Wenn Gedichte notwendig sind, um zu überleben
Kirstin Breitenfellner in FALTER 1-2/2022 vom 14.01.2022 (S. 30)
Aus seinem Heimatland Irak geflüchtet, lebte Yousif T. Ahmed im Libanon, in Syrien und der Türkei, bevor er 2015 nach Wien kam. Seine Biografie ist geprägt von Gewalt, Krieg, Verlust und Flucht. Ahmed arbeitet als Musiker, 3D-Designer und Schauspieler, 2018 war er in der Kategorie beste Nebenrolle für den Nestroy-Preis nominiert.
Sein erster Gedichtband heißt "I'm no longer human", wurde auf Englisch geschrieben und von Mathias Kropfitsch überzeugend ins Deutsche übertragen. In einem Text heißt es: "Ich schlief in meinem Bett.. / Als das Universum das Glück gleichmäßig unter den Anwesenden verteilte!" Ahmed nimmt seine Leserschaft durch diese Prosagedichte auf eine Achterbahnfahrt mit. Sie kommen lapidar, rotzig, spöttisch, in hohem Ton, voll Selbstironie und mit einer betonten Arroganz daher.
Letztere gilt privilegierteren Zeitgenossen. "Sie zeigen Empathie, als hätte ich keinen Kopf und wüsste noch nicht.. / ( ) Doch sie sollen wissen, als ich am Tisch des Lebenspokers saß und die Karten umdrehte, erwartete ich keine Empathie", heißt es in "Extra Empathie"."Verflucht seid ihr alle, und wagt es nur zu sagen, dass ich beurteilend bin, denn mit diesem Wort beurteilt ihr mich und tut das, wovon ihr denkt, dass ich es tue", ruft er ihnen in "Du Heuchler!" zu.
Seinem Vater, einem irakischen Militärkommandeur, richtet Ahmed seine Vergebung aus, aber auch, dass er ihn jung altern ließ und bipolar gemacht habe. Die moralischen Abgründe, Fragenschleifen und Zirkelschlüsse, denen er in diesem beeindruckenden Debüt nachspürt, sind gleichsam individuell und universell.
"Yousif T. Ahmeds Gedichtband konfrontiert dich mit Fluchterfahrung, (sexueller) Gewalt, Rassismus und den Auswirkungen von psychischen Erkrankungen." Dass der Verlag sich veranlasst sieht, das Buch online mit einer Triggerwarnung zu markieren, wirft über die Notwendigkeit, die dunkelsten Seiten des Lebens zu ergründen, einen seltsamen Schatten. Gedichte können gefährlich sein. Aber sie sind überlebensnotwendig.