Sachbuch-Bestenliste Mai 2022

Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste

Der SPIEGEL-Bestseller | »Ein augenöffnendes Buch über das System Putin.« Süddeutsche Zeitung
704 Seiten, Hardcover
€ 26.8
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Mehr Informationen
ISBN 9783749903283
Erscheinungsdatum 07.02.2022
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Verlag HarperCollins
Übersetzung Elisabeth Schmalen, Johanna Wais
Sammlung 2 Jahre Krieg
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Unsere Prinzipien
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Kurzbeschreibung des Verlags



Wem gehört Russland? – Über Putin und seine KGB-Seilschaften



»Ein herausragendes Buch über Putin und seine kriminellen Kumpel. Lang erwartet und absolut lesenswert.«




The Sunday Times


Als Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion zusammenbrach, ahnte niemand, dass ein ehemaliger KGB-Agent sich über Jahrzehnte als russischer Präsident behaupten würde. Doch ein Alleinherrscher ist Wladimir Putin nicht. Seine Macht stützt sich vor allem auf ein Netzwerk früherer KGB-Agenten, dessen Einflussnahme weit über Russland hinausreicht.



Catherine Belton, ehemalige Moskaukorrespondentin der
Financial Times
, hat mit zahlreichen ehemaligen Kreml-Insidern gesprochen. Etwas, das bisher einmalig sein dürfte. Es sind Männer, deren Macht Putin zu groß wurde und die nun selbst vom Kreml »gejagt« werden.


Erbarmungslos beleuchtet sie ein mafiöses Geflecht aus Kontrolle, Korruption und Machtbesessenheit, und das gefällt nicht allen Protagonisten.


Ihr Buch liest sich in all seiner Komplexität so spannend wie ein Agententhriller, doch vor allem enthüllt es, wie das System Putin uns alle mehr betrifft, als uns lieb ist. Spannend, herausragend, filmreif.




Nominiert als bestes Buch des Jahres von
The Economist
,
Financial Times
,
The New Statesman
und

The Telegraph





»Catherine Belton hat Männer zum Reden gebracht, bei denen man nicht unbedingt erwarten würde, dass sie reden wollen. Mit vielen Details entwickelt sie ein lebendiges Bild der wirtschaftlichen und politischen Umbrüche, die Russland in den vergangenen 30 Jahren erlebt hat.«



Reinhard Veser, FAZ





»Dieses fesselnde, fundiert recherchierte Buch ist wohl das Beste, das über Putin und die Menschen um ihn herum geschrieben wurde. Vielleicht sogar das beste über das heutige Russland.«



Peter Frankopan





»Sensationell ist ihr Einblick in die Strukturen des KGB. Dokumentiert wird, wie sich die KGB-Führung bereits zu Sowjetzeiten auf das nächste Kapitel der russischen Geschichte vorbereitete – basierend auf Geheimdienst-Traditionen, die noch aus der Zarenzeit stammten.«



John Kornblum
, ehemaliger Botschafter der USA



»Schritt für Schritt seziert Belton Putins Aufstieg und den Putinismus. Ihr Buch zeigt, wie Russlands Präsident in jeder Phase seiner Karriere die Methoden, Kontakte und Netzwerke des KGB in vollem Umfang nutzte. Ihre Darstellung wird maßgebend sein.«



Anne Applebaum,
The Atlantic





»Furchtlos und faszinierend. Das Buch liest sich stellenweise wie ein John le Carré-Roman. Eine bahnbrechende und sorgfältig recherchierte Anatomie des Putin-Regimes. Beltons Buch wirft ein Licht auf die Gefahren, die vom russischen Geld und Russlands Einfluss auf den Westen ausgehen.«



Daniel Beer
,
The Guardian





»Bücher über das moderne Russland gibt es viele. Catherine Belton übertrifft sie alle. Ihr lang erwartetes Buch ist das beste und wichtigste über das heutige Russland.«



Edward Lucas,
The Times


Mehr Informationen
ISBN 9783749903283
Erscheinungsdatum 07.02.2022
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Verlag HarperCollins
Übersetzung Elisabeth Schmalen, Johanna Wais
Sammlung 2 Jahre Krieg
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FALTER-Rezension

"Nach Wien nahm er sich London vor"

Tessa Szyszkowitz in FALTER 41/2022 vom 14.10.2022 (S. 14)

Catherine Belton spricht mit leiser Stimme, ihre Sätze sind lang und verschachtelt. Aber der Inhalt ihrer Worte ist klar: Wladimir Putins Netzwerk aus den späten 1980er-Jahren in Dresden, eine Mischung aus KGB-und Stasi-Kontakten, spielt bis heute eine tragende Rolle in seinem Machtapparat -vor allem bei der Verteilung des Vermögens im Ausland. Für ihr Buch "Putins Netz - Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste" hat sie sieben Jahre das Umfeld Putins recherchiert.
Die englischsprachige Ausgabe wurde 2020 veröffentlicht, sie gilt längst als Standardwerk der Kreml-Kleptokratie.

Vergangene Woche hielt Belton eine Wiener Vorlesung im Rathaus im Rahmen des "Vienna Humanitites"-Festivals des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen. Mit dem Falter sprach sie über die mögliche Rolle zweier in Österreich prominenter Männer im russischen Machtzirkel: des Milliardärs und SPÖ-Mitglieds Martin Schlaff sowie des ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch.

Letzterer harrt seiner Auslieferung in die USA in einer Hietzinger Villa des Investors Alexander Schütz, des vormaligen Spenders und jetzigen Geschäftspartners von Sebastian Kurz.

Falter: Frau Belton, Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie der jetzige russische Präsident Wladimir Putin noch als KGB-Offizier in Dresden vor dreissig Jahren ein Netzwerk gesponnen hat, das bis heute zusammenarbeitet. Auch der österreichische Geschäftsmann Martin Schlaff sei involviert gewesen. Warum sind Sie da so sicher?

Catherine Belton: Martin Schlaff weist dies weit von sich. Es gab aber eine sehr gründliche Untersuchung des deutschen Bundestages in den 90er-Jahren. Daraus ging hervor, dass Martin Schlaff in den 80er-Jahren als Stasi-Mitarbeiter geführt wurde.

So steht es in Ihrem Buch. Martin Schlaffs Anwalt stellt dem Falter gegenüber dazu fest, dass er als Geschäftsmann, der in der DDR tätig war, zwangsläufig mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in Kontakt gekommen, aber kein Mitarbeiter gewesen sei. Ein Ermittlungsverfahren in der BRD gegen Schlaff wegen des Vorwurfs der Spionage für die DDR wurde eingestellt.

Belton: Der Bericht des Deutschen Bundestages erwähnt seinen Decknamen: Landgraf. Schlaff bekam von 1986 bis 1988 den Auftrag von der Berliner Import-Export-Gesellschaft (BIEG), laut Bundestagsbericht eine Firma der Koko (Arbeitsbereich Kommerzielle Koordinierung, kurz: Koko, geleitet von Stasi-Offizier Alexander Schalck-Golodkowski, Anm.), ein Festplatten-Werk in Thüringen mit Einzelteilen zu beliefern.

