Geächtet, geliebt und mitunter lebensgefährlich
Sebastian Kiefer in FALTER 18/2022 vom 06.05.2022 (S. 28)
Berühmt wurde Michael Pollan, leidenschaftlicher Gärtner und Journalismusprofessor in Berkeley, mit Büchern, die in der angelsächsischen Tradition des Scientific Writing die Geschichte des Menschen als Geschichte des Umgangs mit Pflanzen erzählen. Die Perspektive der Pflanzen ist Teil davon: Begehrenswert für den Menschen zu sein wurde mit evolutionärem Erfolg belohnt -so im Falle von Obst, Getreide, Gemüse, Gewürzen, aber auch von Duft-und Heilkräutern sowie psychoaktiven Pflanzen.
Weltweit entdeckt man heute die seit den 1960er-Jahren geächteten Psychedelika als Heilmittel in der Psychiatrie, der Palliativ-und Suchtmedizin wieder. Pollans Buch "How to Change Your Mind" ("Verändere dein Bewusstsein"), das die Geschichte des Konsums, der Deutungen und der Erforschung der Psychedelika erfahrungsnah vorführte, passte perfekt zu diesem Trend. Auch in seinem neuen Werk über psychoaktive Pflanzen verbindet der Autor meisterhaft Geschichtserzählung, Reportage und philosophische Ausdeutung.
Koffein erkundete Pollan durch einen dreimonatigen Entzug. Die Bohne wirkte historisch umwälzend, erhöhte sie doch die Arbeitsleistung und ermöglichte erst die Nachtarbeit. Es ist der perfekte Stoff für eine Gesellschaft der Arbeitsdisziplin. Opium lernte der Autor kennen, als er während des unter Bill Clinton verschärften war on drugs Mohnblumen im Garten anbaute und unversehens zum Kriminellen wurde.
Gleichzeitig wurde derselbe Wirkstoff in den USA als Schmerzmedikament vermarktet und rief die sogenannte Opioidkrise hervor, die hunderttausende Todesopfer forderte. Auch Peyote-Kakteen, aus denen Meskalin gewonnen wird, pflanzte Michael Pollan im eigenen Garten. Native Americans haben, seit ihnen ihr Land geraubt wurde, Peyote-Zeremonien als identitätsstiftende Kulte tradiert. Ihnen geht es allerdings weniger um mystische Erfahrung als vielmehr um gruppentherapeutische Heilung.