"EINFACH MAL DIE SAU RAUSLASSEN"

Johannes Fleischmann eint Klassik und Pop. Nun stellt der Wiener Geiger online sein neues Album vor

FALTER:Woche, FALTER:Woche 3/2021 vom 20.01.2021

Betritt man Johannes Fleischmanns Studio, sticht zwischen den CD-und Bücherregalen sofort der mächtige Bösendorfer ins Auge. "Den habe ich mir letztes Jahr geleistet", sagt er stolz. Dabei kann der Wiener Geiger gar nicht Klavier spielen. Weil er aber hauptsächlich mit Pianisten zusammenarbeitet und die ständige Suche nach geeigneten Proberäumen mühsam ist, investierte der 37-Jährige in das kostbare Instrument: "Erst letztens war Helmut Stippich von den Wiener Concert Schrammeln bei mir, und wir haben bis drei Uhr in der Früh gejammt."

Vor allem im vergangenen Jahr war das Studio sein wichtigster Rückzugsort, erzählt Fleischmann, der in pandemiefreien Zeiten hauptsächlich im Ausland auftritt. "Es waren mehrere Reisen nach Japan und in die USA geplant, die leider alle abgesagt werden mussten. Nach dem ersten Schock fand ich es ganz angenehm, einmal herunterzukommen und die eigene Kreativität wieder zu entdecken -gerade weil wir uns als klassische Musiker oft in einer Bubble bewegen, mit Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind."

Bubbles sind Fleischmanns Sache nicht. Als Musiker bewegt sich der Sohn eines Symphonikers und einer Sängerin bewusst zwischen den Stilen und hat großen Spaß daran, Grenzen zu sprengen. So ist er seit 2016 Teil der Symphoniacs, einer Gruppe klassisch ausgebildeter Musiker unterschiedlichster Herkunft, die sich abgrenzen wollen vom Klischee der Klassiknerds, die sich stets unter ihresgleichen bewegen. Initiiert hat das Crossover-Projekt der Produzent und DJ Andy Leomar, der selbst an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (mdw) zum Pianisten und Tonmeister ausgebildet wurde.

Die Stücke sind virtuos arrangiert, von Antonio Vivaldi reichen die Stichwortgeber bis zu Robin Schulz. Den italienischen Barock-Komponisten interpretieren die Symphoniacs mit Synthesizer und digitalen Beats, den deutschen DJ und Produzenten wiederum mit Klavier, Geige und Cello. In einer Lockdown-Session spielte das Ensemble auf Youtube zuletzt Bachs Toccata in d-Moll in einer "Klassik meets Club"-Version. "Es macht Spaß, einfach mal die Sau rauszulassen", sagt Fleischmann. "Umso besser, wenn es mir gelingt, auch Menschen zu berühren, die mit Klassik sonst nichts zu tun haben."

Sofern Fleischmann nicht gerade den Admiralspalast Berlin mit einem Stück des französischen Clubmusikduos Daft Punk rockt oder beim Freiluftauftritt auf einem Dach Bachs Cellosuite eine Extraportion Groove verpasst, widmet er sich am liebsten der Musik aus Wien in all ihren Facetten. Er spielt bei den Neuen Wiener Concert Schrammeln, ist Teil des Schoenberg Trio Wien, hat eine eigene Konzertreihe im Muth und kuratiert eine Kammermusik-Matinee im Palais Coburg.

Zuletzt setzte Fleischmann sich intensiv mit der Musik Erich Wolfgang Korngolds und Erich Zeisls auseinander, zweier Wiener Komponisten, die vor den Nazis in die USA geflüchtet sind. Das daraus hervorgegangene neue Album "Exodus - The Men Who Shaped Hollywood" hat er gemeinsam mit der Pianistin Magda Amara und dem Bariton Günter Haumer eingespielt.

Die Idee dazu entstand 2014, als Fleischmann im Rahmen des Musik-Förderprogramms "The New Austrian Sound of Music" in Los Angeles gastierte. In der Villa Aurora -das ehemalige Wohnhaus von Lion Feuchtwanger ist seit 1995 eine Künstlerresidenz - spielte er die Violinsonate von Erich Wolfgang Korngold. Unter den Gästen war auch Barbara Zeisl Schoenberg, die Tochter des 1959 in Los Angeles verstorbenen Wiener Komponisten Erich Zeisl. Ihr Schwiegervater war Arnold Schönberg.

"Nach dem Konzert hat sie sich bei uns vorgestellt und uns in das Schönberg-Haus zu Kaffee, Sachertorte und Vanillekipferln eingeladen", erzählt Fleischmann. "Ich kannte Erich Zeisl damals nicht, und Barbara erzählte von seiner tragischen Geschichte." Vor seiner Flucht aus Österreich war Zeisl ein wichtiger Vertreter der Wiener Moderne. "Die Nazis zerschlugen sein Leben in der Heimat und setzten ihn auf die Liste der verbotenen Komponisten. Er verließ Wien nach dem Novemberpogrom 1938 und kehrte nie wieder zurück."

In seiner "Brandeis-Sonate" für Violine und Klavier brachte Zeisl die Eindrücke der Flucht aus Österreich zu Papier und verarbeitete darin seine jüdische Herkunft. Für Fleischmann spiegelt die Musik nicht nur den Schmerz und das Leid wider, sondern auch Lebenslust und Mut sowie die Hoffnung an die Zukunft.

Bei der online übertragenen Präsentation von "Exodus" im Palais Coburg wird es neben dem Konzert auch eine Gesprächsrunde mit illustren Gästen geben, darunter die Zeisl-Biografin Karin Wagner sowie Gerold Gruber, der Leiter des Zentrums für verfolgte Musik der mdw. Der Produzent und Direktor des Jewish Music Institute Michael Haas wird aus London zugeschaltet, während sich Barbara Zeisl Schoenberg aus Los Angeles zu Wort meldet.

Sobald reguläre Konzerte wieder möglich sind, möchte Johannes Fleischmann mit diesem Programm um die Welt reisen. "In Zeiten, in denen Antisemitismus und Nationalismus wieder um sich greifen, ist diese Thematik noch dringender geworden", sagt er. "Ich wünsche mir, damit in Schulen zu gehen und die Musik in Kirchen, Synagogen und eines Tages vielleicht sogar in Moscheen zu spielen."

Online-Präsentation: Palais Coburg, Fr 19.00; Stream: www.facebook.com/JohannesFleisch mannViolin

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