Laut Schlaffs Anwalt ging es um die Lieferung von Festplattenspeichern und Maschinen für den Volkseigenen Betrieb (VEB) Kombinat Robotron, die Robotron-Gesellschaft war im heutigen Chemnitz.

Belton: Ich zitiere dazu in meinem Buch den Untersuchungsbericht des Bundestages, der das anders sieht (siehe S. 221 224: https://dserver.bundestag.de/btd/13/109/1310900.

pdf, Anm.). Es gab mehrere Verträge. Schlaff bekam dafür laut Untersuchungsbericht Dutzende Millionen von D-Mark. Dass dieses Geld von der ostdeutschen Regierung ausgegeben wurde, zu einer Zeit, wo Ostdeutschland kein Geld mehr hatte, ist unwahrscheinlich. Schlaff sollte die Bestandteile aus dem Westen in den Osten bringen. Sie waren unter Embargo, also war das im Prinzip Schmuggel.

Der Falter distanziert sich ausdrücklich von diesem Vorwurf gegen Schlaff. Schlaff hält fest, dass das Embargo für Handel von Technologie aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR galt, nicht für Österreich. Also: kein Schmuggel.

Belton: Im Bundestagsbericht steht allerdings, dass die von Martin Schlaff für dieses Projekt beauftragten Hersteller-und Lieferfirmen auch aus der BRD stammten. Dazu kam noch, dass viele Teile nie angekommen sein sollen. Die Millionen -das sagt ebenfalls der Untersuchungsbericht des Deutschen Bundestages - flossen in eine Reihe von ausländischen Scheinfirmen ab. Oft waren diese Scheinfirmen von Stasi-Offizieren besetzt. Nach dem Fall des Kommunismus arbeitete der Chef der Dresdener HVA, der Hauptverwaltung A, dem Auslandsnachrichtendienst der DDR, Herbert Köhler, für Schlaff. Es gibt also einen klaren Zusammenhang.

In einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse bestätigte Schlaff, dass Köhler für ihn gearbeitet hatte: "Er blieb nicht lange Zeit bei mir", sagt er dazu. Wir halten aus medienrechtlichen Gründen aber noch einmal fest, dass Martin Schlaff Ihre Vorwürfe bestreitet. Die Teile seien geliefert worden, dazu gibt es ein Urteil eines Schweizer Bezirksgerichts. Köhler habe für den Holzhandel Berlin-Brandenburg gearbeitet. Sie behaupten, dass es sich um ein organisiertes Netzwerk handelt, das auch nach dem Fall des Kommunismus die Geheimdienstkontakte aufrechterhielt. War Schlaff daran beteiligt oder verliert sich die Spur?

Belton: Es gibt keinen eindeutigen Hinweis, dass er Teil der Operation Lutsch - Sonnenstrahl -war. Diese Operation sollte die KGB-Netzwerke erhalten. Es gibt kein Papier, auf dem steht: "Lieber Martin Schlaff, im Namen der Operation Lutsch beauftragen wir Sie hiermit, unsere Netzwerke zu erhalten." Wir können nur raten. Schlaff reiste in dieser Zeit mindestens einmal nach Moskau zu einem hochrangigen Besuch mit Außenhandelsbeamten, und er war in Dresden zur gleichen Zeit wie Putin.

Welche Rolle spielt Schlaff Ihrer Meinung nach in Putins weiterem Netzwerk?

Belton: Ein enger Geschäftspartner von Martin Schlaff, Michael Hason, tauchte 2004 bis 2005 im Vorstand einer Firma namens Centrex Europe Energy & Gas AG auf. Diese Firma war der Wiener Ableger einer größeren Firma namens Centrex. Centrex wiederum war beteiligt an einer Firma, die Gas von Gazprom an Italien verkaufte. Auch ein enger Freund von Silvio Berlusconi hatte eine Beteiligung daran. Der Deal wurde von italienischen Abgeordneten gestoppt, weil sie fürchteten, dass ein Teil des jährlichen Einkommens an Berlusconi gehen würde.

Schlaffs Anwalt hält ausdrücklich fest, dass dieser mit Centrex nichts zu tun hatte. Kommen wir zu Dmytro Firtasch. Der ukrainische Geschäftsmann sitzt seit 2014 in Österreich, obwohl die USA ihn wegen Bestechung von indischen Regierungsbeamten im Zuge eines Titan-Deals vor Gericht stellen wollen. Er gründete 2004 das Unternehmen RosUkrEnergo, das fortan die russischen Gaslieferungen in die Ukraine managte.

Belton: Firtasch hat selbst gegenüber dem damaligen US-Botschafter in der Ukraine zugegeben, dass er nur deshalb das Gasgeschäft in der Ukraine übernehmen konnte, weil dies von Semjon Mogilewitsch eingefädelt worden war. Mogilewitsch stammt aus der Ukraine und gilt als der gefährlichste Mafia-Boss Russlands. Mogilewitsch hatte großes Interesse an dem Gasgeschäft zwischen Russland und der Ukraine, und weil seine Involvierung so offensichtlich wurde, brauchte er eben eine neue Figur, die das für ihn übernehmen konnte. Deshalb brachte er Dmytro Firtasch ins Spiel.

Firtaschs Anwälte stellen gegenüber dem Falter fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen den geschäftlichen Aktivitäten und organisierter Kriminalität in der ehemaligen Sowjetunion gebe.

Belton: Was Firtasch zum US-Botschafter in Kiew über Mogilewitsch gesagt haben soll, habe ich nicht erfunden, das steht in einem von Wikileaks veröffentlichten Bericht der US-Botschaft in Kiew. (siehe: https://wikileaks.org/plusd/cables/08KYIV2414_a.html, Anm.) Der Kreml gab die Zustimmung zu Firtaschs Rolle in diesem Geschäft. Mogilewitsch war der eine Pate, Putin war der andere Pate. Im Hauptquartier von Ros-UkrEnergo in Zug in der Schweiz saßen im Vorstand zwei ehemalige KGB-Offiziere, die hatten Kontrolle über die Vorgänge.

In Österreich spielte RosUkrEnergo eine große Rolle. Die Raiffeisenbank International war involviert.

Belton: Ja genau. Gazprombank hielt die Anteile in Russland und Raiffeisenbank die Anteile von Firtasch. Raiffeisen legitimierte den Deal gewissermaßen, denn wenn die österreichische Bank ihn akzeptierte, dann war es ja wohl okay.

Warum hat Österreich Firtasch Ihrer Meinung nach bisher nicht an die USA ausgeliefert?

Belton: Nicht nur hat Firtasch mit Ros-UkrEnergo viel Geld über die Raiffeisenbank nach Österreich gebracht. Er hatte auch sein eigenes Geschäftsimperium, die Group DF, die hier in Wien angesiedelt war. Dank seiner Position konnte er Kontrolle über Chemikalien-und Düngemittelfabriken in der Ukraine bekommen. Er brachte Milliarden nach oder zumindest durch Österreich.

Ging es Dmytro Firtasch nur ums Geschäft oder auch um Politik?

