Für so einen Rücktritt braucht sich Anschober nicht zu schämen
Barbara Tóth schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft für den Falter und hat das Pandemiemanagement der Regierung in den letzten 15 Monaten intensiv verfolgt
Es ist ein Rückzug zum falschen Zeitpunkt. Aus politischer Sicht, nicht aus persönlicher. Viel ist über Rudolf Anschobers Gesundheitszustand in den letzten Wochen spekuliert worden, nachdem er nach zwei Kreisklaufkollapsen ausgefallen war und das - in der für ihn typischen Art -auch offen kommuniziert hatte. So wussten seine Anhängerinnen und Anhänger, aber auch seine Gegner, dass er schon einmal, vor neun Jahren, ein Burn-out hatte und seitdem besonders auf seine Stamina achten musste. Mit frühmorgendlichen Spaziergängen, Chi Gong, so oft wie möglich nahm er den Zug in seine Heimat Oberösterreich, um in seinem Haus am Land zu übernachten.
Was ihm jetzt, nach mehr als einem Jahr als verantwortlicher Minister in der Pandemiebekämpfung, die Kraft nahm, ist reine Privatsache. Spekulationen darüber verbieten sich aus Respekt gegenüber ihm und seiner Familie. Anschober wird es, wenn er will, erzählen, wie es sich wirklich für ihn angefühlt hat zwischen den "Mühlen", dem "Schuss Populismus und Parteitaktik", wie er es bei seiner Abschiedspressekonferenz formulierte. Das war eine äußerst elegante und nachsichtige Umschreibung des Intrigen-Dauerfeuers aus dem Kanzleramt, dem er in den letzten Monaten ausgesetzt war. Er wird es auf seine Art und Weise erzählen, so wie er immer erstaunlich offen über sich, seine Motive und seine Probleme erzählt hat. "Für Krankheiten braucht sich niemand zu schämen. Das ist kein Tabu", sagte er am Dienstag zum Abschied. Vielleicht arbeitet er es in Form des Romans auf, den er nun endlich schreiben möchte.