Unter uns der Untergang

Regisseurin Leni Lauritsch legt mit „Rubikon“ ein gelungenes Debüt im hierzulande raren Science-Fiction-Genre vor

FALTER:Woche, FALTER:Woche 37/2022 vom 13.09.2022

Ein Attribut des Science-Fiction-Kinos: Hannah (Julia Franz Richter) auf ihrem Spacewalk (Foto: Samsara Film/Graf Film)

Plötzlich ist alles vorbei: Die Besatzung der Raumstation Rubikon muss mitansehen, wie im Jahr 2056 ein giftiger Nebel die Erde umhüllt. Die Kommandeurin Hannah, die als Soldatin in einer Welt der Großkonzerne aufgewachsen ist, der Wissenschaftler Dimitri und der Biologe Gavin fragen sich entsetzt, ob sie die letzten Überlebenden sind. Da dringen Hilferufe zur Rubikon hinauf. Das ungleiche Trio muss entscheiden: Wie weit soll es gehen, um den Menschen auf der Erde zu helfen?

Mit „Rubikon“ schuf Leni Lauritsch ein bildmächtiges und vielschichtiges Science-Fiction-Kammerspiel. Genre-Attribute wie ein spektakuläres Weltraumgefährt oder Spacewalks treffen auf moralische Konflikte, die aktuelle Themen von Klimakrise bis Klassenkampf aufgreifen. Fragen, die die Regisseurin an das Publikum weiterreicht – die auch mit schlauen Zugriffen auf Geschlechterrollen und Topoi des Heldenepos zu überraschen weiß. Mit dem Falter sprach sie über weibliche Role-Models, Filmstudios sprengende Sets, die Zukunft der Menschheit und Hater im Netz.

Falter: Von der Filmakademie zu einem Science-Fiction-Film ist ein ungewöhnlicher Weg. Warum haben Sie den eingeschlagen?

Leni Lauritsch: Wenn man seinen Erstlingsfilm macht, überlegt man sich schon: Es könnte auch der letzte sein. Das heißt, für mich hat es sich angefühlt, als könnte es meine einzige Chance sein. Und da wollte ich etwas machen, das mir richtig taugt.

Sind Sie so ein Science-Fiction-Fan?

Lauritsch: Ich bin ein Science-Fiction-Freak, seit ich klein war. Das ist etwas, das mich extrem mit meinem Papa verbunden hat, gemeinsam „Star Trek“ schauen und so. Ich hab auch wahnsinnig viel Literatur gelesen, war so ein klassischer Teenager-Nerd.

Als alte Trekkies müssen wir da gleich nachfragen: Sind Sie nicht zu jung für „Star Trek“, wo haben Sie das gesehen?

Lauritsch: Nein, nein, ich meine ja nicht die Originalserie. Die mit Shatner finde ich schon toxisch-männlich und ziemlich problematisch, aber die mit Picard lief genau, als ich ein Kind war. Da war ich noch verliebt in Commander Riker. Beim Schreiben von „Rubikon“ habe ich nebenbei alle Staffeln auf Netflix rauf- und runtergeschaut. Ich war auch auf „Star Trek“-Conventions, daher kommt mein Kontakt zur Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Dort sind wahnsinnig viele Fans, die Autogramme von den Schauspielern haben wollen, aber es gibt auch tolle Vorträge, und die ganzen Astronauten sind vor Ort. Jemand wie Frank De Winne, der auf der ISS war, steht dort dann allein herum, und niemand interessiert sich für ihn! Ich habe ihm von dem Projekt erzählt und daraufhin den Kontakt zur Ground-Controllerin der letzten Mission bekommen. Sie hat uns viele technische Möglichkeiten aufgezeigt, und wir durften dann auch zur ESA. Mir war wichtig, dass die technischen Details gut recherchiert sind, zum Beispiel die Probleme beim Andockmanöver.

Was gab es zuerst, die Raumstation oder die Figuren?

Lauritsch: Das ist gleichzeitig entstanden. Für mich ist die Station die vierte Figur. Hannah, Gavin und Dimitri sind wie in einer Symbiose mit ihr verwoben. Der Szenenbildner Johannes Mücke hat das total verstanden. Das, was die Figuren ausmacht, hat er für die Gestaltung der einzelnen Räume übernehmen können. Für Hannah haben wir die technischen und avionischen Bereiche, für Dimitri das Labor und für Gavin das Earth Observatory, das seine Sehnsucht nach draußen widerspiegelt.