Belton: Kriminelle Deals sind ein Teil des Geschehens, wenn ein System zusammenbricht. Vor allem, wenn es so schnell geschieht, dass fast keine Gesetze mehr gelten. Ein Vakuum entsteht, das gefüllt werden kann. So entstand Anfang der 1990er-Jahre die Macht der Solnzewskaja-Gruppe, der Mafiaorganisation von Semjon Mogilewitsch. Nachdem die pro-westliche Regierung in Kiew 2005 an die Macht kam, wurde Präsident Viktor Juschtschenko mit dem Moskauer Gasdeal korrumpiert. Er gab unter dem Druck sofort nach. Der frühere US-Botschafter sagte dann in einem Gespräch zu Juschtschenkos Kabinettschef Oleh Rybachuk: "Willkommen im Korruptionsclub!" Firtasch nutzte die Ukraine als Übungsplatz für spätere Operationen. Er lernte, wie er Regierungen korrumpieren konnte. Von Österreich aus konnte er andere intransparente Gasgeschäfte in westlichen Ländern abschließen. Nach Wien nahm er sich London vor, er versuchte mit enormen Spenden an die Cambridge University und mit karitativen Vereinen, in denen Lords im Vorstand saßen, sein Image zu verbessern. Er gab der konservativen Partei Parteispenden. Nicht nur die österreichische, auch die britische Politelite nahm ihn mit offenen Armen auf. Obwohl gegen ihn seit Jahren wegen seiner Verbindungen zu Korruption und zur Mafia untersucht wird.

Weder Firtasch noch Schlaff haben Sie nach der Publikation Ihres Buches geklagt. Roman Abramowitsch und andere russische Oligarchen dagegen schon.

Belton: Ich hatte im Buch geschrieben, dass Putin Roman Abramowitsch befohlen hatte, den Chelsea Football Club zu kaufen, um Soft Power und Einfluss in Großbritannien zu bekommen. Das hatten mir drei seiner ehemaligen Geschäftspartner erzählt. Fast ein Jahr nach Erscheinen des Buches veröffentlichte er eine Presseerklärung: Er wollte mich und den Verlag klagen. Ein paar Tage später bekam ich aus heiterem Himmel auch noch Klagen von den russischen Milliardären Michail Friedman und Pjotr Aven. Dann kam noch Alischer Usmanow dazu, danach die Kreml-Ölfirma Rosneft und dann noch Schalva Tschigirinsky. Ich war verzweifelt. Ich hatte sieben Jahre recherchiert. In Großbritannien sind Prozesse sehr teuer. Es war klar, dass ich mir das nicht leisten konnte. Ich dachte schon, ich müsste das Buch zurückziehen oder ganze Kapitel streichen. Viele Journalisten haben gar nicht mehr über russische Oligarchen geschrieben, weil es finanziell so teuer kommen konnte.

Man nennt diese Klagen auch SLAPPS - Strategic Lawsuits Against Public Participation. Weil sie dazu dienen, Kritiker unter Druck zu setzen, um sie zum Schweigen zu bringen.

Belton: In meinem Fall hat das nicht funktioniert, weil meine Verleger von Harper Collins hinter mir standen. Ich konnte ihnen die E-Mails vorlegen, in denen Abramowitschs Pressesprecher alle Antworten abgesegnet hatte. Sie wussten, dass ich das ordentlich recherchiert hatte. Ich hatte alle Antworten seiner Seite eingearbeitet. Wir hatten das Buch mit Anwälten vorher auf Klagbares abgeklopft. Meine Verlegerin Arabella Pike von William Collins hat ein Rückgrat aus Stahl. Sie ließ sich nicht unter Druck setzen. Abramowitsch dachte, er könnte gewinnen, er sagte, ich hätte geschrieben, dass er eine korrupte Beziehung zu Wladimir Putin hatte. Die Richterin sagte: "Das steht nicht im Buch. Im Buch steht, dass Sie, Herr Abramowitsch, unter Putins Kontrolle stehen." Er konnte nicht beweisen, dass das nicht stimmte.

Sie haben sich mit ihm geeinigt und kleine Veränderungen im Buch vorgenommen.

Belton: Wenn wir bis zum Ende gekämpft hätten, dann hätten wir vielleicht alles gewonnen. Es hätte aber noch 2,5 Millionen mehr gekostet. Mein Verlag musste 1,5 Million zahlen. Deshalb haben wir kleinen Veränderungen zugestimmt, die die Integrität des Buches nicht beeinträchtigen. Wo stand, dass drei ehemalige Geschäftspartner bezeugen, dass Putin ihm aufgetragen hatte, den Fußballklub zu kaufen, steht jetzt, Putin dürfte ihm befohlen haben, Chelsea zu kaufen.Die englischsprachige Ausgabe wurde 2020 veröffentlicht, sie gilt längst als Standardwerk der Kreml-Kleptokratie.

Vergangene Woche hielt Belton eine Wiener Vorlesung im Rathaus im Rahmen des "Vienna Humanitites"-Festivals des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen. Mit dem Falter sprach sie über die mögliche Rolle zweier in Österreich prominenter Männer im russischen Machtzirkel: des Milliardärs und SPÖ-Mitglieds Martin Schlaff sowie des ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch.

Letzterer harrt seiner Auslieferung in die USA in einer Hietzinger Villa des Investors Alexander Schütz, des vormaligen Spenders und jetzigen Geschäftspartners von Sebastian Kurz.

Falter: Frau Belton, Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie der jetzige russische Präsident Wladimir Putin noch als KGB-Offizier in Dresden vor dreissig Jahren ein Netzwerk gesponnen hat, das bis heute zusammenarbeitet. Auch der österreichische Geschäftsmann Martin Schlaff sei involviert gewesen. Warum sind Sie da so sicher?

Catherine Belton: Martin Schlaff weist dies weit von sich. Es gab aber eine sehr gründliche Untersuchung des deutschen Bundestages in den 90er-Jahren. Daraus ging hervor, dass Martin Schlaff in den 80er-Jahren als Stasi-Mitarbeiter geführt wurde.

So steht es in Ihrem Buch. Martin Schlaffs Anwalt stellt dem Falter gegenüber dazu fest, dass er als Geschäftsmann, der in der DDR tätig war, zwangsläufig mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in Kontakt gekommen, aber kein Mitarbeiter gewesen sei. Ein Ermittlungsverfahren in der BRD gegen Schlaff wegen des Vorwurfs der Spionage für die DDR wurde eingestellt.

Belton: Der Bericht des Deutschen Bundestages erwähnt seinen Decknamen: Landgraf. Schlaff bekam von 1986 bis 1988 den Auftrag von der Berliner Import-Export-Gesellschaft (BIEG), laut Bundestagsbericht eine Firma der Koko (Arbeitsbereich Kommerzielle Koordinierung, kurz: Koko, geleitet von Stasi-Offizier Alexander Schalck-Golodkowski, Anm.), ein Festplatten-Werk in Thüringen mit Einzelteilen zu beliefern.

Laut Schlaffs Anwalt ging es um die Lieferung von Festplattenspeichern und Maschinen für den Volkseigenen Betrieb (VEB) Kombinat Robotron, die Robotron-Gesellschaft war im heutigen Chemnitz.

