Umstrittenes Lueger-Denkmal: Jetzt wird gekippt – und das ist gut so - FALTER.morgen #583

Versendet am 01.06.2023

Das umstrittene Denkmal am Ring wird nicht geschleift, sondern gekippt – und kontextualisiert: Gut so! >> Ein bisschen Freude: Reportage aus dem Kinderhospiz in Meidling >> Der Fassadenleser über ein Haus mit roter Nazi-Nase

Wetterkritik: Nicht viel Neues unter der Frühsommersonne – und das ist durchaus angenehm: Schwach windig und meist wolkenlos bei bis zu 27 Grad.


Guten Morgen!

Zwischen Canceln und Erhalten liegen 3,5 Grad. Um diesen Winkel soll die Statue des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger im ersten Bezirk künftig gekippt werden (die Umsetzung startet 2024). Diese künstlerische Intervention nach den Plänen von Klemens Wihlidal ist ein Kompromiss, den die Stadt Wien gestern bei einer Pressekonferenz präsentierte. Denn das Denkmal am Stubenring sorgt wegen Luegers antisemitischen Einstellungen seit Jahren für Diskussionen. 

2020 haben Aktivisten die Statue mit dem Schriftzug „Schande” besprüht. Erst vorige Woche wurde das Denkmal mit blauer Farbe überschüttet. In sozialen Medien wird in regelmäßigen Abständen gefordert, das Standbild niederzureißen. Und diesem Tenor schlossen sich auch gewichtige Stimmen an. Etwa Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) - der sagte, Lueger gehöre „entsorgt”. Oder die Jüdische Hochschülerschaft, die meint, die Stadt missachte „die Stimmen der von Antisemitismus Betroffenen”, wenn sie das Denkmal stehen ließe.

Aber es gibt eben auch die anderen: Zum Beispiel Historiker wie Oliver Rathkolb und Heidemarie Uhl. Die beiden meinen, die Statue solle bleiben, aber kontextualisiert werden. „Wenn das weg ist, ist es weg, dann ist auch die Geschichte weg”, sagte Uhl im Magazin des Wien Museums. 

Wie soll eine Stadt mit dieser Kontroverse um das Denkmal umgehen? Eine Antwort hat Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) gestern präsentiert. Mehr darüber gleich unten.

Außerdem im heutigen FALTER.morgen: Heute streiken die Freizeitpädagoginnen, weil sie durch eine angedachte Gesetzesänderung schlechtere Arbeitsbedingungen befürchten – wir sind der Frage nachgegangen, was an der Aufregung dran ist (Spoiler: nicht sehr viel). Nina Horaczek schreibt über ein einzigartiges Hospiz in Meidling, das Kindern mit lebensverkürzenden Krankheiten und ihren Eltern ein paar schöne Stunden ermöglicht. Und unser Fassadenleser Klaus-Jürgen Bauer hat im 6. Bezirk ein Wohnhaus, dem von einem Nazi-Architekten eine rote Nase aufgesetzt wurde.

Einen schönen Tag wünscht

Soraya Pechtl


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Der future ball is back in town und dieses Jahr part of ViennaUP!

Zum Eingrooven gibt es am Samstag, 3. Juni ab 19 Uhr ein warm up mit FM4 DJ Line an der ViennaUP Homebase am Karlsplatz. Ab 21 Uhr tanzt sich dann die Startup und Party Szene im SO/Vienna in die Zukunft.

Kipppunkt

Die Karl-Lueger-Statue am Ring soll ab 2024 um 3,5 Grad geneigt werden. Die künstlerische Intervention soll den umstrittenen Wiener Bürgermeister ins rechte Licht rücken.

Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) hat bereits vor drei Jahren klargemacht, dass ein Abriss der Statue für sie nicht infrage kommt. „Ich bin dafür, dass eine Stadt mit ihren Wunden umgeht und sie nicht aus dem Blick räumt”, sagte sie 2020 in der Kronen Zeitung. Leicht hat sie es sich mit der Entscheidung, die Statue zu kippen, trotzdem nicht gemacht.

