Was für eine Woche! - FALTER.natur #115

Katharina Kropshofer
Versendet am 16.06.2023

Ich weiß ja nicht, ob Sie sich beruflich auch so viel mit der Klimakrise beschäftigen müssen. Falls ja: Mein Beileid. Denn dann haben Sie so wie ich eine Woche hinter sich, die es in sich hatte: Auf der Prä-Klimakonferenz in Bonn wurde viel gestritten, Temperaturmessungen im Nordatlantik ließen Forscher:innen staunen, Abstimmungen auf EU-Ebene über eines der wichtigsten Naturschutzgesetze dieses Jahrhunderts wurden verschoben, der Verfassungsgerichtshof verhandelt über die Klimaklage von zwölf Kindern. Und im österreichischen Parlament zeigten sich viele erleichtert, weil die SPÖ nun doch zu Diskussionen rund um das Energieeffizienzgesetz bereit ist, das sie zuvor blockiert hatte.

Ein paar der Klimanachrichten habe ich am Schluss dieses Newsletters nochmal für Sie zusammengefasst. 

Eine Meldung raubte mir aber besonders viel Schlaf. Vielleicht auch, weil ich als jemand, der in den Bergen aufgewachsen ist, auch eine emotionale Verbindung zu dem Thema spüre; eine Überwindung der Bewusstseinsschranke sozusagen, die die täglichen dystopischen Fakten nicht immer durchbrechen.

Es hat nur ein paar Sekunden gedauert, da war das Fluchthorn im Tiroler Silvretta-Gebirge plötzlich um 100 Meter niedriger. Der ganze Südgipfel sei abgebrochen, meinte der Obmann der Galtürer Bergrettung im Interview mit der Tiroler Tageszeitung. Ein Video zeigt den Bergsturz.

Felsstürze per se sind nichts Neues, alpine Gefahren wie Muren, Lawinen bestehen schon seit jeher - und sind natürlich oft auch dem Zufall geschuldet. Doch wohl nicht in diesem Fall. 

Denn der Kleber, der unsere Berggipfel zusammenhält, droht gerade zu tauen. Permafrost, so nennen Forscher:innen einen Untergrund, der für mehr als zwei Jahre gefroren bleibt. Die meisten assoziieren damit die Tundra Sibiriens. Erhitzt sich die Atmosphäre, tauen auch diese Böden auf. Die Bakterien, die darin geschlummert haben, beginnen wieder mit ihren Aktivitäten, zersetzen bisher gefrorenes, organisches Material - und erzeugen dabei Treibhausgase wie Methan, die wiederum die Erderhitzung befeuern können. Ein Teufelskreis. 

Etwa ein Viertel der gesamten Landfläche unserer Erde ist Permafrostgebiet - doch es gibt in nicht nur im hohen Norden, sondern überall, wo es kalt genug ist, der Boden gefroren bleibt. Im Alpenraum liegt diese Zone auf 2.500 bis 3.000 Metern Höhe. Wird es wärmer, taut er, die Felsen werden instabiler und können abbrechen. So wie im Silvretta vergangenen Sonntag. Durch die Klimakrise könnte es in Zukunft "vermehrt solche Sturzprozesse" geben, erklärt etwa der Geologe Michael Lotter der Geosphere Austria in einem Interview mit Vorarlberg Online. Und Vorhersagen seien im Vergleich zu Lawinen oder auch Murenabgängen viel schwieriger. 

In diesem Fall hatten die Bewohner Glück: Der Bergsturz geschah außerhalb des Siedlungsraums, in anderen Fällen könnten aber auch Gebäude und Straßen zerstört werden, landwirtschaftliche Flächen verloren gehen oder auch Siedlungen Menschenleben gefährdet werden. Und man stelle sich nur vor, wenn so etwas wie im norditalienischen Vajont-Tal passiert: Dort führte das Aufstauen eines Stausees 1963 zu einem Bergrutsch, der eine Flutwelle auslöste und neun Dörfer zerstörte. 3000 Menschen starben. 

Viele Umweltorganisationen sprechen nach den Vorfällen in Tirol deshalb nun auch etwas Wichtiges an: Bei der Klimakrise geht es schon lange nicht mehr nur ums Verhindern und Vermindern, sondern auch um adäquate Anpassung. Rote Zonen, in denen nicht mehr gebaut werden darf, werden in Zukunft wohl vermehrt an potenzielle Naturkatastrophen angelehnt werden müssen. Und auch beim Bau von Stauseen für Wasserkraftwerke, die viele als Lösung für die Klimakrise erachten, gilt schon lange nicht mehr "volle Kraft voraus".

