Große Erwartungen

Auf den Spuren des europäischen Traums (1999-2019)
640 Seiten, Hardcover
€ 39.1
-
+
Lieferbar in 14 Tagen
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ISBN 9783827501370
Erscheinungsdatum 31.08.2020
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Verlag Siedler
Übersetzung Andreas Ecke
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Kurzbeschreibung des Verlags


Der brillante Chronist Europas – das neue Buch des Bestsellerautors Geert Mak. Ausgezeichnet mit dem Preis "Das politische Buch 2022" der Friedrich-Ebert-Stiftung


Von den Küsten Lampedusas bis zu Putins Moskau, vom störrischen Katalonien bis zu den muslimischen Vororten Kopenhagens: Unser Kontinent ist zum Zerreißen gespannt. Was ist, dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, aus dem alten europäischen Traum – Frieden, Freiheit und Wohlstand – geworden, der immer mehr zum Albtraum wird? Geert Mak, der geniale Erzähler unter den Historikern unserer Zeit, schrieb 2005 mit seinem Buch »In Europa«, einen Klassiker – ein Reisebericht, zugleich die Bestandsaufnahme Europas am Ende eines katastrophenreichen Jahrhunderts, samt all der Euphorie zu Beginn des neuen Millenniums. Wo stehen wir heute, zwanzig Jahre später? Was ist aus den großen Erwartungen geworden? Wie keinem Zweiten gelingt es Mak, das fragile Wesen Europas zu ergründen, es in zahllosen Geschichten sichtbar und sinnlich wahrnehmbar zu machen. Und den Menschen dieses Kontinents eine Stimme zu verleihen.

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FALTER-Rezension

„Ganze Generationen wurden abgeschrieben“

Werner Perger in FALTER 5/2021 vom 05.02.2021 (S. 24)

Geert Mak ist Historiker, Reporter und vor allem Reisender. Vor 15 Jahren veröffentlichte er mit „In Europa“ die Psychologie eines Kontinents im ausgehenden 20. Jahrhundert. Nun legt er mit seinem neuen Buch nach. Auf 640 Seiten untersucht der Niederländer in „Auf den Spuren des europäischen Traums“, was aus dem hoffnungsvollen Europa von damals geworden ist, wie die EU-Erweiterung, die Finanzkrise, der Ukraine-Konflikt, der Brexit und der Klimawandel die EU verändert haben. Den europäischen Traum sieht er nicht nur durch die Covid-19-Pandemie bedroht. Warum? Der Falter hat nachgefragt.

Falter: Herr Mak, Ihr zweites Europa-Buch beginnt in Kirkenes, einem kleinen Nest in Norwegen, im nördlichsten Norden unseres Kontinents. Ein ungewöhnlicher Einstieg in das Thema „Europäischer Traum“. Warum?

Geert Mak: Kirkenes ist ungewöhnlich, nicht nur wegen der wunderschönen Landschaft am Rande Europas und nicht zuletzt wegen seiner geopolitischen Lage. Es ist ein kleines Städtchen im äußersten Norden Norwegens, gut zweieinhalb Flugstunden von Oslo entfernt. Von da ist es etwa eine halbe Autostunde bis zur russischen Grenze und eine Autostunde bis Murmansk. 170 Soldaten des Nato-Staates Norwegen sind in Kirkenes stationiert, drüben sind es zwei oder drei russische Divisionen. Kein Problem. Die Stimmung ist gut. Die Leute in Kirkenes sind sich ihrer besonderen Situation bewusst und stolz darauf. Sie sagen gern: „In Oslo redet man. Hier geschieht es.“

Nämlich was?

Mak: Dort herrscht ein Kommen und Gehen, nicht nur von Touristen. Es geht um mehr. Das Eis des Nordpols schmilzt sehr schnell. Das bedeutet: Ein großes Schiff von Shanghai nach Rotterdam brauchte bisher normalerweise drei Wochen. In spätestens zehn Jahren wird die neue Route in elf bis 15 Tagen zu bewältigen sein. So ist Kirkenes für die Verbindung zwischen China und Europa bereits jetzt wichtig. Man blickt voller Erwartung in die Zukunft ...

Vorausgesetzt, dass China und Europa diese Beschleunigung des Schiffsverkehrs in Zukunft brauchen werden und nutzen können.

Mak: In der jüngsten Zeit hielten sich jedenfalls immer wieder chinesische Wirtschaftsdelegationen für eine Woche und länger in Kirkenes auf. Aber auch die Russen werden in der Region immer aktiver. In Murmansk forschen sie unter dem schmelzenden Nordpoleis mit großem Aufwand nach Energiequellen, vor allem Öl und Gas. So wird Kirkenes zu einem wichtigen Standort im hohen Norden. Zugleich bedeutet diese wachsende Bedeutung der Grenzregion um Kirkenes natürlich auch eine stärkere Exponiertheit und eine höhere Verletzlichkeit.