2021 lud sie über 40 Teilnehmer mit unterschiedlichsten Positionen zu Gesprächen ins Rathaus. Es folgte der Entschluss, das Denkmal künstlerisch zu kontextualisieren (mit einem eher missglückten temporären Ergebnis). Eine Kommission aus Wissenschaftlern (darunter Rathkolb und Uhl) lieferte den nötigen Kontext. Und im Herbst des Vorjahres begann schließlich der künstlerische Wettbewerb. 13 Jury-Mitglieder (Künstler, Kulturwissenschafter und Historiker, die Namen können Sie hier nachlesen) haben mehrere Tage lang die Einreichungen gesichtet und sich schließlich für die Pläne von Klemens Wihlidal entschieden. Der Entwurf wurde übrigens bereits 2009 bei einem OpenCall der Universität für angewandte Kunst ausgezeichnet. 

Alles gut, also?

Schiefe Optik: So würde das Lueger-Denkmal nach der Umgestaltung aussehen (© PID/Andreas Praefcke)

Was man Kaup-Hasler lassen muss: Der Prozess zur Kontextualisierung war transparent und demokratisch - alle Interessengruppen wurden eingebunden. Die Kritik ebbt aber auch nach der gestrigen Pressekonferenz nicht ab. Zu mutlos sei die Umsetzung, zu alt der Entwurf, meinen etwa die Wiener Grünen.  

Aber ein Ende der Diskussion hat wohl ohnehin niemand erwartet. Und das ist auch gut so. 

Denn mal ehrlich: Hätte die Stadt die Statue bereits 2021 abgerissen, wir hätten in den vergangenen Jahren nicht so viel über Lueger und seinen Antisemistismus gesprochen und erfahren. 

Und auch wenn die Schieflage nur eine „minimale formale Irritation” sein mag, wie es in einer Aussendung der Stadt heißt: Passanten sehen dennoch mit freiem Auge, dass mit dem Denkmal etwas nicht stimmt. Zudem wird eine Tafel den nötigen Kontext liefern. Das sollte dazu führen, dass nach der Umgestaltung zumindest einige Menschen vor dem Denkmal stehen bleiben und sich mit Lueger kritisch auseinandersetzen. 

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Stillstand oder Bewegung?

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Stadtnachrichten

Soraya Pechtl

Besser oder schlechter?

Schul-Freizeitpädagoginnen gehen auf die Straße, um gegen eine angeblich geplante, massive Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zu protestieren. Aber müssen sie das wirklich fürchten?

Wenn Sie Kinder im Grundschulalter haben, müssen Sie sich für heute Nachmittag eventuell eine alternative Betreuung organisieren. Denn ab 13:30 streiken die Freizeitpädagogen und -pädagoginnen an 142 öffentlichen Volksschulen in Wien. Das Personal von „Bildung im Mittelpunkt" (kurz: BiM, das Unternehmen gestaltet das Freizeitprogramm an Wiens Schulen) hält ab 15 Uhr eine Betriebsversammlung am Stephansplatz ab, weil es eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen befürchtet. 

Um zu verstehen, warum die Freizeitpädagogen heute protestieren, müssen wir ein wenig ausholen. 

Angefangen hat die Diskussion mit dem Dokument „Entwurf Schulrechtsnovelle”, den der BiM-Betriebsrat vorige Woche leakte. Demnach soll eine neue Berufsgruppe der „Assistenzpädagogen” (der Name ist noch nicht fix) eingeführt und „die Freizeitpädagogik eliminiert werden”, heißt es auf der Homepage. Und weiter: Die Änderungen seien mit „katastrophalen Verschlechterungen" verbunden. Für die Ausbildung zum Assistenzpädagogen wäre künftig eine Matura nötig (im Gegensatz zu Freizeitpädagogen), dafür würde die Dauer des Lehrgangs halbiert werden. Außerdem würden Assistenzpädagogen unter ein neues Lohnschema fallen. „Sollte dies so umgesetzt werden, bedeutet das massive Gehaltskürzungen”, so der Betriebsrat. In den ersten Jahren müssten die BiM-Mitarbeiter mit einem „Minus von bis zu 19 Prozent" rechnen.

