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Erinnerungen
336 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783552056015
Erscheinungsdatum 28.01.2013
Genre Belletristik/Romanhafte Biografien
Verlag Zsolnay, Paul
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Kurzbeschreibung des Verlags

Taschenmesser und Wolldecke - das sind die einzigen Habseligkeiten, die der 13-jährigen Barbara bei Kriegsende nach ihrer Vertreibung in den Westen bleiben. In ihrer bewegenden Autobiographie erzählt die Publizistin und Mitbegründerin der legendären Osteuropa-Redaktion des ORF, Barbara Coudenhove-Kalergi, von der untergegangenen Welt der böhmischen Aristokratie, von ihren Anfängen als Reporterin in Wien während des Kalten Krieges, vom Wiedersehen mit ihrer Heimat Böhmen. Und wir erfahren von ihrer Ehe mit dem Reformkommunisten und Vertrauten Rudi Dutschkes, Franz Marek. Die Erinnerungen der Grande Dame des Journalismus in Österreich sind ein einzigartiges Dokument über die Irrungen und Wirrungen Mitteleuropas im 20. Jahrhundert.

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FALTER-Rezension

"Demokratie war für uns etwas Fremdes"

in FALTER 1-2/2022 vom 14.01.2022 (S. )

Die große österreichische Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi wird 90. Ein Gespräch über Alpenländchen und Kerzlweiberl sowie Helden des Widerstands und den Lauf der Geschichte

Barbara Coudenhove-Kalergi war 13, als sie und ihre Familie im Mai 1945 aus Prag vertrieben wurden. Sie flüchteten nach Österreich. Coudenhove-Kalergi ist geblieben und wurde Journalistin. Als ORF-Korrespondentin berichtete sie aus Osteuropa, als es noch Ostblock genannt wurde, und war dabei, als die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei dem kommunistischen Regime eine Ende setzte. Coudenhove-Kalergi hat viel zu erzählen. Und sie tut es mit feiner Zurückhaltung. Die großen Wirrnisse der Geschichte packt sie in klare und knappe Worte.

Falter: Frau Coudenhove-Kalergi, nach Ihrer Flucht haben Sie Österreich zunächst als provinziell erlebt. Wie blicken Sie heute auf das Land?

Barbara Coudenhove-Kalergi: Der Unterschied ist gewaltig. Das Österreich der Nachkriegszeit war faktisch eine Wiederauflage des Ständestaats. Vom Nationalsozialismus, dem Holocaust, dem Bürgerkrieg im Jahr 1934 haben wir nichts gehört. Und wir haben gelernt, dass Österreich weder mit Deutschland noch mit der Donaumonarchie etwas zu tun hat. Die Botschaft war: Wir sind ein kleines Alpenländchen, das eigentlich mit überhaupt nichts etwas zu tun hat.

Nicht einmal mit der Donaumonarchie?

Coudenhove-Kalergi: Nein, den Vielvölkerstaat wollte man nicht. Es gab auch niemanden, der uns etwas beigebracht hätte. Viele waren tot oder in Kriegsgefangenschaft. Die Sozialisten und die Juden waren weg, auch die Nazis. Übrig geblieben sind jene Menschen, die zwischen 1934 und 1938 eine Rolle gespielt haben. Das waren die 1950er. Aber Provinzialismus ist für die Österreicher nach wie vor eine Versuchung.

Haben Sie das auch anders erlebt?

Coudenhove-Kalergi: Ja, als Journalistin, etwa in den 1970er-Jahren. Die Öffnung zum Ausland war im ORF das große Verdienst von Gerd Bacher und Hugo Portisch. Sie haben die Auslandsberichterstattung eingeführt. Portisch stand am Times Square oder am Roten Platz und erzählte, was da los war. Dann wurden die Auslandsbüros eingeführt, die es heute noch gibt und die sehr gut sind. Ich war glücklich, damals in der Osteuropa-Redaktion mit dabei zu sein. Heute ist die Pandemie das beherrschende Thema, in manchen ORF-Journalen gibt es gar keinen Auslandsbeitrag.