Belton: Ich zitiere dazu in meinem Buch den Untersuchungsbericht des Bundestages, der das anders sieht (siehe S. 221 224: https://dserver.bundestag.de/btd/13/109/1310900.

pdf, Anm.). Es gab mehrere Verträge. Schlaff bekam dafür laut Untersuchungsbericht Dutzende Millionen von D-Mark. Dass dieses Geld von der ostdeutschen Regierung ausgegeben wurde, zu einer Zeit, wo Ostdeutschland kein Geld mehr hatte, ist unwahrscheinlich. Schlaff sollte die Bestandteile aus dem Westen in den Osten bringen. Sie waren unter Embargo, also war das im Prinzip Schmuggel.

Der Falter distanziert sich ausdrücklich von diesem Vorwurf gegen Schlaff. Schlaff hält fest, dass das Embargo für Handel von Technologie aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR galt, nicht für Österreich. Also: kein Schmuggel.

Belton: Im Bundestagsbericht steht allerdings, dass die von Martin Schlaff für dieses Projekt beauftragten Hersteller-und Lieferfirmen auch aus der BRD stammten. Dazu kam noch, dass viele Teile nie angekommen sein sollen. Die Millionen -das sagt ebenfalls der Untersuchungsbericht des Deutschen Bundestages - flossen in eine Reihe von ausländischen Scheinfirmen ab. Oft waren diese Scheinfirmen von Stasi-Offizieren besetzt. Nach dem Fall des Kommunismus arbeitete der Chef der Dresdener HVA, der Hauptverwaltung A, dem Auslandsnachrichtendienst der DDR, Herbert Köhler, für Schlaff. Es gibt also einen klaren Zusammenhang.

In einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse bestätigte Schlaff, dass Köhler für ihn gearbeitet hatte: "Er blieb nicht lange Zeit bei mir", sagt er dazu. Wir halten aus medienrechtlichen Gründen aber noch einmal fest, dass Martin Schlaff Ihre Vorwürfe bestreitet. Die Teile seien geliefert worden, dazu gibt es ein Urteil eines Schweizer Bezirksgerichts. Köhler habe für den Holzhandel Berlin-Brandenburg gearbeitet. Sie behaupten, dass es sich um ein organisiertes Netzwerk handelt, das auch nach dem Fall des Kommunismus die Geheimdienstkontakte aufrechterhielt. War Schlaff daran beteiligt oder verliert sich die Spur?

Belton: Es gibt keinen eindeutigen Hinweis, dass er Teil der Operation Lutsch - Sonnenstrahl -war. Diese Operation sollte die KGB-Netzwerke erhalten. Es gibt kein Papier, auf dem steht: "Lieber Martin Schlaff, im Namen der Operation Lutsch beauftragen wir Sie hiermit, unsere Netzwerke zu erhalten." Wir können nur raten. Schlaff reiste in dieser Zeit mindestens einmal nach Moskau zu einem hochrangigen Besuch mit Außenhandelsbeamten, und er war in Dresden zur gleichen Zeit wie Putin.

Welche Rolle spielt Schlaff Ihrer Meinung nach in Putins weiterem Netzwerk?

Belton: Ein enger Geschäftspartner von Martin Schlaff, Michael Hason, tauchte 2004 bis 2005 im Vorstand einer Firma namens Centrex Europe Energy & Gas AG auf. Diese Firma war der Wiener Ableger einer größeren Firma namens Centrex. Centrex wiederum war beteiligt an einer Firma, die Gas von Gazprom an Italien verkaufte. Auch ein enger Freund von Silvio Berlusconi hatte eine Beteiligung daran. Der Deal wurde von italienischen Abgeordneten gestoppt, weil sie fürchteten, dass ein Teil des jährlichen Einkommens an Berlusconi gehen würde.

Schlaffs Anwalt hält ausdrücklich fest, dass dieser mit Centrex nichts zu tun hatte. Kommen wir zu Dmytro Firtasch. Der ukrainische Geschäftsmann sitzt seit 2014 in Österreich, obwohl die USA ihn wegen Bestechung von indischen Regierungsbeamten im Zuge eines Titan-Deals vor Gericht stellen wollen. Er gründete 2004 das Unternehmen RosUkrEnergo, das fortan die russischen Gaslieferungen in die Ukraine managte.

Belton: Firtasch hat selbst gegenüber dem damaligen US-Botschafter in der Ukraine zugegeben, dass er nur deshalb das Gasgeschäft in der Ukraine übernehmen konnte, weil dies von Semjon Mogilewitsch eingefädelt worden war. Mogilewitsch stammt aus der Ukraine und gilt als der gefährlichste Mafia-Boss Russlands. Mogilewitsch hatte großes Interesse an dem Gasgeschäft zwischen Russland und der Ukraine, und weil seine Involvierung so offensichtlich wurde, brauchte er eben eine neue Figur, die das für ihn übernehmen konnte. Deshalb brachte er Dmytro Firtasch ins Spiel.

Firtaschs Anwälte stellen gegenüber dem Falter fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen den geschäftlichen Aktivitäten und organisierter Kriminalität in der ehemaligen Sowjetunion gebe.

Belton: Was Firtasch zum US-Botschafter in Kiew über Mogilewitsch gesagt haben soll, habe ich nicht erfunden, das steht in einem von Wikileaks veröffentlichten Bericht der US-Botschaft in Kiew. (siehe: https://wikileaks.org/plusd/cables/08KYIV2414_a.html, Anm.) Der Kreml gab die Zustimmung zu Firtaschs Rolle in diesem Geschäft. Mogilewitsch war der eine Pate, Putin war der andere Pate. Im Hauptquartier von Ros-UkrEnergo in Zug in der Schweiz saßen im Vorstand zwei ehemalige KGB-Offiziere, die hatten Kontrolle über die Vorgänge.

In Österreich spielte RosUkrEnergo eine große Rolle. Die Raiffeisenbank International war involviert.

Belton: Ja genau. Gazprombank hielt die Anteile in Russland und Raiffeisenbank die Anteile von Firtasch. Raiffeisen legitimierte den Deal gewissermaßen, denn wenn die österreichische Bank ihn akzeptierte, dann war es ja wohl okay.

Warum hat Österreich Firtasch Ihrer Meinung nach bisher nicht an die USA ausgeliefert?

Belton: Nicht nur hat Firtasch mit Ros-UkrEnergo viel Geld über die Raiffeisenbank nach Österreich gebracht. Er hatte auch sein eigenes Geschäftsimperium, die Group DF, die hier in Wien angesiedelt war. Dank seiner Position konnte er Kontrolle über Chemikalien-und Düngemittelfabriken in der Ukraine bekommen. Er brachte Milliarden nach oder zumindest durch Österreich.

Ging es Dmytro Firtasch nur ums Geschäft oder auch um Politik?

