unideologisch zeichnet er nach, wie die Deutschen ihre Landschaft formten - und wie hoch der Preis dafür war.

Der Mensch hat sich die Welt also unter großer Mühsal untertan gemacht, aber was einst als hart erkämpfter Sieg gefeiert wurde, entpuppt sich heute immer mehr als Pyrrhussieg. Der Raum, den wir der Natur abrangen, geht uns heute ab. Der Krieg gegen die Natur mündet in der Krise unserer eigenen Lebensgrundlagen. Er hat die beiden großen ökologischen Krisen unserer Zeit massiv angetrieben, die Biodiversitäts- und die Klimakrise.

In den vergangenen Tagen hat "Mutter Erde", die Umweltinitiative des ORF, genau das mit zwei Studien untermauert. Die eine (mit dem WWF und dem E.C.O. Institut für Ökologie) streicht die Rolle alter Wälder im Kampf gegen die Klimakrise und den Biodiversitätsverlust hervor. Die andere (mit Global 2000 und dem VINCA Institut für Naturschutzforschung) zeigt, wie man den Erhalt und die Förderung von Feuchtwiesen als Waffe gegen die Klima- und Biodiversitätskrise nutzen könnte. Und dann ist da noch eine dritte Studie im Rahmen der Initiative "Mutter Erde", die Greenpeace bereits im Juni zum Thema Artensterben in Österreich veröffentlichte. Sie unterstrich unter anderem die Bedeutung von Sümpfen und Mooren, die enorm wertvolle Kohlenstoffspeicher sind und Arten eine Heimat gebe, die anderswo nicht überleben könnten.

Während über die Weltklimakonferenz in Glasgow gerade groß berichtet wird, bekam man von der Weltbiodiversitätskonferenz im chinesischen Kunming vom Oktober kaum etwas mit. Die New York Times beschrieb sie als "Das wichtigste globale Treffen, von dem Sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben". Dabei gaben der Weltbiodiversitätsrat IPBES und der Weltklimarat IPCC im Juni einen gemeinsamen Report heraus, in der die beiden Institutionen klar machten, wie Biodiversität und Klima einander bedingen: Die beiden großen ökologischen Krisen sind zwei Seiten derselben Medaille. Wenn wir wieder Frieden mit der Natur schließen wollen, müssen wir sie also gemeinsam lösen.

Das klingt viel einfacher, als es ist. Denn während wir mit den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas unseren Planeten verbrennen und wir mit aller Kraft von ihnen loskommen müssen, gibt es auch beim Heilmittel – den Erneuerbaren Energien – spürbare Nebenwirkungen. Wasserkraftwerke verändern den Fluss und töten Fische (hier finden Sie eine aktuelle Einschätzung des WWF dazu). Windkraftwerke verändern das Landschaftsbild und töten Vögel. NaturschützerInnen, UmweltschützerInnen, KlimaschützerInnen - das sind nicht immer zwingend dieselben Personen. Sie stehen sich oft auch als GegnerInnen gegenüber. Diesen Widerspruch muss man erst einmal aushalten können.

Um die größten Probleme bei großen Projekten auszuräumen, gibt es deshalb verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP). Denn nicht jedes Erneuerbaren-Projekt lohnt sich, wenn man die ökologische Bilanz betrachtet. Wird zu viel Natur zerstört, um das Klima zu schützen, ist uns am Ende auch nicht geholfen. In der Steiermark berichtet nun die Krone, dass es in den letzten Jahren kein einziges Großprojekt gab, das die UVP nicht passiert hätte – "ein österreichweites Novum". Die Staatsanwaltschaft Graz und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermitteln nun gegen zwei Spitzenbeamte. Sie sollen große Bauprojekte unrechtmäßig genehmigt haben, es gilt die Unschuldsvermutung. Die Rede ist von "UVP-Tourismus", für Projektanträge soll es "eine nahezu 100-prozentige Erfolgsgarantie" gegeben haben. Bei den Projekten handelt es sich unter anderem um Windparkanlagen und ein umstrittenes Pumpspeicherkraftwerk auf der Koralm.

Sollte sich die Sache bewahrheiten, lässt sich auch für KlimaschützerInnen die Sache in der Steiermark als das beschreiben, was es ist: ein Skandal.

Benedikt Narodoslawsky

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Gute Nachricht

Dieser Newsletter dient ja auch ein wenig als Chronik, wie viel sich in den vergangenen Monaten im Umweltjournalismus getan hat. Next step: Die Nachrichtenagentur APA baut ihre Berichterstattung zu den Themen Klima und Nachhaltigkeit aus. "Ein neu eingerichtetes ressortübergreifendes Klima-Team mit Mitgliedern aus allen Fachgebieten, von Politik bis Kultur, von Wissenschaft bis Wirtschaft, wird sich den sowohl unterschiedlichen als auch stark vernetzten Aspekten des Themas verstärkt widmen", schreibt die APA. Sandra Walder leitet das Team. Viel Erfolg!

