Zu alt, zu krank, zu teuer

Ein privates Seniorenheim in Wien schreibt Verluste – deshalb müssen jetzt die hilfsbedürftigsten Bewohnerinnen und Bewohner raus.

Josef Redl, Martin Staudinger, Soraya Pechtl
vom 26.04.2022

Die Senioren Residenz Josefstadt schließt mit nur wenigen Wochen Vorwarnzeit ihre 24-Stunden-Pflegestation (Foto: FALTER/Pechtl)

Wer hätte etwas dagegen, seinen Lebensabend so zu verbringen? „Mitten im kulturellen Herzen Wiens“, umgeben vom „Service eines Fünf-Sterne-Hotels mit Charme“, betreut von „einem Team, das rund um die Uhr“ verständnisvoll auf die „Wünsche und Ansprüche älterer Menschen“ eingeht – und mit „Zugang zu einer „hauseigenen, professionellen Pflegeabteilung“. Alles in allem: In der „Sicherheit einer gesundheitlich umfassenden Rundum-Sorge, wonach Gesundheit und Wohlbefinden im Mittelpunkt jeder Betreuung stehen“.

Mit diesen schönen Worten und noch viel schöneren Fotos wirbt die Senioren Residenz Josefstadt auf ihrer Homepage um Bewohnerinnen und Bewohner. Voraussetzung: eine gut gefüllte Brieftasche. Denn die gebotenen Annehmlichkeiten kosten dementsprechend viel Geld. Die Zwei-Zimmer-Suite gibt es ab 2.670 Euro und mit Balkon ab 3.700 Euro, drei Zimmer zu einem Preis „auf Anfrage“.

Für einige Heimbewohner ist in Kürze allerdings Schluss mit der versprochenen „Sicherheit“. Sie müssen unverhofft ausziehen.

Aber nicht, weil sie sich den Aufenthalt nicht mehr leisten können.

Sondern, weil sie zu gebrechlich geworden sind – und damit offenbar unrentabel für die Betreiber des Heims.

Die Senioren Residenz Josefstadt schließt mit Ende Juli ihre 24-Stunden-Pflegeabteilung, die auf der Website immer noch groß ausgeschildert ist. Die Verträge der Patientinnen und Patienten, die dort untergebracht sind, werden gekündigt, das Personal nach Informationen von FALTER.morgen ebenfalls.

Bekannt gemacht wurde das am 5. April. Den Betroffenen (von denen einige ihre eigenen Wohnungen aufgegeben haben, um in die Residenz zu ziehen) bleiben also nicht einmal vier Monate, um sich eine neue Bleibe suchen – oder jemanden zu finden, der das für sie tut: mehrere sind nach Informationen von FALTER.morgen nämlich schwer dement.

Aber wer sind eigentlich die Betreiber der Senioren Residenz Josefstadt, die für diese Maßnahme verantwortlich zeichnen?

Das Seniorenheim wird von der Residenz Josefstadt GmbH geführt, die wiederum im Eigentum der Residenz Josefstadt AG in Zürich (vormals: Swiss Tertianum International AG) steht. Aus den Bilanzen geht hervor, dass die österreichische Gesellschaft tief ins negative Eigenkapital gerutscht ist, also Verluste schreibt. Zuletzt war von einem Minus von rund elf Millionen Euro die Rede. Bankrott ist das Heim trotzdem nicht – immerhin haben sich die Eigentümer laut ihrem eigenen Jahresabschluss verpflichtet, „die Finanzierung der Gesellschaft zu sichern und in Höhe der jeweils bestehenden Überschuldung … hinter die Ansprüche aller anderen Gläubiger zurücktreten.“

Wir hätten Geschäftsführer Franz Hidber, einem Schweizer Unternehmer und Investor, gerne ein paar Fragen gestellt. Worauf die Schließung der Pflegestation zurückzuführen ist, zum Beispiel; und wie er es seinen Residentinnen und Residenten erklärt, dass sie auf die Straße gesetzt werden, sobald sie pflegebedürftig sind und Hilfe besonders nötig hätten – genau das droht künftig ja allen Heimbewohnern.

Hidber war allerdings nicht zu erreichen.

Brigitta Hartl-Wagner, die Direktorin der Residenz, begründet die Maßnahme mit einem bevorstehenden Eigentümerwechsel. „Die privat geführte Residenz Josefstadt GmbH zieht sich per 31. Juli 2022 als Betreiberin der Residenz zurück, ein neuer Betreiber wird die Residenz übernehmen und weiterführen.”

Wer dieser neue Betreiber ist, will man noch nicht verraten. Nur soviel: „Zurzeit führen die Eigentümer der Immobilie konkrete Gespräche und Verhandlungen mit potenziellen neuen Betreibern.

Und weiter: „Die Verträge der Bewohner:innen der Pflegestation werden unter Berücksichtigung der geltenden Gesetzeslage gekündigt – alle Betroffenen sind bereits im Gespräch mit anderen Pflegestationen und -heimen.“

„Wir sind mit allen Resident:innen der Pflegestation bzw. deren Angehörigen in intensivem Kontakt und Austausch und unterstützen sie bestmöglich dabei, Lösungen zu finden, sodass sie bereits in den kommenden Wochen neue Pflegeplätze bekommen.“

„Mobile Pflege für die aktiven Residenten soll aber selbstverständlich auch in Zukunft in der Residenz Josefstadt möglich sein.“

Bei der MA 40 wurde die Schließung der Pflegestation gemeldet. Die Stadt fühlt sich für den Fall freilich nicht zuständig, weil die Senioren Residenz Josefstadt eine private Einrichtung ist. Wer Probleme damit habe, eine neue Unterkunft zu finden, könne sich aber an den Fonds Soziales Wien (FSW) wenden, heißt es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).

Insoferne ist der Fall typisch für eine Tendenz, über die unsere Kollegin Gerlinde Pölsler vergangenes Jahr im FALTER berichtet hat: Im Bereich der Altenbetreuung sind private Betreiber im Vormarsch, die Pflege als profitorientiertes Geschäft betreiben. Rechnet es sich nicht mehr, geht das zulasten der Heimbewohnerinnen und -bewohner – und des Personals.

Und wenn es hart auf hart geht, muss am Ende der Staat einspringen.

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