Nur hat diese Darstellung aber ein paar Tücken: Ja, die Bundesregierung plant eine Novelle des Schulgesetzes. Darin geht es auch um die Freizeitpädagogen, die die Nachmittagsbetreuung an ganztägigen Schulen übernehmen.

Aber: Erstens ist das geleakte Dokument lediglich ein Vorentwurf und damit weit davon entfernt, im Nationalrat beschlossen zu werden. Der Gesetzestext ist noch nicht einmal in Begutachtung. In diesem Verfahren können verschiedene Interessengruppen – auch BiM – und die Bundesländer Stellungnahmen abgeben, dann wird der Entwurf erneut überarbeitet. „Wir haben erst angefangen, über die Reform zu reden. Wir wollen alle Länder an Bord haben. Das Gesetz wird nicht kommen, wenn das nicht der Fall ist”, sagt die Grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann

Zweitens soll die geplante Novelle die Situation der Freizeitpädagogen nicht verschlechtern, sondern laut Hamann im Gegenteil „aufwerten” und bundesweit vereinheitlichen. Aktuell ist es nämlich so, dass jedes Bundesland die Ausbildung und die Anstellungsvoraussetzungen anders regelt. In Wien sind die Freizeitpädagogen etwa bei BiM beschäftigt, einem Unternehmen im Eigentum der Stadt. Künftig sollen alle „pädagogischen Assistenten" bei den Bildungsdirektionen angestellt werden – mit Vorteilen des öffentlichen Dienstes wie etwa Biennalsprüngen. Der Bund übernimmt die Kosten dafür. Allerdings würden BiM und die rund 50 Mitarbeiter in der Zentrale ihren Daseinszweck verlieren.

Warum hat BiM ihre Kritik also nicht im Begutachtungsverfahren eingebracht, wie das im parlamentarischen Verfahren üblich ist?

Laut Selma Schacht, Vorsitzende des BiM-Betriebsrats, hat das vor allem einen Grund: Die Freizeitpädagogen fühlen sich zu wenig eingebunden. Grundsätzlich habe man nichts gegen eine Novelle, aber alle Beteiligten müssten von Anfang an involviert werden. „Wir werden vom Ministerium ständig abgewiesen. Nur informelle Gespräche werden uns angeboten. Aber das bringt nichts, weil man dort nichts verhandeln kann", sagt sie. 


Falter-Radio

Die Turbulenzen europäischer Sozialdemokratie

(v.l.n.r.) Horaczek, Rosenberger, Löw, Misik; zugeschaltet und nicht im Bild: Schieder

Über den Machtkampf in der SPÖ und den Hintergrund in Europa diskutieren in der aktuellen Folge bei Raimund Löw der EU-Abgeordnete Andreas Schieder, der Publizist Robert Misik, die Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger und Falter-Chefreporterin Nina Horaczek.


Reportage

Nina Horaczek

„Wir sind hier die Spaßfraktion”

Ein einzigartiges Tageshospiz in Meidling macht es möglich, dass Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten jede Woche ein paar schöne Stunden verbringen – und ihre Eltern währenddessen durchatmen können.

„Wir sind hier die Spaßfraktion”, sagt Tiertherapeutin Christine Hatwagner und versteckt ein Leckerli hinter Lucys Rücken. Auf Kommando stupst Therapiehund Apollo, ein stattlicher Labrador, das kleine Mädchen mit seiner feuchten Nase zärtlich herum. So lange, bis Lucy sanft durchgeschüttelt ist und der Hund seinen Leckerbissen hat.

