„Ich habe einen Kulturschock erlebt“
Sebastian Fasthuber in FALTER 11/2021 vom 19.03.2021 (S. 20)
Wahrscheinlich“, beschließt Mikael Torfason leise einen ausführlichen Monolog über seine erste Zeit in Österreich, in dessen Verlauf er zwischenzeitlich ziemlich laut geworden ist, „spiele ich einfach für das falsche Team.“ Hört man dem Mittvierziger zu und liest die wilde autobiografische Romantrilogie, die er über seine schwer dysfunktionale Familie geschrieben hat, so scheint es ihm nicht nur in Wien so zu gehen. Womöglich ist das Gefühl, nicht dazuzugehören, genau das, was Torfason braucht und woraus er seine Kraft zieht. Ist er am Ende einer Tirade angelangt, wirkt er richtig happy. Thomas Bernhard hätte an ihm seine Freude gehabt.
Wer aber ist Mikael Torfason? Der Schriftsteller hat sich in seiner isländischen Heimat den Ruf eines Provokateurs erarbeitet. Was weniger mit seinen Romanen, Theaterstücken und Filmdrehbüchern als mit seiner journalistischen Vergangenheit zu tun hat. Als Chefredakteur von Dagblaðið Vísir versuchte er sich an einem linken Boulevard. O-Ton Torfason: „Ich komme aus der Arbeiterklasse. In der Zeitung wollte ich die Wahrheit sagen und Geschichten aus allen Bereichen der Gesellschaft erzählen.“
Es folgen: Skandale und verbrannte Erde. Ein Politiker, den Torfason als Kinderschänder outete, beging Suizid. Seine letzte journalistische Station war der Posten des Chefredakteurs bei einer Zeitung, die „so etwas wie der isländische Kurier“ ist: „Die Besitzer sind schwerreich. Ich versuchte mein Bestes. Aber ich habe gemerkt, dass ich für das falsche Team spiele.“ Das Mikael-Torfason-Gefühl.
Es ereilte ihn auch am Burgtheater. Das Haus am Ring war der Grund, warum er mit seiner Familie von Berlin nach Wien übersiedelt ist. Seine Frau Elma Stefanía Ágústsdóttir ist Schauspielerin und seit der Saison 2019/20 Ensemblemitglied an der Burg. Torfason begleitete sie und brachte seine mit dem ebenfalls aus Island stammenden Regisseur Thorleifur Örn Arnasson erarbeitete Neuinszenierung der „Edda“ mit. Premiere war im Herbst 2019, seither passierte nicht mehr viel. Eine für April 2020 geplante Neufassung von Henrik Ibsens „Peer Gynt“ fiel aus dem bekannten Grund ins Wasser. Torfason glaubt nicht mehr so recht daran, dass sie nachgeholt wird.
Wirklich warm wurde Torfason mit seiner Wiener Wirkstätte sowieso nicht: „Man hat mir gesagt, das Burgtheater sei das Wahre, ein großes Theater. Es klang wunderbar. Dann bin ich hergekommen und habe gesehen: Es ist auch nur ein Haus. Vielleicht ist es nichts für mich. Nur gebildete, ältere Menschen gehen rein.“
Richtig in Rage reden kann er sich über den „Faust“ und die hiesige Aufführungspraxis: „Ich hasse es, alte Stücke mit neuen Kostümen vorgesetzt zu bekommen. Man tut so, als hätten diese Sachen von vor 250 Jahren etwas mit uns zu tun. Tatsächlich? Faust ist ein faschistisches Stück über einen Mann, der ein Kind vergewaltigt.“ In Oslo hat Torfason vor Jahren einen anderen „Faust“ mit neuem Text inszeniert. Er nannte ihn „We Have to Talk about Faust“ und rückte Gretchen in den Mittelpunkt des Geschehens. „Das Stück wäre am Burgtheater undenkbar“, ist er überzeugt.
Überhaupt habe er in Wien einen Kulturschock erlebt. Er greift zu seinem Handy und öffnet eine Bildergalerie mit Plakaten, die ihn aufgebracht haben. Darunter finden sich solche der FPÖ, aber auch eines des Österreich-Radioableger Radio Austria, das Wolfgang Fellner und Rudi Klausnitzer als tolle Hechte mit sehr viel jüngeren Assistentinnen zeigt: „Es scheint mir ein treffendes Bild für die österreichische Medienlandschaft zu sein.“
Auch die Burg-Kampagne „Ohne Kultur …“ stößt ihm sauer auf: „Für mich hat sie eine klare Botschaft: Wenn du nicht zu unserer Kultur gehörst, wenn du nicht auf die eine, reine Art Deutsch sprichst und die entsprechende Bildung hast, bist du kein Mensch. Ich gehöre da nicht dazu.“
Österreich fühle sich für ihn an wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, erzählt Torfason. Normalerweise sei er in Hinblick auf patriarchale Strukturen sehr islandkritisch. „Aber verglichen mit Österreich liegt Island weit vorn.“ Wer nun aber denkt, Torfason wolle Wien so bald wie möglich wieder den Rücken kehren, liegt falsch. Der Mann braucht eine gewisse Reibung, um sich richtig zu spüren. Vor sechs Jahren kauften seine Frau und er in Island ein Reihenhaus in jenem Vorort von Reykjavík, aus dem er stammt. Der rastlose Torfason dachte, nun hätte er dem Platz gefunden, an dem er bleiben würde. Indes: „Drei Jahre später sind wir in Berlin aufgewacht. Vielleicht war es zu angenehm.“
In seinen harten, aber auch herzerwärmenden Romanen – zuletzt ist mit „Brief an Mama“ der letzte Teil einer Trilogie über seine eigene Familie erschienen – erzählt Torfason davon, wie er als Kind von Zeugen Jehovas fast starb, weil die Eltern eine Bluttransfusion ablehnten. Nach deren Scheidung wurde es nicht besser, die Mutter versank zeitweise in Depressionen, der Vater war ein lustiger Kerl, aber auch ein schwerer Alkoholiker. Der Sohn brach die Schule ab, um als Schriftsteller zu leben, und verdiente seinen Lebensunterhalt als Fabriksarbeiter.
Auch mit 46 Jahren ist Torfason noch nicht müde geworden. Er liebt Herausforderungen. Sein jüngstes Projekt: einen Text auf Deutsch schreiben. „In einer neuen Gesellschaft und neuen Sprache zu leben bringt auch etwas Neues aus einem raus“, ist er überzeugt. „Man darf das Schreiben und die Sprache nicht den Perfekten überlassen. Ich bin ein Ausländer in Österreich, für einen Autor ist das eine gute Position.“