Belton: Kriminelle Deals sind ein Teil des Geschehens, wenn ein System zusammenbricht. Vor allem, wenn es so schnell geschieht, dass fast keine Gesetze mehr gelten. Ein Vakuum entsteht, das gefüllt werden kann. So entstand Anfang der 1990er-Jahre die Macht der Solnzewskaja-Gruppe, der Mafiaorganisation von Semjon Mogilewitsch. Nachdem die pro-westliche Regierung in Kiew 2005 an die Macht kam, wurde Präsident Viktor Juschtschenko mit dem Moskauer Gasdeal korrumpiert. Er gab unter dem Druck sofort nach. Der frühere US-Botschafter sagte dann in einem Gespräch zu Juschtschenkos Kabinettschef Oleh Rybachuk: "Willkommen im Korruptionsclub!" Firtasch nutzte die Ukraine als Übungsplatz für spätere Operationen. Er lernte, wie er Regierungen korrumpieren konnte. Von Österreich aus konnte er andere intransparente Gasgeschäfte in westlichen Ländern abschließen. Nach Wien nahm er sich London vor, er versuchte mit enormen Spenden an die Cambridge University und mit karitativen Vereinen, in denen Lords im Vorstand saßen, sein Image zu verbessern. Er gab der konservativen Partei Parteispenden. Nicht nur die österreichische, auch die britische Politelite nahm ihn mit offenen Armen auf. Obwohl gegen ihn seit Jahren wegen seiner Verbindungen zu Korruption und zur Mafia untersucht wird.

Weder Firtasch noch Schlaff haben Sie nach der Publikation Ihres Buches geklagt. Roman Abramowitsch und andere russische Oligarchen dagegen schon.

Belton: Ich hatte im Buch geschrieben, dass Putin Roman Abramowitsch befohlen hatte, den Chelsea Football Club zu kaufen, um Soft Power und Einfluss in Großbritannien zu bekommen. Das hatten mir drei seiner ehemaligen Geschäftspartner erzählt. Fast ein Jahr nach Erscheinen des Buches veröffentlichte er eine Presseerklärung: Er wollte mich und den Verlag klagen. Ein paar Tage später bekam ich aus heiterem Himmel auch noch Klagen von den russischen Milliardären Michail Friedman und Pjotr Aven. Dann kam noch Alischer Usmanow dazu, danach die Kreml-Ölfirma Rosneft und dann noch Schalva Tschigirinsky. Ich war verzweifelt. Ich hatte sieben Jahre recherchiert. In Großbritannien sind Prozesse sehr teuer. Es war klar, dass ich mir das nicht leisten konnte. Ich dachte schon, ich müsste das Buch zurückziehen oder ganze Kapitel streichen. Viele Journalisten haben gar nicht mehr über russische Oligarchen geschrieben, weil es finanziell so teuer kommen konnte.

Man nennt diese Klagen auch SLAPPS - Strategic Lawsuits Against Public Participation. Weil sie dazu dienen, Kritiker unter Druck zu setzen, um sie zum Schweigen zu bringen.

Belton: In meinem Fall hat das nicht funktioniert, weil meine Verleger von Harper Collins hinter mir standen. Ich konnte ihnen die E-Mails vorlegen, in denen Abramowitschs Pressesprecher alle Antworten abgesegnet hatte. Sie wussten, dass ich das ordentlich recherchiert hatte. Ich hatte alle Antworten seiner Seite eingearbeitet. Wir hatten das Buch mit Anwälten vorher auf Klagbares abgeklopft. Meine Verlegerin Arabella Pike von William Collins hat ein Rückgrat aus Stahl. Sie ließ sich nicht unter Druck setzen. Abramowitsch dachte, er könnte gewinnen, er sagte, ich hätte geschrieben, dass er eine korrupte Beziehung zu Wladimir Putin hatte. Die Richterin sagte: "Das steht nicht im Buch. Im Buch steht, dass Sie, Herr Abramowitsch, unter Putins Kontrolle stehen." Er konnte nicht beweisen, dass das nicht stimmte.

Sie haben sich mit ihm geeinigt und kleine Veränderungen im Buch vorgenommen.

Belton: Wenn wir bis zum Ende gekämpft hätten, dann hätten wir vielleicht alles gewonnen. Es hätte aber noch 2,5 Millionen mehr gekostet. Mein Verlag musste 1,5 Million zahlen. Deshalb haben wir kleinen Veränderungen zugestimmt, die die Integrität des Buches nicht beeinträchtigen. Wo stand, dass drei ehemalige Geschäftspartner bezeugen, dass Putin ihm aufgetragen hatte, den Fußballklub zu kaufen, steht jetzt, Putin dürfte ihm befohlen haben, Chelsea zu kaufen.

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Putin wirklich verstehen

Robert Misik in FALTER 16/2022 vom 22.04.2022 (S. 11)

Ein Hooligan" sei er gewesen, erzählte Wladimir Putin in einem Interview vor mehr als 20 Jahren, auf seine Jugendtage angesprochen. Auf die ungläubige Frage des Interviewers, ob er damit nicht ein wenig flunkere, erwiderte Putin: "Wollen Sie mich beleidigen? Ich war ein echter Schläger."

Putin selbst ist immer wieder auf diese Geschichten zurückgekommen, hat die Straße "meine Universität" genannt. Unter den vier Grundsätzen, die er aus seiner Gangsterzeit mitgenommen habe, ist auch "Schluss Nummer drei: Ich habe gelernt, dass man - egal ob ich im Recht war oder nicht -stark sein müsse. Ich musste in der Lage sein, dagegenzuhalten Schluss Nummer vier: Es gibt keinen Rückzug, du musst bis zum Ende kämpfen. Letztendlich war es das auch, das ich später im KGB gelernt habe, aber im Grunde wurde mir das schon viel früher beigebracht -in diesen Kämpfen als Junge."

Vielleicht gibt uns diese Geschichte einen Einblick in das Denken von Wladimir Putin, wie er "tickt". Vielleicht aber auch nur, wie er gesehen werden will. Putin erzählt Geschichten nicht ohne Absicht, seit Beginn seines Aufstiegs basteln er, seine Entourage und seine Spindoktoren an seinem öffentlichen Image.

Was aber sind seine ideologischen Anschauungen? Wen schart er im inneren Machtapparat um sich? Wer ist also dieser Putin? Was treibt ihn an?

Spulen wir zurück. Es ist der 31. Dezember 1999. Der letzte Tag des Jahrtausends. Boris Jelzin, der erste Präsident der Russischen Föderation, tritt überraschend zurück. Niemand hatte damit gerechnet. Aber Jelzin - und seine Entourage, bekannt als "die Familie" - verfolgen einen Plan. Jelzin übergibt die Präsidentschaft verfassungsgemäß an den Ministerpräsidenten, an Wladimir Putin, der zu diesem Zeitpunkt noch keine fünf Monate als Ministerpräsident amtiert. Putin ist tatsächlich ein "Mann ohne Gesicht". Ein unbeschriebenes Blatt. Sie glauben, ihn kontrollieren zu können.

Jelzins Umfragewerte liegen im Keller. Er war in den 80er-Jahren der Ungestümste der Reformer in der KPdSU, war Moskauer Parteichef, gilt als der Demokrat unter den Spitzenkommunisten. Als die alte Garde gegen Michail Gorbatschow und seine Öffnungspolitik putscht, ist es Jelzin, der den Umsturz zum Scheitern bringt. Die Sowjetunion löst sich auf, auch an der Peripherie Russlands beginnen Abspaltungen. Es sind die Jahre des chaotischen Zerfalls an den Rändern, aber auch im Inneren. Die Wirtschaftsleistung fällt, einige werden schnell reich.

Putin, zuvor als KGB-Mann in Dresden, landet als stellvertretender Bürgermeister in Sankt Petersburg, seiner Heimatstadt, wo er am Stadtrand, in Trabantenstädten, in einer Arme-Leute-Gegend aufgewachsen ist. Der Bürgermeister, Putins Chef, ist damals Anatoli Sobtschak, ein ehemaliger Rechtsprofessor, der Anführer der Demokraten, der berühmteste russische pro-westliche Reformer.