Sie haben in Ihrem Buch mehrere Ihrer internationalen Freunde mit einbezogen. Der polnischen Autorin Anna Bikont, haben Sie die Frage gestellt, was für sie in den beiden ersten Jahrzehnten des neuen Jahrtausends die wichtigsten Ereignisse waren. Diese Frage möchte ich Ihnen jetzt auch stellen.

Mak: Zweifellos war der 11. September 2001 in New York das zentrale Ereignis, in dem Politik und Religion auf ganz klassische Weise zusammenwirkten. Alle hatten wir gedacht, diese Art des Konflikts hätten wir hinter uns. Aber das Gegenteil war der Fall. Die Folge des Schocks war natürlich die Wiederkehr der Angst vor dem Terror, besonders in Frankreich, aber natürlich nicht nur da, wie inzwischen bald deutlich wurde, fast überall in Europa, in London, in Paris, Madrid, Berlin und nun in Wien. Daneben spielte aber für Anna als Polin und für uns alle als Europäer natürlich der Abschuss der polnischen Regierungsmaschine bei Smolensk am 10. April 2010 eine große Rolle, zusammen mit der Frage nach der Rolle Russlands bei dieser Katastrophe, ohne die die prekäre politische Entwicklung in Polen nicht zu verstehen ist.

Jedenfalls haben Ereignisse dieser Dimension im historischen Gedächtnis der Völker immer eine langanhaltende Bedeutung. Andererseits war später aber auch bemerkenswert, wie schnell zum Beispiel die Menschen in Madrid und London die Anschläge in ihren Ländern verarbeitet haben und sich wieder aufrichteten.

Wirtschaftlich hatten die Menschen im neuen Jahrtausend aber mehr als nur unter Hass und Gewalt zu leiden.

Mak: Klar. Nach der Katastrophe des 11. September kam die Bankenkrise von 2008 über uns. Sie war von anderer Qualität und Tragweite. Sie war eine wichtige Ursache für die dramatische europäische Krise um die gemeinsame Währung Euro. Ich bin davon überzeugt, ohne diese beiden Krisen hätte es den Brexit nicht gegeben, der seinerseits wieder für Destabilisierung und Konfliktstoff in Europa sorgt. Das alles hat die Menschen verunsichert und ihr Verhältnis zu den „Eliten“ belastet. Die sozialen Konsequenzen, die Folgen der sparpolitischen Eingriffe – also vor allem Einsparungen auf Kosten der Armen und Ärmsten – sind bis heute zu spüren. Sie sind die Folge der Austeritätspolitik des neu erstarkten Neoliberalismus, der den Rückbau der europäischen Sozialstaaten politisch erfolgreich betrieben hatte. Mit fatalen Folgen, die wir überall spüren. Ganze Generationen wurden damit praktisch abgeschrieben. Junge Menschen, vor allem im europäischen Süden, von Spanien bis Griechenland, sprachen vermehrt davon, keine Kinder zu bekommen, da sie für die keine Zukunft sehen. Dieser Vertrauensverlust im Verhältnis zur politischen Führung hinterließ unübersehbare Spuren. Wir spüren seine Folgen bis heute, in einer Zeit, in der wir mit neuen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und auf politisches Vertrauen besonders angewiesen wären, gerade jetzt in Zeiten der neuen globalen Bedrohung durch die Pandemie. Politisch profitiert davon haben die Populisten.

Ihrem Buch entnehme ich, dass für Sie das Jahr 2015, die Massenwanderung nach Europa und die damalige deutsch-österreichische „Willkommenskultur“ ebenfalls zu den zentralen Ereignissen dieses Zeitraums gehören.

Mak: Die Ereignisse in der Mitte des zweiten Jahrzehnts haben uns mit den negativen Konsequenzen unseres ganzen Optimismus der 1990er-Jahre des vorigen Jahrhunderts konfrontiert: mit Euro und Schengen. Beide Projekte waren oberflächlich konstruiert und sie gingen sehr weit. Eine gemeinsame Währung ohne gemeinsames finanzielles System. Und Schengen: keine Grenzen mehr, fantastisch, aber kein gemeinsames Einwanderungsrecht. Alle damals dafür verantwortlichen Europapolitiker waren damit zufrieden. Die Probleme, die damit entstehen könnten, haben sie nicht gesehen. Für die Versäumnisse bei Schengen bezahlten wir 2015, die Quittung für die Versäumnisse beim Euro war früher gekommen. Die Aufgabe unserer heute verantwortlichen Politiker wäre es, das Versäumte jetzt schleunigst nachzuholen. Es geht vor allem darum, das existierende unzureichende System der gemeinsamen Währung grundlegend zu erneuern, statt wie bisher dauernd daran herumzureparieren. Und das gilt im Prinzip auch für Schengen. Das ist die Voraussetzung, dass wir unsere Rolle als politische Mittelmacht in Europa wahrnehmen können.