Lucy mit Therapiehund Apollo und Therapeutin Christine Hatwagner (© FALTER/Heribert Corn)

Lucy scheint das zu gefallen. Zumindest wirkt es so, denn Lucy kann nicht sprechen und sich nicht wegdrehen, wenn ihr etwas nicht passt. Lucy ist eines von etwa 1.150 Kindern in Wien, die eine lebensverkürzende Krankheit haben. Als das Mädchen zur Welt kam, gaben ihr die Ärzte höchstens eine Woche. Diese Wette hat Lucy haushoch gewonnen. Sie ist heute dreieinhalb Jahre alt. Aufgrund einer genetisch bedingten Erkrankung ist sie kleinwüchsig, benötigt spezielle Nahrung und ein Tracheostoma, einen künstlichen Zugang zur Luftröhre als Atemunterstützung.

Heute, am 1. Juni, wird österreichische Kinderhospiz- und Palliativtag begangen – und damit der Tag jenes Ortes, an dem Lucy ein Mal pro Woche einige schöne Stunden verbringt. Im Kinder-Tageshospiz auf der Meidlinger Hauptstraße bekommen Kinder wie Lucy Tiertherapie, Musiktherapie und vieles mehr. Ihre Eltern können an diesem Tag unbesorgt durchatmen, weil sie wissen, dass erfahrene Kinderkrankenpflegerinnen sich um ihre Lieblinge kümmern. Bis zu drei Kinder werden hier tagsüber betreut.

Manchmal dürfen die Kinder hier auch ein ganz besonderes Wochenende verbringen. Am Samstagvormittag checken sie samt Pyjama, Medikamentenbox und Kuscheltier ein. Erst kommt ein Arzt oder eine Ärztin zur Visite. Wenn alles passt, dürfen die Kinder bis Sonntag Nachmittag bleiben. Die Pflegerinnen schicken den Eltern dann regelmäßig Fotos und Textnachrichten. Die Botschaft dahinter: Wir passen auf. Erholt euch. Genießt eure kurze Freizeit. So konnten Lucys Eltern zum ersten Mal wieder gemeinsam ins Musical gehen. Das Wochenend-Hospiz ist in Österreich einzigartig.

Um die 65 Familien werden derzeit vom Kinderhospiz-Netz betreut. Die kranken Kinder bekommen auch zu Hause Besuch von den spezialisierten Pflegerinnen, für die Geschwister gibt es eigene Gruppen, in denen sie sich austauschen können. Das Kinderhospiz-Netz hat auch Angebote für Geschwisterkinder. Zusätzlich unterstützt auch eine Sozialarbeiterin die Eltern. „Der Bedarf ist aber höher als wir Plätze haben“, sagt die stellvertretende Obfrau Irene Eberl. Finanziert wird das Angebot durch private Spenden.

Nicht nur am heutigen Kinderhospiz- und Palliativtag wünscht sie sich deshalb vor allem eines: „Dass wir die finanziellen Möglichkeiten haben, um noch mehr Kindern und ihren Familien helfen zu können.“


Unsichtbare Barrieren, Teil 3

„Für Gehörlose ist Wien gefährlich“

Wenn die Stadt zum Gegner wird: Eine Serie über die Grenzen der Mobilität für Menschen mit Behinderung in Wien.

Heute kommt unserer Serie über unsichtbare Barrieren in der Stadt, die wir in Kooperation mit dem inklusiven Medium andererseits diese Woche bringen, Helene Jarmer, die Präsidentin des österreichischen Gehörlosenbundes zu Wort. Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen haben sich darüber Gedanken gemacht, wie Wien aussehen müsste, um für alle gut erlebbar zu sein.

„Es ist nicht nur diskriminierend, dass Menschen wie ich oft nicht mitgedacht werden, es kann lebensgefährlich sein“: Helene Jarmer (© ÖGLB/Robert Harson)

Welche Barrieren bemerkst du, wenn Du dich durch die Stadt bewegst?