Wo und wie wurde die Rubikon-Station gebaut?

Lauritsch: In einer alten Panzerfabrik in Simmering. Es gab in Österreich kein Filmstudio, das groß genug gewesen wäre, deshalb haben wir eine Lagerhalle gesucht, die dunkel und tonsicher sein musste. In der Location wurden schon Szenen für „Tatorte“ gedreht, es ist ein total heruntergekommenes Areal mit toller Atmosphäre. Dort haben wir das Set hineingebaut, eh nur ein Drittel der gesamten Station, und trotzdem war es noch so riesig, dass es sich auf einen Meter ausgegangen ist. Eigentlich bin ich aber immer dankbar für Beschränkungen am Set, so nach dem Motto: Wir haben kein Problem, wir haben eine Chance!

Das tollste Element der Rubikon sind ja die Algen, die den Sauerstoff erzeugen und als Nahrungsquelle dienen.

Lauritsch: Die Idee mit den Algen stand eigentlich von Beginn an fest. Auch das wollte ich so gut wie möglich recherchiert haben, nicht nur die technische, sondern auch die wissenschaftliche Seite. In der Nähe von Wien gibt es eine Algenfarm, Ecoduna, wo Algen als Nahrungsergänzungsmittel angepflanzt werden. Johannes Mücke und ich waren dort – und hin und weg! Letztendlich schaut es dort sehr ähnlich aus wie im Film, wir haben uns da wahnsinnig inspirieren lassen. Und wir wurden von einer Wissenschaftlerin unterstützt, die uns beim Drehbuchschreiben beraten hat und auch am Set dabei war.

Apropos Drehbuch: Wie kam es überhaupt zur Idee zu „Rubikon“?

Lauritsch: Ich war frustriert von einem anderen Projekt, das sich als Sackgasse erwiesen hat, und habe viel Zeit auf 9Gag und Reddit verbracht. In einem Meme hat jemand gefragt, wie die Besatzung der internationalen Raumstation ISS reagieren würde, wenn unter ihr die Welt unterginge. Was für eine coole Prämisse, habe ich mir gedacht – gibt’s dazu schon einen Film? Ehrlich gesagt kam die Grundidee also vom Prokrastinieren.

Das Drehbuch hat sicher mehrere Rewrites durchlaufen. Wann haben Sie angefangen, an dem Projekt zu arbeiten?

Lauritsch: Es gab Dutzende Fassungen, meine Koautorin Jessica Lind und ich haben 2017 angefangen.

Also noch während des Studiums?

Lauritsch: Ja, an der Filmakademie ist das aber nicht so strikt. Damals hieß es sogar, wer die Filmakademie fertig macht, ist ein bissl ein Loser. Nein, im Ernst, man versucht schon ab dem Bachelor, in die Branche hineinzukommen. Ich habe die Filmakademie bis heute nicht fertig gemacht.

Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Was war das Schwierigste an dem ganzen Projekt?

Lauritsch: Das Drehbuchschreiben. Ich empfinde das als eine undankbare Arbeit. Du sitzt vor dem leeren Blatt Papier, und jedes Mal, wenn du schreibst, weißt du, das ist noch lang nicht die letzte, geniale Version. Anders ist es beim Dreh, wo so viel zurückkommt und du im Moment siehst, was weitergeht. Beim Drehbuch hast du immer das Gefühl, du kannst jede Fassung nach ein paar Wochen wieder komplett umschreiben.

Jessica Lind kannten Sie schon von der Filmakademie her. Waren bei „Rubikon“ noch andere Studienkolleginnen und -kollegen mit an Bord?

Lauritsch: Bei einem Erstlingsfilm werden einem natürlich erfahrene Profis zur Seite gestellt. Aber zum Beispiel beim Schnitt ist es mir gelungen, Anna Heuss zu engagieren und Christoph Loidl aus meinem Jahrgang. Weil so viele aus der Branche kamen, war es mir schon auch wichtig, Leute um mich zu haben, die dieselbe Ausbildung und Prägung haben. Weil man viele Dinge dann gar nicht mehr diskutieren muss. Es war klar: So und so wird das geschnitten.

