Der Alarmruf der Ibiza-Anklägerin

Eine Staatsanwältin klagt an: Wie die Politik die Korruptionsbekämpfung torpediert

vom 11.02.2021

Christina Jilek im U-Ausschuss | (Foto: Florian Klenk)

Eigentlich wollte ich Ihnen heute eine spannende Reportage über den Ibiza-Untersuchungsausschuss schreiben. Denn gestern trat Christina Jilek in den Zeugenstand, jene Staatsanwältin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die das Ibiza-Verfahren führte, also das wichtigste Verfahren der Republik.

Es geht bekanntlich um Bestechung und Gesetzeskauf – und es geht um die Rolle der ÖVP dabei. Die Hintergründe habe ich hier aufgeschrieben. Jilek schmiss ihren Job hin, weil sie sich gegängelt fühlte.

Im Untersuchungsausschuss hat die 40-jährige Juristin dann aber ein derartig beeindruckendes und, wie ich meine, zeitgeschichtliches Eröffnungsstatement gehalten, dass ich auf meine Reportage verzichte und ihr Statement einfach hier im Wortlaut dokumentieren möchte.

Wenn Interims-Justizminister Werner Kogler darauf nicht reagiert, können die Grünen das Justizministerium einfach an die ÖVP abgeben.

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Hier das Statement von Christina Jilek:

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich war über 13 Jahre Staatsanwältin mit Leib und Seele. Ende 2020 habe ich mich von der WKStA und der Strafjustiz schweren Herzens verabschiedet. Das ist mir alles andere als leicht gefallen. Aber für mich war das alternativlos.

Mein Anspruch war, das Ibiza-Verfahren zügig, ergebnisoffen und frei von politischer Einmischung zu führen. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass das unter den aktuellen systemischen und personellen Rahmenbedingungen nicht geht. Die vollständige und unabhängige Aufklärung des Sachverhaltes innerhalb einer vertretbaren Verfahrensdauer ist nicht möglich. Es gibt zu viele Störfeuer.

„Man muss sich die Gewissensfrage stellen“

Ich habe alle in meiner Position vorhandenen und rechtlich zulässigen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Irgendwann musste ich erkennen, dass den Personen in den Schlüsselpositionen der Wille für die notwendige Veränderung fehlt. Und dann muss man sich die Gewissensfrage stellen, das habe ich für mich gemacht. (…) Ich bin nicht bereit, ein Feigenblattverfahren zu führen.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war eine dienstrechtliche Maßnahme des Leiters der Oberstaatsanwalt Wien, Johann Fuchs, vom 11. September 2020, die das Justizministerium zunächst mitgetragen hat. Eine sogenannte „Ausstellung“. Eine Ausstellung kommt in den Personalakt, sozusagen als Minuspunkt.

„Warum die Maßregelung?“

Und warum die Maßregelung? Weil bei tausenden Aktenseiten und rund 30 Akten und Tagebüchern im Ibiza-Komplex ein einziges E-Mail im vermeintlich falschen Tagebuch liegen soll. Und wissen Sie welches Mail? Die Information, dass Ihnen – dem parlamentarischen U-Ausschuss – der Schredder-Akt über Weisung der Oberstaatsanwaltschaft Wien nicht vorzulegen ist!

Der Vorwurf war schon inhaltlich völlig haltlos. Aber damit Sie verstehen, wie außergewöhnlich so eine Ausstellung ist, müssen Sie wissen, ich habe so etwas in 13 Jahren noch nie gesehen. Ich habe auch mit vielen Kollegen gesprochen. Niemand kennt so etwas. Im Übrigen gibt es dagegen auch keine Rechtsmittel.

Anstatt mich voll auf die Arbeit konzentrieren zu können, bin ich zu einem Rechtsanwalt gegangen und habe mich dagegen auf eigene Kosten zur Wehr gesetzt. Fuchs musste die Maßnahme über Weisung des Ministeriums zurücknehmen. Das war kein einmaliger Vorfall, sondern nur der traurige Höhepunkt einer ganzen Reihe von Vorgängen, wo man mir oder meinen Kollegen zu Unrecht dienstrechtliche Vorwürfe gemacht hat. Dieser Disziplinierungsversuch hat mir jedenfalls eines sehr deutlich vor Augen geführt. Es wird sich nichts ändern. (…)

„… das Vertrauen in meinen Vorgesetzten vollständig verloren“

Wie gesagt, das war der letzte Tropfen. Aber das Fass war ohnehin übervoll. Wodurch hat es sich gefüllt?

Einerseits durch mehrere ganz außergewöhnliche Vorgänge im Zusammenhang mit Weisungen, Berichtsaufträgen oder der Zusammenhang mit der Polizei. Und durch Umstände, die dazu geführt haben, dass ich das Vertrauen in meinen Vorgesetzten Oberstaatsanwalt Fuchs vollständig und unwiederbringlich verloren habe und durch die ich den Eindruck gewinnen musste, dass Fuchs mir gegenüber die Dienst- und Fachaufsicht befangen ausübt. (…)

Ich habe intern alles versucht, um eine Lösung zu finden. Leider ohne Erfolg. Wichtig ist mir festzuhalten, dass es nicht um einzelne Personen oder persönliche Befindlichkeiten geht, sondern um das aktuelle staatsanwaltschaftliche System, in dem diese Dinge möglich sind.

Meine tiefste Überzeugung aufgrund meiner Erfahrung als Oberstaatsanwältin – und auch als Staatsbürgerin – ist es, dass eine effektive, schlagkräftig und zügige Korruptionsbekämpfung systembedingt nicht möglich ist, solange die justizielle Antikorruptionsbehörde WKStA unter politischer Aufsicht steht. Solange die ermittelnde Polizei unter politischer Aufsicht steht. (…)

„Befreien Sie die WKStA aus ihrem politischen Korsett!“

Meiner Ansicht nach besteht dringende Handlungsbedarf. Und das bringt mich zu meinem Appell, den ich als Staatsbürgerin an Sie als Gesetzgeber richten möchte: Sie haben es in der Hand. Bitte schaffen Sie die Rahmenbedingungen dafür, dass die WKStA ihre Rolle vollständig erfüllen kann und in diesem Verfahren und auch in allen anderen Verfahren vollständig aufklären kann. Befreien Sie die WKStA aus ihrem politischen Korsett! Stellen Sie die WKStA unter die transparente, unabhängige und kritischste Kontrolle, die wir haben: die ausschließliche Kontrolle durch unabhängige Gerichte.

***

Oberstaatsanwalts-Chef Johann Fuchs hat all diese Vorwürfe zurück gewiesen. Die Grüne Justizministerin Alma Zadic wurde bereits im Mai 2020 informiert und um Hilfe gebeten. Jetzt ist Christina Jilek Richterin in Graz. Das von ihr kritisierte System hat die erste Runde gewonnen.

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