Wien ist eine wunderschöne Stadt! Als jemand, für den das Sehen sehr wichtig ist, kann ich die Architektur und ihr Flair sehr genießen. Aber leider ist Wien im Verkehr und in öffentlichen Gebäuden gefährlich für gehörlose Menschen. Viele Signale, die informieren und auf Gefahren hinweisen oder Funktionen, mit denen man Hilfe holen kann, sind rein akustisch: Ich kann zum Beispiel eine Durchsage der Wiener Linien nicht hören, ein Signalton oder eine Sirene kann mich nicht warnen. Ich kann im Lift stecken und keine Hilfe rufen, weil die Notrufeinrichtungen auf Lautsprache gestellt sind. Es ist nicht nur diskriminierend, dass Menschen wie ich oft nicht mitgedacht werden, es kann lebensgefährlich sein.

Besuchst du Kulturveranstaltungen in Wien? Hast Du Probleme beim Zugang?

Ich liebe die Kunststätten der Stadt, die Galerien, die Museen. Ihre Angebote sprechen mich als kunstsinnige Person sehr an. Allerdings kann ich die Audio-Guides nicht nutzen, die durch die Ausstellungen führen. Ich müsste einen Gebärdensprachdolmetscher mitbringen, um die Erklärungen zu verstehen – auf eigene Kosten, versteht sich. Dann kostet mich ein Museumsbesuch aber 150€. Gerade die großen Häuser sollten zumindest hin und wieder Führungen in österreichischer gehörlosen Sprache kostenfrei anbieten.

Wie könnte es besser gehen? Hast Du einen Vorschlag?

Die perfekte Straße bietet vor allem Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Sie muss vor allem übersichtlich sein und alle Signale müssten nach dem 2-Sinne-Prinzip funktionieren. Wer nicht sehen kann, hört sie und wer nicht hören kann, sieht sie. Auch wünsche ich mir, dass Notrufeinrichtungen und Stationen mit Defibrillatoren ausgestattet werden, dass auch taube Personen sie nutzen können.

Protkoll: Moritz Wildberger, Sebastian Gruber, Lisa Kreutzer


Lokaltipp

Roter Bär Buffet (1120)

Hans Bodingbauer wolle die inflationsbedingte Preisspirale nicht mehr mitmachen, der er in seinem wunderbaren Gasthaus zum Roten Bären in der Berggasse wegen Mieterhöhung, Personalkosten, Energiekosten und Einkaufspreisen zwangsläufig unterworfen ist. Die Preissteigerungen gingen ihm auf die Nerven. Die niedrige Miete eines ehemaligen Bauchstich-Cafés im 12. Bezirk gebe ihm eine Möglichkeit dazu.

Also renovierte er das frühere Café Rocket in einem schmucklosen 70er-Jahre-Wohnbau am Anton-Krutisch-Park, checkte sich von der Pizza Mari’ einen süditalienischen Kaffee, der sich um € 1,90 pro Tasse verkaufen lässt, organisierte ein grandioses tschechisches Bier, von dem ein Seidl so viel kostet wie früher (nämlich € 3,30), und heckte eine schlaue kulinarische Strategie aus: in der Früh Kipferln, Kuchen und Plunder, danach gibt’s Brötchen der besonderen Art und je nach Saison. Das dicke Ende kommt aber noch: Bodingbauer macht hier nämlich auch Suppe, sowohl Gemüsesuppentopf als auch Rindsuppentopf. In dem sind Wurzelgemüse, Rindfleisch, frische Bio-Kräuter aus Stockerau und eine Einlage serienmäßig, weitere ordert man nach Wunsch und Wahl. Kostet knapp zehn Euro, macht Spaß und satt.

Die gesamte Lokalkritik von Florian Holzer lesen Sie hier.


Frage des Tages

Was zeigt unser heutiges Satellitenfoto?