Gab es viele Szenen, die im Schnitt weggefallen sind?

Lauritsch: Ja, schon. Es gab eine wunderschöne Sequenz, in der Hannah mit Gavin im Schlepptau die halbe Station auseinandernimmt, bevor sie den Spacewalk macht. Das war ziemlich cool gefilmt, aber es hat den Flow gebremst. Der Spruch „Kill your darlings“ stimmt halt wirklich.

Im Presseheft wird tiefgestapelt. „Es sieht nicht gut aus für die Zukunft der Menschheit im Jahr 2056“, lautet der erste Satz. Trifft das nicht schon auf heute zu?

Lauritsch: Zum Teil auf jeden Fall. Wenn wir schauen, wie Großkonzerne jetzt schon das Weltgeschehen lenken, was der Lobbyismus eigentlich macht, dann sind wir nicht weit weg von „Rubikon“.

Es ist beeindruckend, wie viele Themen im Film organisch ineinander übergehen. Wie hat sich diese Struktur ergeben?

Lauritsch: Wir hatten mit dem Plot eine Art Überbau und wussten, wo wir ungefähr hinwollen. Alle anderen Themen sind mit der Entwicklung der Figuren gekommen. Wir haben für all unsere Protagonisten ein „Want“ und ein „Need“ gesucht. Das Schöne war, dass die Schauspieler das wirklich aufgenommen und selbst viel eingebracht haben. Zum Beispiel hat George Blagden, wie seine Figur Gavin, damit gehadert, wie es ökologisch und politisch gerade läuft. Vieles war also im Drehbuch angelegt, und am Set kamen schöne kleine Ideen dazu, wie man etwas vermitteln kann, ohne es zu sagen.

Was denn zum Beispiel?

Lauritsch: Wenn wir kleine Szenen improvisiert haben und Mark Ivanir als Dimitri immer so gestichelt hat. Vor allem in Richtung Gavin. Dimitri steht ja für die Boomer, Gavin für die Generation Z, daraus hat sich ein schöner Konflikt ergeben. Die Schauspieler haben wirklich toll harmoniert, obwohl sie aus drei unterschiedlichen Schulen kommen, der amerikanischen, der englischen und der österreichischen. Das war perfekt für die Figuren, die ja drei Fremde aus unterschiedlichen Kulturkreisen sind.

Und die Hauptdarstellerin? Ursprünglich dachten Sie an jemand anders …

Lauritsch: Ja, aber dann habe ich Julia Franz Richter getroffen, und das war besser als alles, was wir uns erträumt hatten. Sie hat die Rolle ein bisschen anders angelegt, als ich sie geplant hatte, deshalb mussten wir uns erst einmal finden. Genau dieser Findungsprozess hat dann am Set noch magische Funken geschlagen. Ich könnte wirklich nicht glücklicher sein. Julia ist ein Wahnsinnstalent, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie eine Riesenkarriere machen wird.

Die traditionellen Geschlechterklischees sind in „Rubikon“ umgekehrt oder außer Kraft gesetzt: Gavin ist der sensible Part, Hannah ist viel tougher. War das eine bewusste Strategie?

Lauritsch: Überhaupt nicht. Ich kann Figuren aber nur echt schreiben, wenn sie auf etwas basieren, das ich kenne. Hannah ist auch ein Teil von mir, und ich bin halt generell ein burschikoser Charakter, immer schon gewesen. Das hat auch mit den Figuren zu tun, die ich als Teenager in Hollywoodfilmen gesehen habe: Du konntest dich ja gar nicht mit den Frauen identifizieren, weil das alles nur Liebes- und Sexobjekte waren, deshalb hast du dich wie die Jungs mit den Männern identifiziert. Ich wollte also immer der Mann sein, war gleichzeitig aber irgendwie auch in ihn verliebt. Das war eine seltsame Beziehung. Nun ging es darum, einfach eine Figur zu entwerfen, wie ich sie gern hätte. Die ganze Gender-Thematik habe ich beim Schreiben gar nicht bedacht. Mir war nur wichtig, dass der Film so postfeministisch wirkt, dass es überhaupt nicht thematisiert werden muss, ob eine Frau der Chef ist oder ob sie sich deshalb besonders durchsetzen muss. Ich wollte einfach eine coole Figur schaffen und hoffe einmal, dass wir im Jahr 2056 wirklich so weit sind, dass das kein Thema mehr sein muss.