Sie kommen aus einer adeligen Familie, in der über Generationen Multikulturalität und Vielsprachigkeit verankert sind. Oft wird Ihre Großmutter Mitsuko erwähnt, die aus Japan stammte. Was bedeutet es für Sie, in dieser Familie groß geworden zu sein?

Coudenhove-Kalergi: Man lehnt das Fremde nicht ab, sondern findet es interessant. Gegen Nationalismus waren wir immun.

Ihre Familie verstand sich nicht als tschechoslowakisch, war aber auch nicht Teil der sudetendeutschen Minderheit. In welcher Welt sind Sie aufgewachsen?

Coudenhove-Kalergi: Mein Vater hat immer gesagt, wir sind Böhmen deutscher Zunge. Diesen Begriff hat der Philosoph Bernard Bolzano im 19. Jahrhundert erfunden und ein schönes Gleichnis gebracht: Die slawische Linde und die deutsche Eiche können gut nebeneinander gedeihen.

1938 marschierte Hitler in der Tschechoslowakei ein. Ihr Vater entschied sich weder gegen noch für die Nazis.

Coudenhove-Kalergi: Mein Vater war weder Widerstandskämpfer noch Nazi. Nach dem "Anschluss" galten wir als Deutsche und wurden automatisch zu "Reichsbürgern". Mein jüngerer Bruder und ich waren in der Hitlerjugend, mein Vater und meine älteren Brüder in der Wehrmacht. Gleichzeitig nahmen uns die Nazis in Sippenhaft, weil mein Onkel Richard, der in der Emigration in England war, Anti-Nazi-Reden gehalten hat. Mein Vater wurde als Soldat entlassen und mein ältester Bruder aus der Offiziersschule gleich an die Ostfront geschickt. Wir waren so wie Millionen andere weder Opfer noch Täter.

Haben Ihre Eltern versucht, Politik und Krieg von den Kindern fernzuhalten?

Coudenhove-Kalergi: Als Kind habe ich die Situation angenommen, wie sie war. Ich kam 1938 in die Schule und hatte in der ersten Klasse jüdische Freundinnen und Freunde. In der zweiten Klasse waren sie plötzlich weg. Die sind nach England gezogen, hat es geheißen.

Sie und Ihre Familie wurden 1945 als Deutsche aus Prag vertrieben. Ahnten Ihre Eltern, dass das geschehen würde?

Coudenhove-Kalergi: Meine Eltern haben immer gesagt: Wir waren vor Hitler da, wir werden auch nach Hitler da sein. Wir haben also nicht damit gerechnet, dass wir rausmüssen. Auch als wir abgeholt wurden, war uns noch nicht klar, dass wir nie mehr zurückkommen würden. Wir haben auch nichts mitgehabt.

Wie ist es Ihnen ergangen?

Coudenhove-Kalergi: Wir waren ein paar Tage mit den Deutschen aus unserem Viertel in einer Straßenbahnremise eingesperrt. Auch zu unserem eigenen Schutz. Auf den Straßen war der Teufel los, es gab Mord und Totschlag. Dann hieß es, wer will, kann mit der deutschen Armee das Land verlassen. Die deutschen Soldaten und vor allem die SSler wollten auf keinen Fall den Russen in die Hände fallen. Sie sind abgezogen, und eine riesige Menge an Zivilisten, darunter auch wir, ist mitgegangen. Ich habe meinen Vater gefragt: "Warum müssen wir weg?", und er antwortete: "Das ist der Lauf der Geschichte. Wir sind durch die Geschichte in das Land hineingekommen und durch die Geschichte müssen wir auch wieder hinaus."

Wann war Ihrer Familie klar, dass sie nicht mehr zurückkehren darf?

Coudenhove-Kalergi: Sehr schnell. Aus Böhmen sind wir durch Bayern in den Lungau nach Salzburg gekommen. Mein Großvater hatte dort ein Haus. Es war wunderschön, aber gleichzeitig kam ich mir in dem entlegenen Salzburger Gebirgstal seltsam und fremd vor. Sich in Österreich einzugewöhnen war nicht leicht. Seither kann ich mir auch vorstellen, wie es den Migranten geht, die jetzt nach Österreich kommen.

Hat sich damals jemand für Ihre Geschichte der Flucht interessiert?