Und auch im Falter haben wir eine sehr gute Nachricht. Katharina Kropshofer, die das Netzwerk Klimajournalismus mitgründete, verstärkt den Falter nun als Redakteurin. In der aktuellen Falter-Ausgabe hat die studierte Biologin und Wissenschaftsjournalistin über die Entdeckung des Naturhistorischen Museums von 33 neuen fossilen Schnecken berichtet, die einiges über die Themen Biodiversität, Klima und das Wien vor 14 Millionen Jahren erzählen. Ihre Geschichte lesen Sie hier. Und ihre Video-Analyse zur Weltklimakonferenz in Glasgow können Sie sich hier anschauen.


Aus Dem Falter

Der ebenfalls studierte Biologe Peter Iwaniewicz schreibt in seiner Kolumne "Peters Tiergarten" über eine neue Start-Up-Idee, die mit invasiven Arten ein Geschäft machen will. Als invasiv gelten jene unbeliebten Lebewesen, die eingeschleppt wurden und heimische Arten unter Druck bringen. Kurzum, es geht ums Essen, aber Iwaniewicz ist offenbar der Appetit vergangen. Seine Kolumne finden Sie hier.

Tessa Szyszkowitz hat wiederum die erste Woche der Weltklimakonferenz hautnah mitverfolgt und lieferte uns für die aktuelle Falter-Ausgabe eine große Reportage aus Glasgow, in der sie sowohl die politischen Verhandlungen beleuchtete als auch die Massendemonstrationen auf der Straße begleitete. Sie finden Ihren Text hier.

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Podcast

Läuft alles nach Plan, endet die Klimakonferenz heute. Aber es läuft wahrscheinlich nicht nach Plan. Wenn Sie wissen wollen, wie eine Klimakonferenz technisch abläuft: Die KollegInnen vom Wochenmagazin Profil haben in ihrem Klima-Podcast "Tauwetter" den österreichischen Delegationsleiter Helmut Hojesky dazu befragt. Hojesky ist der Auskenner in Österreich, er leitet die Abteilung Klimapolitik im Klimaministerium und hat viele Verhandlungen auf Klimakonferenzen selbst geführt. Die Tauwetter-Folge hören Sie hier.

Was darf Klimaaktivismus, wie radikal darf er sein, wo liegen seine Grenzen und wie geht es weiter, wenn in der Klimapolitik nichts weitergeht? Darüber habe ich mit drei führenden österreichischen KlimaaktivistInnen (Katharina Rogenhofer, Florian Schlederer, Lena Schilling) und dem Investigativjournalisten Ashwien Sankholkar von der Rechercheplattform Dossier im Volkstheater gesprochen. Die Diskussion "Auf dünnem Eis" können Sie hier nachhören. Wenn Sie die Vorstellungsrunde überspringen wollen, steigen Sie ab Minute 11:30 direkt ins Gespräch ein.

Was darf Klimajournalismus? Wie aktivistisch darf er sein? Diese Fragen stellte mir Golli Marboe vom Verein VsUM, der sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Medien einsetzt. Die Podcast-Folge können Sie hier anhören.


Einladung

Jetzt hab ich zwei Podcasts angekündigt, in denen ich selbst vorkomme. Geht's noch peinlicher? Sicher. Ich hab nämlich meine erste Buchpräsentation in meinem Leben (alle bisherigen hat mir die Pandemie vergeigt) und weil die Veranstalterin Angst hat, dass niemand kommt, hab ich ihr versprochen, dass ich meine eigene Veranstaltung im Falter.Natur-Newsletter ankündige. Am nächsten Donnerstag (18.11.) stelle ich um 18 Uhr mein Buch "Inside Fridays for Future" im sehr netten Flüchtlings-Café Baharat des Wiener Hilfswerks vor (Gumpendorfer Straße 65, 1060 Wien). Alle Infos gibt's hier (zB die Info mit der 2-G-Regel).

Wenn Sie ein Buch kaufen oder ein weißes Blatt Papier mitbringen, kann ich Ihnen im Anschluss den Cartoon Spike raufmalen. Ich freu mich wirklich, wenn Sie kommen. Und die Veranstalterin noch mehr. Derzeit sind 3 Menschen auf Facebook angemeldet. In Worten: drei. (Eine davon ist die Organisatorin).


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