Die Berge werde ich in Zukunft deshalb übrigens nicht meiden. Denn was hilft mehr, um diese erschütternden Fakten zu verarbeiten, als ein Tag in der Natur?

Katharina Kropshofer

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Mehr Klima im Falter

Mehr zum Thema Permafrost lesen Sie demnächst im FALTER. Davor habe ich aber eine ganz persönliche Frage an Sie: Was sind die Dinge, die bei Ihnen die Bewusstseinsschranke überschreiten? Die Klimageschichten, bei denen Sie nicht weiterscrollen, vielleicht sogar ein Erweckungserlebnis hatten? Schreiben Sie mir gerne, indem Sie auf diesen Newsletter antworten. 

In er momentanen Ausgabe schreibt meine Kollegin Eva Konzett übrigens über eine Naturkatastrophe, die definitiv kein Zufall ist: Den Bruch des Kachowka-Stausees im Süden der Ukraine.

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Gute Klimanews

Ein neuer Parteichef kann auf vielen Ebenen Wind in eine Organisation bringen, in diesem Fall war es eine ziemlich erfrischende Brise: Die SPÖ hatte in den vergangenen Wochen einen sehnlichst erwarteten Gesetzesentwurf zur Energieeffizienz blockiert, weil sie sich im Gegenzug mehr Unterstützung für Vorschläge zur Teuerungs-Einbremsung erwartet hatte.

Nun sei man doch gesprächsbereit. Für die Teuerung wollen sich die Sozialdemokraten weiterhin einsetzen, aber bei Klimathemen wolle man die eigene Position ab sofort überdenken - etwa, wenn es um das Erneuerbare-Wärme-Gesetz geht. Eine Voraussetzung, um Gas- und Ölheizungen in Gebäuden auszutauschen. Mein Kollege Benedikt Narodoslawsky hat vor ein paar Wochen hier aufgeschrieben, wieso Klimapolitik keine Parteifarbe haben sollte.

Und noch eine gute Nachricht möchte ich Ihnen ins Wochenende mitgeben: 22 Prozent der Geschäftsreisen wurden im Vorjahr mit der Bahn gemacht, schreibt die Mobilitätsorganisation VCÖ. Damit wurden erstmals in diesem Jahrhundert mehr Geschäftsreisen per Zug als per Flieger durchgeführt.


Die weniger guten Klimanews

Einen weniger guten Rekord zeichneten Forscher:innen diese Woche im Nordatlantik auf: Um ein halbes Grad schlug die Wassertemperatur den bisherigen Höchstwert. Manche befürchteten deshalb sogleich, dass es Anzeichen eines überschrittenen Kipppunkts im Klimasystem sein könnten. Auch wenn viele Kolleg:innen das sogleich entkräfteten, sind es nicht unbedingt positive Nachrichten: Klimafachleute können bisher nur spekulieren, wieso sie 22,7 Grad Celsius im Mittel gemessen hatten.

Die Vermutung fällt auf die Erderhitzung und einen generellen Trend zu wärmeren Ozeanen, inklusive mariner Hitzewellen, die durch "El Niño" noch stärker werden dürften. Dazu kommt eine technische Umstellung: Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation senkte 2020 den maximal zulässigen Gehalt an Schwefel in Schiffstreibstoffen. Dadurch gingen die Schwefelemissionen in diesem Bereich zurück, mit dem Nebeneffekt, dass ein Kühleffekt ausblieb. Denn aus dem Schwefel entstehen in der Atmosphäre Aerosole, die einen Teil des Sonnenlichts reflektieren - die Ozeane werden so kühler.

Und auch der Saharastaub, der sonst mit den Passatwinden aus der Riesenwüste kommt, blieb in den vergangenen Wochen vermehrt aus. Und mit ihm der Schatten, der sonst auf die Ozeane fällt, vermutete der Klimaforscher Michael Mann auf Twitter.


Sonstiges

Falls Sie dieses Wochenende (nach oder vor den Feierlichkeiten zur diesjährigen Regenbogenparade am Samstag) Ruhe oder kühle Räume suchen, verschlägt es Sie vielleicht ins Technische Museum: Dort hat gestern eine Ausstellung zur Energiewende gestartet. 
Oder Sie feiern im Nationalparkhaus Wien Lobau ein Sommerfest

Und falls Sie besonders schöne und wertvolle Streuobstflächen kennen oder sogar besitzen, können Sie diese hier einreichen (und sogar was gewinnen). 


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