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Filme, die Sie längst einmal gesehen haben sollten, Teil 9: "Someone to Watch Over Me" von Ridley Scott

FALTER:Woche, FALTER:Woche 3/2021 vom 20.01.2021

Was wurde eigentlich aus Tom Berenger? In der Generation von Schauspielern wie Kevin Costner, William Hurt oder Mickey Rourke ist er knapp der älteste und klar der verschwundenste. Zu seiner besten Zeit aber kamen Kinogeher an ihm nicht vorbei. "Someone to Watch Over Me" von 1987 fällt in diese Periode. Berenger, im richtigen Leben bereits Ende 30, spielt darin den Polizisten Mike Keegan, der im Kreis von Familie und Kollegenschaft seine Beförderung zum Detective feiert. Als Mike seiner Frau (Lorraine Bracco) das Rauchen untersagt, meint eine Freundin: "I love your husband, Ellie, but he's a real dork!" Worauf diese antwortet: "I know, but he's my dork."

Im Grunde genommen ist damit auch schon die Dramaturgie des halben Films umrissen. Was noch fehlt, folgt auf dem Fuße. Nachdem das Ehepaar seine Zukunft besprochen hat - Ellie: "My ass is falling"; Mike: "I love your ass. Get it into bed, before it hits the floor" -, erfolgt der Szenenwechsel zu einer Party der Filthy Rich, auf der die frischverlobte Claire Gregory (Mimi Rogers) zufällig beobachtet, wie ein Freund von einem ehemaligen Geschäftspartner mit gröberem Anger-Management-Problem - verlässlich sinister: Andreas Katsulas -erstochen wird und daraufhin als unliebsame Zeugin selbst in den Fokus des Mörders gerät.

Regisseur Ridley Scott, der mit "Alien"(1979) und "Blade Runner" (1982) das Kino der Eighties prägte wie kaum ein anderer, hat mit "Someone to Watch Over Me" trotz einigen Ausstattungsaufwands einen vergleichsweise schlichten Film vorgelegt. Anstatt düster-dystopischer Settings überschreitet die hier in Szene gesetzte Opulenz zwischen Louis-seize und Art déco wiederholt die Grenzen zwischen Stylishness und Geschmacklosigkeit: Im Apartment von Claire, in dem Mike als deren Aufpasser ab sofort Abendschichten zu schieben, seinen Aktionsradius aber auf Foyer, Küche und Klo zu beschränken hat, stehen mehr Stehlampen herum, als ihm in seinem bisherigen Leben untergekommen sind.

Scott und Kameramann Steven Poster haben keine Scheu, Klischees einzusetzen: Der aus den Gullys des nächtlichen New York wabernde Dampf reicht für ein halbes Dutzend Neo-Noirs, und auch die in den 1980ern an und mit Saxofonen begangenen Verbrechen lassen sich ausführlich studieren. Wirklich kitschig oder abgeschmackt werden sie aber nie. Die Konstellation etwa, die wenig später von Whitney Houston und Kevin Costner in "Bodyguard" mit reichlich Zuckerguss erneut durchexerziert wird, gerät hier um einiges aufregender.

Der Proll-Cop aus Queens und die flamboyante Lady aus der Upper East Side verfehlen einander zunächst auf nicht unpeinsame Weise. Mit generöser Herablassung spendiert sie ihm eine dezentere Krawatte, die zur Vernissage im Guggenheim Museum passt, wo Michael sichtlich verloren neben Claes Oldenburgs zehn Meter hoher Klappmesserskulptur steht, sich als "Toy Boy"-Material begutachten und von einer Besucherin allen Ernstes fragen lassen muss, ob er einen Ständer kriegt, wenn er jemanden erschießt. Dass die feinen Unterschiede ganz schön grob geraten können, wird vom Drehbuchautor Howard Franklin mit viel Gespür herausgearbeitet.

Obwohl in "Someone to Watch Over Me" alles ausgeht, wie es ausgehen muss, wird der Film dennoch nie formelhaft oder vorhersehbar. Mit instinktsicherem Pragmatismus konzentriert er sich auf seine Figuren und aufs Thema und meidet souverän die Fallen manierierter Prätention.

Wo der Erotikthriller, das Irrtums-Genre der späten 1980er, pittoresk schweißbeperlte Bodydoubles auf seidigen Laken verzückt sich winden lässt, wird hier keine rauschhafte Amour fou zelebriert, sondern eine Ménage-à-trois unter Auspizien der Klassengegensätze verhandelt.

Während die stets untadelig geschminkte, frisierte und gestylte Claire meist en face zu sehen ist, verfügt die burschikose Ellie über einen Körper, der auch Autos reparieren und eine Waffe handhaben kann; ein Umstand, der - zieht man das Selbstermächtigung-durch-Wumme-Pathos von "Ms. 45" (1980) oder "Blue Steel" (1990) zum Vergleich heran -ausgesprochen lakonisch inszeniert wird: Als Ellie auf dem Schießstand dem Pappkameraden in den Schritt ballert, merkt ihr Sohn Tommy trocken an, dass man eigentlich aufs Herz zielen sollte.

Apropos Treffersicherheit: Was das Casting anbelangt, lässt "Someone to Watch Over Me" wahrlich nichts anbrennen. Dem eher schüchtern und betreten agierenden Tom Berenger steht Lorraine Braccos grandios resolute Ellie gegenüber. Als der gemeinsame Besuch im schicken Brooklyner Restaurant in eine veritable Ehekrise mündet und Mike mit tränenverschleiertem Blick beteuert, dass er Ellie selbstverständlich "respektiere", kriegt er ansatzlos eine gescheuert -mit links.

Was aus Lorraine Bracco wurde? Sie hat den Karrieresprung ins neue Jahrtausend glänzend absolviert und brillierte in den "Sopranos" als Tonys Therapeutin Dr. Jennifer Melfi.

"Someone to Watch Over Me" (USA 1987) Regie: Ridley Scott, Drehbuch: Howard Franklin, Kamera: Steven Poster, Musik: Michael Kamen, Produktion: Columbia Darsteller/-innen: Tom Berenger, Mimi Rogers, Lorraine Bracco, Jerry Orbach, Andreas Katsulas

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