„Politische Mittelmacht“: Ist das Teil des „europäischen Traums“?

Mak: Als geopolitische Mittelmacht müsste Europa in der Lage sein, gemeinsam aufzutreten und zu handeln. Jetzt zum Beispiel im Fall von Belarus und dem dortigen Ringen um demokratische Verhältnisse in diesem europäischsten Land im direkten Einflussbereich Russlands. Oder denken Sie an die Affäre um das Attentat auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Aber es ist eben schwierig, in schwierigen Konstellationen die Haltung zu zeigen, die einer politischen Mittelmacht zukommt, wenn zum Beispiel ein EU-Mitglied wie Zypern eine gemeinsame Haltung der EU einfach blockieren kann. So kommt es, dass wir in bestimmten Fällen, wie hier gegenüber Russland, nicht schnell beziehungsweise überhaupt nicht gemeinsam wie eine Mittelmacht mit einem gewissen politischen Gewicht auftreten können. Europa ist ein Supertanker ohne funktionierendes Steuerungssystem.

Liegt das nicht auch, abgesehen von den Strukturproblemen des Systems, an diesem Spitzenpersonal, also an den „Eliten“ und deren politischen und persönlichen Unzulänglichkeiten, vor allem, wenn wir an diverse autoritäre Akteure in Mittel- und Südeuropa denken oder – siehe Brexit – in Großbritannien.

Mak: Ja, das liegt schon auch am Personal. Das ist nicht einfach. Nehmen Sie beispielsweise mein Land: Die Verantwortlichen in Den Haag hätten Schwierigkeiten, politisch entschieden und führungsstark aufzutreten, also wie Vertreter einer mittleren Macht. Bei Deutschland könnte es anders sein. Aber wenn es darum geht, eine Führungsrolle und die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen, scheut Deutschland in aller Regel davor zurück.

Deutschland zieht die Rolle der moralischen Führungsmacht vor. Erinnern Sie sich an 2015 und den vielzitierten Satz von Angela Merkel, „Wir schaffen das“. Viele Bürger hat das zunächst beeindruckt, die meisten Wortführer der „Eliten“ waren aber entsetzt, nicht nur in Deutschland.

Mak: Ich war damals von Merkel und dem, was man „Willkommenskultur“ nannte, sehr beeindruckt. Das eigentliche Problem daran war, dass die dazugehörigen Fernsehbilder über den zum Teil überaus herzlichen Empfang der Geflüchteten damals nicht nur bei uns zu sehen waren. Sie erreichten ihr Publikum vielmehr auch bei Al Jazeera und anderen Programmen in den Herkunftsländern der Asylsuchenden und Kriegsflüchtlinge und weckten enorme Erwartungen. Die Folgen sind bekannt. Und Leute wie der ungarische Ministerpräsident Orbán, ein autoritärer Populist und erklärter Gegner von Merkels Hilfsbereitschaft, aber auch Leute wie der damalige österreichische Außenminister, heute Ihr Bundeskanzler, trugen dazu bei, dass diese „Willkommenskultur“ nicht zur allgemeinen europäischen Haltung wurde. Im Gegenteil, heute wissen wir: In der Migrationskrise hat die EU versagt.

Herr Mak, Sie vermessen Europa seit mehr als 20 Jahren. Am Anfang stand „In Europa“ – ein journalistischer Rückblick auf den Kontinent quer durch das 20. Jahrhundert, vom Zukunftsoptimismus der Pariser Weltausstellung bis zur Spurensuche auf dem Balkan. Nun das zweite Europabuch, über die beiden ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, die von neuen Krisen geprägt sind, politisch, ökonomisch, sozial. Das Finale ist geprägt von der pandemischen Herausforderung durch Covid-19 und die politischen und sozialen Folgen. Ihr aktuelles Schlusskapitel über das Corona-Jahr 2020 liest sich ja wie der Übergang zu Band 3, über die „Große Ernüchterung“. Sind Sie bereit dafür?

Mak: Beim Schreiben hatte ich dieses Mal das merkwürdige Gefühl, dass es ein Buch des Übergangs ist. Ein Prélude, von dem ich nicht genau weiß, wofür. Corona könnte immerhin auch signalisieren, dass wir einem Paradigmenwechsel entgegengehen. Die Balance of Power wird jedenfalls zunehmend infrage gestellt, mir scheint, die Werte der Aufklärung geraten unter Druck. Ich werde es beobachten. Aber darüber ein Buch ­schreiben? Das müssen andere tun ...

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