Coudenhove-Kalergi: Österreich war voll mit Flüchtlingen. Das war für die Einheimischen nichts Besonderes. Die Leute hatten außerdem Sorgen genug. Krieg, Besatzung, Armut, Wiederaufbau. Aber sie waren ausgesprochen freundlich zu den Flüchtlingen. Wir waren auch deutschsprachig, das hat geholfen, und wir haben schnell die Staatsbürgerschaft bekommen.

Sie gehören einer Generation an, die Demokratie gelernt hat. Was bedeutet das?

Coudenhove-Kalergi: Demokratie war für uns zunächst etwas Fremdes. Wir haben als Kinder die Nazizeit erlebt und in der Nachkriegszeit das besetzte Österreich. Dann habe ich begonnen, bei der Presse zu arbeiten. Das war keine Parteizeitung, aber wenn meine Kollegen den Bundeskanzler Julius Raab interviewt haben, mussten sie vorab dem Pressereferenten eine Fragenliste schicken, und die Fragen, die nicht gepasst haben, wurden durchgestrichen.

Hätte die Presse einen sozialdemokratischen Politiker kritischer befragt?

Coudenhove-Kalergi: Der Begriff kritischer Journalismus im heutigen Sinn war nicht üblich. Erst Bruno Kreisky hat in den 1970ern das Pressefoyer nach dem Ministerrat eingeführt. Da konnten Journalisten Fragen stellen, ohne sie vorher vorzulegen. Ich habe Journalismus bei den Amerikanern gelernt. Als Besatzungsmacht betrieben sie ein Information Center. Ich entdeckte die New York Times und den New Yorker. Was Journalismus ist, habe ich dort zum ersten Mal gesehen. Es war eine Offenbarung.

Später kamen Sie zur Arbeiter-Zeitung. Warum haben Sie sich für die Parteizeitung der SPÖ interessiert?

Coudenhove-Kalergi: Bruno Kreisky hat mich beeindruckt. Er schätzte und verstand, was andere an guten Dingen einbringen können. Zum Beispiel, als er Rudolf Kirchschläger, einen bürgerlichen Diplomaten, als Bundespräsidentschaftskandidaten vorschlug. Viele waren entsetzt. Das sei ja keiner von uns! Mir hat Kirchschläger gefallen. Er war davor Botschafter in Prag und hat nach der Niederschlagung des Prager Frühlings den Dissidenten unbürokratisch Visa nach Österreich ausgestellt, obwohl der damalige Außenminister Kurt Waldheim dagegen war.

Inwiefern beeinflusste die Parteilinie die journalistische Arbeit?

Coudenhove-Kalergi: Bei der Auslandsberichterstattung hat mir niemand dreingeredet. In der Innenpolitik war das anders. Ein paar Redakteure begannen, die SPÖ von links zu kritisieren. Da hat Kreisky gesagt: Ihr seid dazu da, den Leuten zu erklären, was wir wollen, und nicht, um uns zu erklären, was wir wollen sollen.

Welche Gedanken hatten Sie damals an Ihre Heimatstadt Prag?

Coudenhove-Kalergi: Das war weit weg, lange Zeit durften wir nicht einreisen. Das erste Mal bin ich noch unter den Kommunisten in die Tschechoslowakei gekommen und mit meinem jüngsten Bruder nach Südböhmen gefahren. Meine Großeltern hatten dort einen Besitz gehabt, Schloss Breznitz. Dort besuchten wir unsere ehemalige Köchin. Wir sind rührend aufgenommen worden, wie die verlorenen Kinder. Es war ein seltsames, aber freundliches Wiedersehen.

Sie sind in einer Welt aufgewachsen, in der man den Kommunismus ablehnte. Dann lernten Sie Ihren späteren Mann Franz Marek kennen, einen der prägendsten Intellektuellen der Kommunistischen Partei Österreichs. Wie war das?

Coudenhove-Kalergi: Franz Marek habe ich über die Künstler Georg Eisler und Rudolf Schönwald kennengelernt. Eisler war Kommunist, Rudi ein Sympathisant. Wir sind zusammengekommen und haben später geheiratet. Meinem Vater habe ich nichts davon erzählt. Er hat es dann ausgerechnet über den "Almanach de Gotha" erfahren und war nicht glücklich. Aber da kann man nix machen.