Er ist eine strahlende Figur, doch kein besonders guter Organisator, aber auch ein Trickser, der sich als Liberaler gibt und hintenrum mit den alten Machthabern paktiert. Dafür hat er Putin, seinen Stellvertreter, zuständig für alles, wofür Sobtschak kein besonderes Talent hat. Putin ist Sobtschaks "Fixer", der, der die Dinge erledigt.

Putin tut sich mit der Mafia zusammen, die damals den Großen Hafen in Sankt Petersburg in der Hand hat. Putin ist mit seinen KGB-Leuten verbunden, nutzt sein Netzwerk, zugleich schließt er Bündnisse mit dem organisierten Verbrechen. Es wird ein Muster.

Als Sobtschak später abgewählt wird, wechselt Putin nach Moskau in den Kreml, auf einen Organisationsposten im Präsidentenstab. Dort steigt er schnell auf. "Er war folgsam wie ein Hündchen", berichtet Ser gei Pugatschow, damals im Kreml eine große Nummer, in einem Gespräch mit der Autorin Catherine Belton.

Putin rückt zum stellvertretenden Stabschef auf, danach zum Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, des Nachfolgers des KGB. Als er Ministerpräsident wird, übernimmt sein Kumpan Nikolai Patruschew seinen Posten. Mit Putin holen sich die alten KGB-Seilschaften die Macht. Aber noch gilt Putin als Demokrat und Liberaler. Immerhin kommt er aus Sobtschaks Stall. Und Sobtschak war der Posterboy der Demokraten.

Jelzin macht Putin zu seinem Nachfolger, um den Demokraten die Macht zu retten. Denn ohne waghalsiges Manöver hätten, so die Befürchtung, Leute wie KP-Chef Sjuganow, der Moskauer Bürgermeister Luschkow oder der alte KP-Haudegen Primakow die besten Chancen auf einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl gehabt. Die Jelzin-Leute hatten Angst, dass dann das Rad zurückgedreht würde. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Putin wurde installiert, um die Liberalen zu retten.

Was Putin und seine KGB-Truppe auszeichnet, ist mehrerlei: List, die Fähigkeit, langfristige Pläne zu verfolgen, und ausreichende Brutalität.

Putin legt in einer Fernsehansprache und einem großen Essay - bekannt unter dem Titel "Millennium Botschaft" - zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme 1999 seine Sicht dar. Russland ist als Macht abgestiegen, spielt nicht einmal mehr eine zweitsondern eine drittrangige Rolle, die Ordnung im Staat ist zerfallen.

"Es wird nicht so bald geschehen - falls es überhaupt jemals geschieht -, dass Russland eine zweite Ausgabe von beispielsweise den USA oder Großbritannien wird, deren liberale Werte tiefe historische Traditionen haben", schreibt er. "Für Russen ist ein starker Staat keine Abnormalität, die man loswerden will. Im Gegenteil, sie sehen ihn als Quelle und Garant der Ordnung an und als Initiator und hauptsächliche Triebkraft für jeden Wandel."

Bereits 1993 hatte Putin keinen Hehl aus seinen Auffassungen gemacht. Damals hatte das Neue Deutschland, die ehemalige Tageszeitung der DDR-Staatspartei SED, über eine öffentliche Debatte Folgendes zu berichten gewusst:

"Wladimir Putin hat vor deutschen Wirtschaftsvertretern deutlich gemacht, dass eine Militärdiktatur nach chilenischem Vorbild die für Russland wünschenswerte Lösung der gegenwärtigen politischen Probleme wäre. Er, Putin, billige angesichts des schwierigen privatwirtschaftlichen Weges eventuelle Vorbereitungen Jelzins und des Militärs zur Herbeiführung einer Diktatur nach Pinochet-Vorbild ausdrücklich."

Es ist ein Kreis von Hardlinern aus den Sicherheitsdiensten, allen voran aus Putins KGB-Seilschaften, der nach dem Amtsantritt Putins zur Jahrtausendwende vor 22 Jahren die Geschicke im Kreml bestimmt und die Macht sukzessive konsolidiert. Und am Ausgangspunkt von alldem steht Krieg. Mit dem Krieg gegen Tschetschenien, der abtrünnigen Provinz im Nordkaukasus, begann Putins Machtspiel.

Bombenanschläge in mehreren Wohnhausanlagen in Moskau am Beginn seines Aufstiegs im Herbst 1999 wurden tschetschenischen Terroristen angelastet, und es ist nie völlig aufgeklärt worden, ob diese Anschläge nicht vom KGB inszeniert worden waren, um eine Intervention in Tschetschenien zu rechtfertigen. Jedenfalls erlaubte der Tschetschenienkrieg Putin, sich als couragierten und entschlossenen Kriegsherrn mit volkstümlicher Sprache zu präsentieren. "Wir werden sie in ihren Scheißhäusern ausräuchern", erklärte er.

Tschetschenien wird, wie das einmal eine Journalistin formulierte, zu einem "Schlachthaus, das 24 Stunden am Tag in Betrieb ist".

Die "Oligarchen", also jene Freibeuter, die die Jahre der chaotischen Privatisierung genützt hatten, entmachtet Putin, besonders jene, die unter Verdacht stehen, sie könnten in die Politik oder auch nur in die öffentliche Meinung eingreifen wollen -sie gehen ins Exil oder landen im Straflager.

Die anderen dürfen ihr Vermögen behalten, wenn sie sein Primat akzeptieren.

Die neuen "Oligarchen" sind eigentlich keine mehr, sondern KGB-Funktionäre, die an die Spitze von Staatsbetrieben platziert werden und dort Putins korruptes System absichern. Sie üben nur den Job des Oligarchen aus, was nicht heißt, dass sie nicht Milliarden auf die eigenen Konten verschieben dürfen.

Die pluralistische, offene Gesellschaft? Sie wird in einem schleichenden Putsch abgewürgt. Dissidenten und Mitwisser werden vergiftet, Oppositionelle auf offener Straße erschossen, wie Boris Nemzow oder die legendäre Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 in ihrem Treppenhaus abgeknallt wird.

Wer im "System Putin" heute wirklich die Macht hat, weiß niemand so genau. Sicher ist nur: Da ist Nikolai Patruschew, der Chef des Nationalen Sicherheitsrates, ein KGB-Mann, der seit bald 30 Jahren an Putins Seite agiert; da ist Sergei Naryschkin, der Chef des Auslandsgeheimdienstes, der aber vor dem Einmarsch in die Ukraine bei einer inszenierten öffentlichen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates vor laufenden TV-Kameras selbst von Putin lächerlich gemacht wurde; da ist Sergei Shoigu, der Verteidigungsminister; da ist Igor Setschin, der schon in Sankt Petersburg als Putins Sekretär arbeitete, mit ihm dann in Jelzins Präsidialkabinett übersiedelte und nun das Ölkonglomerat Rosneft leitet, das nach der Bündelung von einstigen Oligarchen-Firmen zu einem staatlichen Mega-Konzern wurde.

