Kunst mit allen Sinnen: Tipps für die besten Kunsterlebnisse in den Bundesländern

Ausstellungstour von Bregenz bis Krems: Der heurige Kunstsommer hat auch in den Bundesländern viel Spannendes zu bieten

FALTER:Woche, FALTER:Woche 32/2023 vom 08.08.2023

Michael Armitage

Seine Gemälde gehen auf dem Kunstmarkt weg wie warme Semmeln, eine Ausstellung jagt die andere. Michael Armitage, 1984 in Nairobi als Sohn einer Kenianerin und eines Briten geboren, hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Nun präsentiert das Kunsthaus Bregenz den Shootingstar, der seine mal surrealen, mal feierlichen oder düsteren Bildwelten auf Baumrinde malt. Armitages Großformate zitieren nicht zufällig den Südsee-Liebhaber Paul Gauguin, beschäftigt er sich doch mit dem westlichen Blick, der die Exotik sucht.

Der in London ausgebildete Künstler schöpft für seine vieldeutigen, postkolonialen Panoramen aus Europas Kunstgeschichte. Sein Ausstellungstitel „Pathos and the Twilight of the Idle“ entstammt einem Gemälde, das sich auf eine Demonstration der kenianischen Oppositionsbewegung ebenso bezieht wie auf ein 500 Jahre altes Christusbild von Altmeister Hans Holbein.

Kunsthaus Bregenz, bis 29.10.

Ana. Ihr Leben mit den Wiener Aktionisten

Es sei eine unglaubliche Überwindung gewesen, schildert Anna Brus ihr Gefühl, als sie 1964 bei „Ana“, der ersten Aktion ihres Mannes Günter Brus, nackt auftrat und sich dann in Farbe wälzte. Ihre Erlebnisse mit dem Aktionisten-Kleeblatt Brus, Rudolf Schwarzkogler, Hermann Nitsch und Otto Mühl schildert die 1943 geborene Wegbegleiterin in den Videointerviews der aktuellen Schau im Bruseum der Neuen Galerie Graz.

Als „Modell“, „Muse“ oder gar „Körpermaterial“ wurde Anna Brus bezeichnet; „Komplizin“ oder „Ermöglicherin“ wären passendere Begriffe. Neben den tollen Fotoserien, etwa zur Aktion „Vitriolkabinett“ (siehe rechts), laufen auch Kurzfilme des Avantgardisten Kurt Kren.

Bruseum, Neue Galerie Graz, bis 24.9.

Eduardo Chillida

Riesige, rostrote Greifer ragen im Küstenort San Sebastián aus den Felsen. Eduardo Chillida (1924–2002) bescherte seiner Heimatstadt die Landmark „Windkämme“; später durfte der baskische Bildhauer auch den Platz vor dem Berliner Kanzleramt bestücken.

Für die Chillida-Schau der Kunsthalle Krems wurden Skulpturen aus Eisen, Alabaster, Marmor, Granit, Gips oder Beton auf Sockel gehievt. Mehr überrascht, dass der Meister der tonnenschweren Großplastiken auch Objekte aus Terrakotta brannte sowie mit Schnüren Stücke von Filz und Papier vernähte. Die Schau „Gravitation“ stellt auch Chillidas grafisches Werk sowie seine Zeichnung für die Fußballweltmeisterschaft in Spanien 1982 vor.

Kunsthalle Krems, bis 24.9.

Schaurig schön 2.0

Fake-Relikte von Fabelwesen, etwa das Horn eines Einhorns oder Federn eines Phönix, zählten seit der Spätrenaissance zum Inventar fürstlicher Wunderkammern. Im Innsbrucker Schloss Ambras legte Erzherzog Ferdinand II. bereits im 16. Jahrhundert eine derartige Sammlung an, noch dazu in einem schon damals als „Museum“ bezeichneten Bau.