Was ist der "Almanach de Gotha"?

Coudenhove-Kalergi: Ein Adelshandbuch. Da stehen alle Adelsfamilien drin und wer wen geheiratet hat.

Über Ihre erste Begegnung mit Franz Marek schreiben Sie: "Ich, immer bereit zur Heldenverehrung, bin sofort fasziniert." Neigen Sie zur Heldenverehrung?

Coudenhove-Kalergi: Franz Marek war Jude und Kommunist und während des Krieges im Widerstand in Frankreich. Wenn jemand sein Leben für eine Sache riskiert, die er für richtig hält, dann gefällt mir das. Ich mag keine Duckmäuser und Feiglinge. Dass Franz ein großer Held der Résistance war, hat mir imponiert. Aber er hat mir auch sonst gefallen.

Marek wollte die KPÖ in den 1960er-Jahren reformieren. War der Prager Frühling Ihr gemeinsamer Traum?

Coudenhove-Kalergi: Wir waren damals gemeinsam in Prag und Franz Marek war selig. "Genau das haben wir uns vorgestellt", sagte er. Diesen Aufbruch, diese Liebe zur Demokratie, die da plötzlich ausgebrochen ist! Die Niederschlagung war umso schlimmer.

Wie haben Sie 1989 die Samtene Revolution in Prag als ORF-Journalistin erlebt?

Coudenhove-Kalergi: Man hatte den Eindruck in einem Land zu sein, in dem alle glücklich sind und ihre besten Seiten zeigen. Das kann nie ewig dauern. Danach kommen die Mühen der Ebene. Aber es war eine Sternstunde.

Franz Marek hat Sie "rosarotes Kerzlweiberl" genannt, schreiben Sie in Ihrer Autobiografie. Warum das?

Coudenhove-Kalergi: Ich war politisch links und bin es bis zu einem gewissen Grad heute noch. Das lässt sich schon vereinen, der Katholizismus und die linke Gesinnung.

Wie hat Sie der Katholizismus geprägt?

Coudenhove-Kalergi: Ich bin katholisch sozialisiert. Die meisten meiner Freunde haben mit dem lieben Gott nicht so viel am Hut. Aber ich glaube, alle wären traurig, wenn der Stephansdom nur mehr als Touristenattraktion diente. Momentan ist sicher eine Kirchenkrise im Gange, das sieht man an den Zahlen der Austritte.

Haben Sie sich auch überlegt, aus der Kirche auszutreten?

Coudenhove-Kalergi: Nein. Aus der katholischen Kirche tritt man nicht aus. Das gehört zu meiner Identität. Ich kann auch aus meiner Familie nicht austreten.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Coudenhove-Kalergi: Ja, schon.

Ist es beim Katholizismus nicht oft eine Frage des "Trotzdem"? Man bleibt dabei, obwohl man weiß, dass Verbrechen geschehen und vieles nicht in Ordnung ist?

Coudenhove-Kalergi: Der Vatikan-Spezialist Marco Politi hat vor kurzem einen Vortrag gehalten. Er sagte, dass viele in Italien hoffen, dass der Papst bald stirbt. Sie hassen ihn und sehen ihn als halben Kommunisten.

Weil er Reformen durchführen will?

Coudenhove-Kalergi: Vor allem, weil er Grundhaltungen hat, die ich für ausschlaggebend halte. Dass man Flüchtlingen helfen soll, egal, wo sie herkommen.

Sie engagieren sich seit Jahren für Flüchtlinge. Sind Sie noch als Deutschlehrerin tätig?

Coudenhove-Kalergi: Ich unterrichte nicht mehr größere Gruppen, aber mit einem Buben, dem Ali, lerne ich Deutsch.

Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

Coudenhove-Kalergi: Menschen, die diese furchtbaren Fluchtwege auf sich nehmen, sind besonders willensstark und haben große Begabungen. In ihnen steckt großes Potenzial. Integration heißt auch nicht, dass Menschen ihre afghanischen oder syrischen Wurzeln abschneiden. Trotzdem kann jemand ein guter österreichischer Bürger sein. Da gibt es große Defizite in der österreichischen Politik. Man müsste mehr mit bestimmten Akteuren in den Communitys zusammenarbeiten.