Da ist Gazprom-Chef Alexei Miller, auch er aus Jelzins Sankt Petersburger Seilschaft - als Chef des Hochseehafens war er gewissermaßen Verbindungsmann zur organisierten Kriminalität. Da ist Putins Sprecher Dimitrij Peskow, längst mehr als ein Pressesekretär -seit 22 Jahren steht er schon dem Autokraten zur Seite.

Die meisten aus dieser Seilschaft stammen aus dem Sankt Petersburger Klüngel und aus den Sicherheitsapparaten. Sie sehen sich als "Outsider" am Kreml-Parkett, sind Provinzler, die Moskau "übernehmen". Sie sind leise, entschlossene Macher, die "die Politiker" verachten.

Die Führungsfiguren aus KGB-und Sicherheitsapparaten, die mit Putin gemeinsam an die Macht kamen, sind allgemein als die "Siloviki" bekannt, was so viel heißt wie "die Harten", die "harten Männer".

Allesamt sind sie radikale Konservative mit Schlagseite Richtung Faschismus, die Russland als antiwestliche Macht sehen, das Land als ideologischen Gegenspieler der liberalen, pluralen Geisteswelt des Westens. Patruschew vertritt die antiwestlichen Ideen noch begeisterter und durchgeknallter, als das Putin tut. "Vater und Mutter werden im Westen in Eltern Nummer eins und Eltern Nummer zwei umbenannt", fantasiert Patruschew schon einmal, "Kinder dürfen sich ihr Geschlecht aussuchen und in manchen Gegenden ist man schon so weit, dass die Ehe mit Tieren legalisiert wird."

Wie genau die Machtfäden in diesem Netz laufen, weiß niemand so recht. Gelegentlich ist von einem "One-Boy-Network" im Kreml die Rede, also einem Beziehungsgeflecht, in dem Putin das alleinige Zentrum ist, mit Fäden zu den anderen, aber ohne belastbare Fäden zwischen den anderen.

Dass Putin von jemandem aus dieser Machtclique gestürzt wird, ist unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher scheint ein Volksaufstand. Nicht einmal ein logischer Nachfolger ist in Sicht -und das, obwohl Putin im Herbst 70 Jahre alt wird und zumindest äußerlich rapide altert. Jedenfalls sieht er sichtlich ungesund aus.

"In Russlands Geschichte während des 20. Jahrhunderts hatten wir die unterschiedlichsten Perioden", hatte Boris Jelzin Mitte der 90er-Jahre in einem hellsichtigen Moment erklärt. "Monarchismus, Totalitarismus, Perestroika, und, schließlich, den demokratischen Entwicklungsweg. Jede dieser Etappen", bemerkte Jelzin, "hatte ihre eigene Ideologie. [] Aber jetzt haben wir keine."

Vom ersten Tag der Herrschaft an konsolidiert die Putin-Truppe nicht nur den Griff über das Land, sie entwickelt auch eine neue "Staatsideologie". Was Putin in seiner Millenniums-Botschaft schon anlegte, wird immer mehr radikalisiert. Vier Komponenten hat diese Ideologie: erstens die Idee von der "souveränen Demokratie", also einer gelenkten Scheindemokratie, in der ein starker Einziger an der Spitze steht - der Anführer, Präsident, Zar.

Das zweite Element ist Patriotismus verbunden mit Volkstümlichkeit. Das "Narod", verstanden als "einfaches Volk", mit seinem gesunden Patriotismus.

Drittens: Territorium, das Reich, das Imperium des russischen Vielvölkerstaates. 2005 bezeichnet Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als "die größte geopolitische Katastrophe" des 20. Jahrhunderts. Mindestens Belarus, Georgien und vor allem die Ukraine werden als historischer Teil einer "Russkyj Mir", der "russischen Welt", verstanden.

Das vierte Element dieser neuen imperialen Staatsidee ist ein Konservativismus, der die Werte und die Spiritualität des "Narod" hochhält und eng mit der christlichorthodoxen Kirche verbunden ist.

Und über all dem liegt, gewissermaßen als Guss, ein Gefühl der aggressiven Gekränktheit. Putin, formuliert der Slawist Riccardo Nicolosi, beschreibt Russland als ein Volk der "Erniedrigten und Beleidigten", er modelliere in seiner Rhetorik Russland "als ein zutiefst gekränktes Land, das vom Westen wiederholt beleidigt und betrogen worden sei".

2014, nach der Annexion der Krim, sagt Putin: "Wir wurden ein ums andere Mal betrogen. Aber alles hat seine Grenzen."

Bei der Ausformulierung dieser Staatsphilosophie greift Putin auf reaktionäre Denker wie Iwan Iljin zurück, der in den 20er-Jahren von Lenin ins Exil getrieben und zu einem Bewunderer Mussolinis und Hitlers wurde. "Putins Philosoph eines russischen Faschismus", nennt ihn der Historiker Timothy Snyder. Der Faschismus habe "ein rettendes Übermaß an patriotischer Willkür", attestiert Iljin -und er meint das positiv.

Je kleiner der Kreis einer verschworenen Truppe ist, deren Ideologie von der Vorstellung getragen ist, dass Russland vom Westen überrumpelt, gefährdet und im Inneren von Intriganten und Separatisten bedroht ist, umso größer kann auch die Paranoia sein, in die sich ein immer kleiner werdendes Küchenkabinett selbst hineinschraubt.

Dass Putin seit Jahren nur von Jasagern umgeben ist, neben seiner höflichen Seite auch eine sehr jähzornige Ader hat und die Speichelleckerei genießt, ist allgemein bekannt. "Irgendwann stieg ihm das zu Kopf", meint Sergei Pugatschow. Leute hielten Toasts auf Putin mit Wendungen wie "du bist ein Geschenk Gottes", wundert sich Pugatschow, "und er genoss das richtiggehend".

Über Jahre hinweg gelingt es Putin und seiner Truppe, viele zu täuschen und zu verwirren, da sie eine Art "postmoderne Diktatur" entwickeln. Sie entfachen einen Nebel, trommeln eine Staatsideologie, versehen sie aber regelmäßig mit einem Augenzwinkern.

Eine Schlüsselrolle nimmt darin Wladislaw Surkow ein, ein verkrachter Künstler und Theatermann, aber auch ein genialer Kreativer, der als "Erfinder der russischen PR" und als "graue Eminenz" des Kremls bezeichnet wurde. Surkow hört Punkmusik und Rap, schreibt Songtexte und modelliert das Image von Putin. Über lange Jahre ist er Vizechef der Kreml-Verwaltung und so etwas wie der oberste Spindoktor, der ganz begeistert ist von der Idee, man könne mit Spinnennetzen von Narrativen die Öffentlichkeit völlig manipulieren. "Verwirren ist das Ziel, Täuschung ist Wahrheit", schreibt er.

Er etabliert eine Wirklichkeit, in der sich niemand mehr auskennt, ist ein "Marionettenspieler", der das Land "aus der Dekadenz Richtung Wahnsinn treibt", so der britische TV-Journalist Peter Pomerantsev, einer der besten Kenner dieses Systems der Meinungsmanipulation: "Dies ist die Gesellschaft, in der wir leben (eine Diktatur), aber wir betrachten sie als eine Art Spiel."