Gerade im Science-Fiction-Kino gibt es ja spätestens seit „Alien“ tolle Role-Models.

Lauritsch: Absolut, wobei ich auch da vor allem von „Star Trek“ beeinflusst bin. Auf der Voyager gibt es Captain Kathryn Janeway und Chefingenieurinnen – so soll es sein, null Thema.

Ein Satz, der sich auf die Menschheit bezieht, kommt zweimal im Film vor: „Wir haben’s verschissen.“ Ist das Ihre Meinung?

Lauritsch: Eigentlich schon. Ich versuche zwar, im eigenen Leben optimistisch zu sein. Aber ich finde doch, dass wir schon sehr viel verkackt haben und jetzt schauen müssen, wie wir uns an die Konsequenzen anpassen. Das ist leider ein Scherbenhaufen, den wir für die nächsten Generationen angerichtet haben. Allerdings glaube ich auch, dass man aus Fehlern lernen könnte. Ich weiß zwar nicht, ob wir das als globales Kollektiv hinkriegen, aber an sich ist eine Krise ja da, um daran zu wachsen. Also, wer weiß. Dadurch, dass das Klima gerade so viel schlechter wird, müssen wir uns anpassen und Klimapolitik machen, hoffentlich jetzt einmal in die richtige Richtung. Ohne diese Krise hätten wir nie damit begonnen. Solang es den Großkonzernen nicht die Quartalszahlen verhaut, wird nichts gemacht.

Inwieweit sehen Sie „Rubikon“ als politischen Film?

Lauritsch: Jeder Filmemacher hat so seine Themen, die man immer wieder durchmacht. Bei mir sind das der Neoliberalismus und die Klassenungerechtigkeit. Auch das Klaustrophobische der Lockdowns, das weniger wohlhabende Menschen viel stärker betroffen hat, ist natürlich eingeflossen, und beim Schreiben sogar die Flüchtlingskrise von 2015. Eigentlich stecken wir die ganze Zeit in irgendwelchen Krisen, das macht schon etwas mit dir, subconsciously, wenn du schreibst. Es war nicht geplant, den Film politisch aufzuladen, nur werde ich das nicht los. Meine Freunde sagen immer: „Drei Bier, und dann schimpft sie nur noch über den Neoliberalismus!“

Was hätten Sie gern, dass die Leute aus Ihrem Film mitnehmen?

Lauritsch: Ich glaube, den Diskurs mit sich selber. Ich möchte gar keine Antworten geben. Filme, die das tun, interessieren mich nicht so. Ich hätte gern, dass der Zuschauer sich danach selbst die Frage stellt, wie er in diesem moralischen Konflikt agieren würde. Und vielleicht versteht, dass der Konflikt in meinem Film eine Metapher für all die moralischen Konflikte ist, vor denen wir ja andauernd stehen. Ich habe auch kein Problem damit, wenn die Meinungen gespalten sind oder wenn es Hater gibt. Die gibt es übrigens eh! Im Netz, auf IMDb, existieren totale Hater und volle Liebhaber – die batteln sich, und das ist genau das, was ich wollte.


Leni Lauritsch,

1988 in Kärnten geboren, hat Regie und Kamera an der Filmakademie Wien studiert. Ihr Kurzfilm „Rote Flecken“ erhielt den Österreichischen Filmpreis 2015, danach jobbte sie in Kanada als Hochhaus-Fensterputzerin. „Rubikon“ ist ihr erster Spielfilm

Julia Franz Richter,

1991 in Wiener Neustadt geboren, studierte Schauspiel in Graz. Sie war Ensemblemitglied am Münchner Volkstheater und am Schauspielhaus Graz und arbeitet mittlerweile als freie Schauspielerin, unter anderem am Volkstheater in Wien. Zu ihren bekanntesten Kinofilmen zählen Katharina Mücksteins „L’Animale“ (2018) und Christian Petzolds „Undine“ (2020)


Ab Fr im Kino, deutsche Fassung (u.a. Village und Apollo), OmU (im Votiv), engl. OF (im Artis und Haydn)

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