Mit wem zum Beispiel?

Coudenhove-Kalergi: Wenn man ständig nur den politischen Islam bekämpfen will und nur sieht, dass Frauen schlecht behandelt werden oder Menschen die Köpfe abgeschnitten werden, ist das nicht hilfreich. Der Islam ist eine Weltreligion. Es gibt auch viele gute Leute, mit denen man auf demokratischer Ebene zusammenarbeiten könnte.

Es geschehen auch Verbrechen im Namen des Islam. Wie soll eine Gesellschaft damit umgehen?

Coudenhove-Kalergi: Es gibt Gesetze. Zwangsheirat ist verboten, die Schwester zu töten, weil sie ein Gspusi mit einem Nicht-Moslem hat, ebenso. Macht man das, wird man eingesperrt. Alle müssen sich an Gesetze halten. Das heißt aber nicht, dass man Menschen ihre Sprache, Kultur oder Religion nehmen soll.

Am 2. November 2020 ermordete ein islamistischer Terrorist in Wien vier Menschen. An der Stelle, wo er erschossen wurde, brannte eine einzige Kerze. Stimmt es, dass Sie die Kerze angezündet haben?

Coudenhove-Kalergi: Ja. Der Terrorist war wahnsinnig jung, so alt wie meine Großneffen. Ein verlorener Typ. Ein Migrantenkind, das nichts anderes hatte als diese muslimische Identität. Es war schrecklich, was er getan hat. Dennoch hat er mir leidgetan. Da dachte ich mir: Du kriegst auch ein Kerzerl.

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Zu groß für das kleine Österreich

Franz Kössler in FALTER 6/2013 vom 08.02.2013 (S. 19)

Die Autobiografie der Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi zeigt das Leben einer stets Suchenden, die längst ihren Weg gefunden hat

Es sind die Brüche und die Widersprüche, persönliche und historische, die ein Leben spannend machen. Es gibt nur wenige Zeitgenossinnen, die so viele von ihnen zu bieten haben wie Barbara Coudenhove-Kalergi.
Als Journalistin ist sie über die Grenzen Österreichs hinaus für ihre intellektuelle Aufgeschlossenheit und menschliche Sensibilität bekannt, mit denen sie die Themen der Zeit angeht, von den politischen Umwälzungen in Osteuropa bis zu ihrem derzeitigen Engagement zu Fragen der Migration und Integration in Österreich. Anhand ihrer Erinnerungen, die jetzt erscheinen, kann man ihren Weg nachvollziehen.
Als Kind erlebt sie noch die untergehende Welt der böhmischen Aristokratie, mit ihren Eltern in Prag und auf dem Schloss der Großeltern. Nationale Kategorien sind bedeutungslos, man ist gewissermaßen genetisch zur Weltoffenheit bestimmt. Die Coudenhove stammen aus dem belgischen Brabant, die Kalergi aus Russland und Kreta, eine Großmutter ist Japanerin. Man ist loyal zur tschechoslowakischen Republik, aber als Tschechoslowaken fühlt man sich nicht. Der Vater definiert sich als "Böhme deutscher Zunge".
Das soziale Unbehagen macht sich früh bemerkbar: Das geliebte böhmische Kindermädchen vermittelt Geborgenheit, ihre Kosenamen aber sind kitschig und provozieren den Spott der älteren Brüder. "Es ist die frühe Erfahrung eines Dilemmas, das mir später noch öfter begegnen wird – schreibt Barbara Coudenhove – man steht zwischen zwei ‚Lagern' … und fragt sich mit zunehmender Verzweiflung: Und ich? Wohin gehöre eigentlich ich?"
Später in ihrem Leben wird die Gräfin, die sich selbst ironisch als Kerzlweiberl bezeichnet und sich zuweilen in ein katholisches Nonnenkloster zurückzieht, einen Mann heiraten, der als ihr absoluter Widerspruch erscheint. Franz Marek, ein marxistischer Intellektueller, stammt aus einer bitterarmen jüdischen Familie. So krass ist der Widerspruch, dass die Ehe vor dem Vater Coudenhove geheim gehalten wird.