Die heurige Sonderschau „Schaurig schön 2.0“ widmet sich düsteren Kreaturen wie Dämonen, Teufeln oder Mischwesen. In vielen Gestalten verführt im Alten Testament der Satan die Seelen der Menschen. Die Ausstellung zeigt ein Luziferkostüm aus dem Brauchtum. Das Böse tritt in Form des einzigen erhaltenen Porträts von Graf Vlad III. – besser bekannt als Graf Dracula – auf oder als Schlangenhaupt der Medusa, das Peter Paul Rubens schauderhaft auf Leinwand gebannt hat. Aus kostbaren Hölzern wurden sogenannte „Tödleins“ geschnitzt oder ein Vanitas-Kopf aus Elfenbein (siehe Foto rechts).

Schloss Ambras, Innsbruck, bis 31.10.

Maria Bartuszová und Arch of Hysteria

Welche Wesen sind denn hier geschlüpft? Die Gipsskulpturen von Maria Bartuszová (1936–1996) erinnern an Eierschalen oder Gelege. Für ihre Gussverfahren verwendete die tschechische Bildhauerin in den Sixties Luftballons. Dabei entstanden organische Hohlformen, die an Mutterschaft und Fruchtbarkeit gemahnen. Die Retro im Museum der Moderne demonstriert, wie die Natur Bartuszovás Arbeit anregte.

Parallel läuft die Schau „Arch of Hysteria. Zwischen Wahnsinn und Ekstase“. Sie greift das Motiv der nach hinten verrenkten Haltung, der Rückbeuge auf und zeigt Körperkunst zwischen Akrobatik, Rausch oder Erregungskrampf.

Museum der Moderne Salzburg, bis 14.1. („Arch of Hysteria“) bzw. bis 7.1.

Sisters & Brothers

Rotwangig pflückt der Bub die Beeren vor dem Fenster, sein fürsorgliches Schwesterchen hält ihn dabei fest. Als im Biedermeier die Familie zum liebsten Rückzugsort wurde, rückten diverse Maler verstärkt Brüderlein und Schwesterlein ins Bild, etwa Johann Baptist Reiter mit seinem „Traubendieb“ – das Motiv ziert unser dieswöchiges Titelblatt. Die Themenschau „Sisters & Brothers“ im Linzer Lentos legt nun frei, wie Geschwister und deren Beziehungen in der Kunst seit der Renaissance aussehen.

Der dort gespannte Bogen reicht von antiken Göttergeschwistern und biblischen Brüderpaaren über die Feier von Geschwisterliebe in der Romantik bis hin zu heutigen Sujets, die verstärkt Konflikte und Verluste, aber auch starke Bande widerspiegeln. So hat etwa der US-Fotograf Nicholas Nixon ab 1975 über vier Dekaden jedes Jahr ein Gruppenfoto der vier „Brown Sisters“ gemacht – gerade in ihrer Schlichtheit eine fesselnde Serie. Zusätzlicher Anreiz zum Ausstellungsbesuch: Als Zuckerl zum 20-jährigen Bestehen des Lentos erhalten Familien im August freien Eintritt.

Lentos Kunstmuseum Linz, bis 17.9.

Körper und Territorium

Bei einem Festival 1993 in Helsinki traten Marija Grazio und Slaven Tolj mit der Performance „Food for Survival“ auf. Zu jener Zeit war Sarajevo belagert, und für die Bevölkerung wurden Hilfspakete abgeworfen. Das Künstlerpaar beschmierte seine Körper mit Packerlsuppe daraus und aß gegenseitig davon – Sinnbild für verzweifelten Überlebenswillen ebenso wie für Liebe.

Die mit dem Zagreber Museum für moderne Kunst gestaltete Schau „Körper und Territorium“ zeigt den Leib als Fläche und Instrument für künstlerische Gesellschaftskritik. Kollektive wie Irwin, Laibach oder OHO treffen auf heimische Künstlergruppen wie Club Fortuna oder Gelitin; feministische Avantgarde wie Valie Export und Sanja Ivekovic stößt auf Queeres von Toni Schmale, Katrina Daschner oder Nilbar Güreş.

Kunsthaus Graz, bis 27.8.

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