Oppositionelle werden vergiftet und erschossen, der Anführer zugleich als "guter Diktator" inszeniert, die Despotie senkt sich herab, und zugleich herrscht in der Kunstwelt absolute Freiheit -solange niemandem auf die Zehen getreten wird. Die Diktatur ist real, tut aber so, als wäre sie eine Show, eine Soap-Opera.

Über die Staatsmedien laufen nur mehr Fake News, bis einfach die totale Lüge herrscht, was zwar jeder weiß, aber nur zur Folge hat, dass jeder zynisch wird. Nichts ist ernst, am Ende aber doch tödlich. Man redet den Menschen ein, die Ukrainer ermorden sich gegenseitig, und man interveniert, um ihnen Frieden zu bringen. Zweifel säen, die Realität als Simulakrum behaupten, in der ja alles wahr sein kann, Lüge und Wahrheit einfach nur gleichwertige "Narrative".

Knapp vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe schlug die Nachricht ein, Surkow, dieser wahrscheinlich dämonischste Spindoktor der Welt, sei von Putin unter Hausarrest gestellt worden.

Putin spricht in einer Gossensprache, aber auch, um sich als "Normaler" zu positionieren, als harter Hund, als "einer von euch". Den Oligarchen Oleg Deripaska nennt er schon einmal eine "Kakerlake", er klopft Machosprüche, macht Vergewaltigungs-Witzchen, Georgiens seinerzeitigem Präsidenten Michail Saakaschwili droht er, er werde ihn "an den Eiern aufhängen", und kritischen Jugendlichen möge man "mit dem Knüppel eins überziehen", empfiehlt er.

Es ist stets spekulativ zu fragen, inwiefern die Struktur der Macht -also das "System", das eine Machtclique etabliert -und die Persönlichkeit, also individuelle Charakterzüge des Anführers, aufeinander einwirken. Offensichtlich ist aber, wie perfekt sie sich im Falle Putins ergänzen. Putin ist routiniert darin, eine freundliche Miene aufzusetzen und zugleich Feinde zu verfolgen. "Er ist ein kleiner, rachsüchtiger Mann", wie eine russische Journalistin über ihn sagte.

Nur ganz selten blitzt das bei öffentlichen Auftritten auf, etwa bei Journalistenfragen. Aber wenn, dann spürt man mit einem Mal den "unverhohlenen Hass" in Putin. Masha Gessen sagt: "Seine Freunde kannten ihn als jemanden, der seinen Gegnern fast die Augen auskratzte, wenn er wütend wurde."

Zahllose Episoden zeigen, mit welchem Vergnügen Putin "jemanden vor Publikum demütigt", ohne die Stimme zu heben, wobei er eine kalte Ruhe ausstrahlt.

Ein Vertrauter aus jungen Tagen, dem Putin schon früh enthüllte, für den KGB zu arbeiten, fragte sich immer wieder, was genau sein Bekannter denn mache, was exakt seine Fähigkeiten seien. Irgendwann merkte er, dass er nichts über Putin wusste. "Was können Sie?", fragte er Putin eines Tages. Der antwortete: "Ich bin ein Experte für zwischenmenschliche Beziehungen."

In dieser Rezension ebenfalls besprochen:

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Putins Machtbasis: Geheimdienst, Kleptokratie

Franz Kössler in FALTER 8/2022 vom 25.02.2022 (S. 22)

Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der Financial Times, Catherine Belton, rekonstruiert den Aufstieg Wladimir Putins

Wladimir Putin hat nicht wenige Sympathisanten unter westeuropäischen Linken, trotz seiner Unterstützung rechtsextremer Parteien. Sie sehen in ihm eine Barriere gegen die grenzenlose Expansion der Nato und der USA. Eine Analyse seines Aufstiegs unter der Schirmherrschaft des KGB vom unbedeutenden Agenten in Dresden über das Kabinett des Petersburger Reform-Bürgermeisters bis zum Nachfolger Boris Jelzins wirft ein neues Licht auf ihn.

Putin hat die chaotische neoliberale Transformation der russischen Wirtschaft gestoppt, die soziale Gegensätze und eine gesetzlose Oligarchie erzeugt hatte. Er hat dieses System aber nur umgeleitet, die Oligarchen in seinen Dienst gezwungen und seine eigenen Leute bereichert. Und er unterwandert die liberalen Demokratien des Westens.

In ihrem sorgfältig recherchierten Buch zeigt die ehemalige Moskau-Korrespondentin der Financial Times, Catherine Belton, wie das alte KGB-Netzwerk durch Putin seine Machtposition zurückerobert hat. Früher als andere hatte der Geheimdienst den Zusammenbruch der Sowjetunion kommen sehen und Milliarden aus dem Land geschafft sowie ein Netzwerk für die Zeit danach aufgebaut.

Detailliert zeichnet Belton nach, wie dieses Netzwerk die Macht zurückerobert und seinen Einfluss auf Finanz-und Machtzentren in London, New York und auch Wien ausgebaut hat. Die Vorgangsweise war skrupellos: unliebsame Wirtschaftsakteure wurden aus dem Weg geräumt, Unternehmen enteignet und wieder unter die großen Staatskonzerne gezwungen. Namen aus der Petersburger Unterwelt, derer sich der KGB schon zu Sowjetzeiten bedient hatte, tauchen in den aktuellen Fällen von Geldwäsche, Korruption und Mordanschlägen gegen Kritiker im Exil wieder auf. Auch Wien bildet eine Konstante im korrumpierenden Einfluss auf westliche Demokratien. Man denke nur an die Rolle einiger Banken und Mittelsmänner bei dubiosen Geldtransfers bis hin zu den russischen Versorgungsposten für ehemalige österreichische Spitzenpolitiker diverser Parteien.

Ursprünglich, schreibt Belton, habe sie nur die Übernahme der Wirtschaft durch Putins frühere KGB-Kollegen dokumentieren wollen. Ihre Recherchen hätten aber einen noch beunruhigenderen Hintergrund aufgedeckt: "Die Übernahme der Wirtschaft - und der Justiz und des politischen Systems - durch die KGB-Kräfte führte zu einem Regime, in dem die Dollar-Milliarden, die Putins Kumpanen zur Verfügung stehen, aktiv dafür genützt werden, die Institutionen und Demokratien des Westens zu untergraben."

Die alte KGB-Taktik, liberale Gesellschaften durch Desinformation, Korruption von Politikern und Unterstützung radikaler Organisationen zu destabilisieren, erlebe unter Putin eine Neuauflage. Was perfekt zu seiner geopolitischen Strategie passt, die alten Einflusssphären mit Gewalt wiederherzustellen. Die englische Ausgabe des Buchs erschien 2020 und wurde als eine der am besten dokumentierten Analysen des Systems Putin gepriesen.

Ihre Stärke ist zugleich ihre Schwäche: Belton hat für ihre Recherche auch ehemals engste Vertraute Putins interviewt. Sie haben profundes Insiderwissen und sich zu Putin-Kritikern gewandelt, tendieren aber dazu, ihre eigene Rolle zu beschönigen. Selbst wenn man Beltons These einer perfekt geplanten Zurückeroberung Russlands durch eine neue Kleptokratie nicht teilt, bietet das Buch einen aufschlussreichen Einblick in die Machtstrukturen unter Putin.

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