Versöhnung mit der Heimat
Die Verbindung mit dem Theoretiker des Eurokommunismus, der Demokratie und Kommunismus versöhnen will, öffnet einen undogmatischen Blick auf die Umwälzungen, die sich in Osteuropa ankündigen. Er ermöglicht es der Journalistin, die Zeichen der Zeit früher als andere zu erkennen und zu verstehen. Sie erlebt die Aufbruchsstimmung des Prager Frühlings und seine Niederschlagung durch die sowjetischen Panzer, die Kulturrevolution in China, den Kampf der katholischen polnischen Gewerkschaften gegen den kommunistischen Staat und schließlich den Fall der kommunistischen Regime.
Und sie erzählt die Ereignisse in spannenden Reportagen, unideologisch und unprätentiös, aus der Perspektive der Betroffenen, der einfachen Menschen. Vor allem das Kapitel über die "sanfte Revolution" in der Heimatstadt ihrer Kindheit lässt ihre innere Anteilnahme am Geschehen spüren.
Sie teilt die Hoffnungen und Befürchtungen der Demonstranten auf dem Wenzelsplatz, bis die befreiende Nachricht in eine Pressekonferenz der Opposition platzt, dass das kommunistische Zentralkomitee aufgegeben hat: "Dann steht Václav Havel auf" – erinnert sie sich –, "plötzlich sehr ernst geworden. Und sagt: Es lebe die freie Tschechoslowakei! Das ist das Signal für einen beispiellosen Jubelausbruch. Der Saal ist außer Rand und Band. Jemand bringt Champagner. Alle fallen einander in die Arme, auch wir Journalisten. Und jetzt rufen alle: Es lebe die freie Tschechoslowakei!"
Wenn sie nach dem wichtigsten Erlebnis in ihrem Journalistenleben gefragt wird, erinnert sie sich an diese Pressekonferenz, die in eine Siegesfeier überging: "Sie hat auch uns Außenstehenden eine Ahnung davon gebracht, was das heißt: Freiheit und Glück."

Knausrige Hofratswitwen
Nach der Revolution kehrt sie als ORF-Korrespondentin noch einmal nach Prag zurück, Václav Havel zeichnet sie mit dem höchsten tschechischen Orden aus.
Für Barbara Coudenhove ist es auch eine persönliche Versöhnung mit ihrer Heimat, aus der sie am Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Familie vertrieben wird, als die Tschechen sich gegen die deutsche Besatzung erheben und tausende Deutschböhmen pauschal der Kollaboration mit den Nazis beschuldigen.
Nach einem langen Fußmarsch erreichen sie völlig erschöpft das Jagdhaus des Großvaters in den Salzburger Bergen. Ihr eigenes Hab und Gut ging verloren. Die Vertreibung wird in dem Buch ohne Ressentiment erzählt, aus der Abenteuerperspektive des jungen Mädchens.
In den Bergen vermisst sie die intellektuelle Heimat. Österreich verräumt gerade eilig die Nazivergangenheit und sucht nach einer neuen Identität. "Nicht der Vielvölkerstaat Österreich mit seiner europäischen Dimension und seiner kulturellen Vielfalt wird zur Identitätsstiftung herangezogen", liest man in den Memoiren, "und nicht die Zugehörigkeit zur reichen deutschsprachigen Kultur. Ostarrichi, das kleine Österreich ist unsere Heimat."
Barbara Coudenhove flüchtet erneut, diesmal aus dem dumpfen Klima der Provinz in die urbane Kultur Wiens, ohne finanzielle Mittel, als "möblierte Dame" in Untermiete bei knausrigen Hofratswitwen.
Von hier aus beginnt sie ihre journalistische Karriere, die sie von der konservativen Presse über die sozialistische Arbeiterzeitung unter Kreisky bis in den öffentlich-rechtlichen ORF und zum liberalen Standard führt – ohne dass sie je ihren neugierig offenen und kritischen Blick hätte von einer Ideologie einschränken lassen.
Es sind die Erinnerungen einer außergewöhnlichen Frau, die stets sie selbst geblieben ist.

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