© Geoland

Auflösung von gestern: Die erste Häusernummerierung Wiens diente dazu, wehrfähige Männer zu rekrutieren (nicht um die Orientierung zu erleichtern oder um das Bürgertum von den Proletariern zu unterschieden).


Event des Tages

Gerhard Stöger

Literatur

Eigentlich hätte ja Donna Leon wieder mal ins Konzerthaus kommen sollen. Die venezianische Krimi-Doyenne mit Faible für Händel musste jedoch absagen. Eingesprungen ist ihr kaum weniger erfolgreicher Verlagskollege Martin Walker, der Erfinder des gemütlichen französischen Dorfpolizisten Bruno. Das Alte-Musik-Ensemble infiammabile begleitet die Lesung des schottischen Autors. (Sebastian Fasthuber)

Konzerthaus, Schubert-Saal, Do 19.30


Buch

Eberhard Seidel: Döner

Der Berliner Journalist Eberhard Seidel hat über Migration und Rechtsextremismus geschrieben. Sein Leibthema jedoch ist der Döner. Seine Abhandlung, erschienen im wieder wachgeküssten Gegenkultur-Verlag März, enthält Fakten und Zahlen, die die große Zuneigung der Deutschen zum schnell verzehrten Gericht vom Drehspieß belegen.

Lang hält Seidel sich aber nicht damit auf - dehnt er doch seine Erkundungen an Dönerbuden und bei Fleischproduzenten zur "türkischdeutschen Kulturgeschichte" aus. Er erzählt von der ersten Gastarbeitergeneration, von unternehmerischem Mut, aber auch von Ordnungsämtern und dem Gammelfleischskandal der Nullerjahre, der den Döner in ein schlechtes Licht rückte. Und vom Imbiss als Begegnungsstätte, wo "Hans und Mustafa" ins Gespräch kamen. Kurzweilig und klug. (Sebastian Fasthuber)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at


Der Fassadenleser #115

Klaus-Jürgen Bauer

Das Haus mit der roten Nase

Das Wohnbauprogramm des sogenannten Roten Wien war auf der ganzen Welt bekannt. Mit der Amtsenthebung von Bürgermeister Karl Seitz im Jahre 1934 endete dieses Erfolgsmodell abrupt. Der Ständestaat reduzierte den Wohnbau dann auf einen sehr bescheidenen Umfang. Die Idee der Wiener Wohnhöfe ging trotzdem nicht ganz verloren. Selbst das NS-Regime baute noch da und dort Gemeindebauten: etwa den Windmühlhof in der Windmühlgasse.

Die L-förmige, sechsgeschossige Anlage schreibt streng genommen viele Gestaltungsparameter des Roten Wien fort. Kein Wunder: Der Architekt der 1940 fertiggestellten Anlage war Adolf Stöckl, der als Mitarbeiter des Wiener Stadtbauamts zuvor schon viele Bauten des Roten Wien geplant hatte. 

Der auffällige Erker des Windmühlhof in der Windmühlgasse wirkt wie ein aufgesetzter Fremdkörper. (© Klaus-Jürgen Bauer)

Es gibt eine vertraute Sockelzone mit einem schlichten Gesims und die Nullflächen sind mit dem typisch gelben Wiener Sand verputzt. Die Fenster sitzen tief in Laibungen mit schlichten Putzfaschen. Die plastisch durchgebildete Gebäudekante und die massigen Portale werden durch schwere graue Putzauflagen betont. 

Wenn hier auch die Architektur noch weitgehend den lokalen Traditionen verpflichtet ist: Für die Kunst gilt das nicht. Der auffällige, intensiv mit Ziegelsplitt gefärbte halbrunde Erker wirkt jedenfalls wie ein aufgesetzter Fremdkörper. Es ist ein Werk des NSDAP-Mitglieds Igo Pötsch, der von 1938 bis 1943 Ausstellungs-Leiter des Wiener Künstlerhauses war. 


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