Da schreien ja die Hühner!

Florian Klenk
Versendet am 28.02.2023

Was essen Sie heute zu Abend? Ein Hendl vom Billa, Spar oder Lidl vielleicht? Ich gestehe, mir vergeht der Appetit. Gestern hat die Tierschutzorganisation "Verein gegen Tierfabriken" heimlich aufgenommene Bilder aus dem steirischen Geflügelschlachthof Titz veröffentlicht, der diese Supermarktketten beliefert.

Meine Kollegin Gerlinde Pölsler, die seit Jahren über industrielle Tierhaltung und Tierquälerei berichtet, hat dazu diesen Bericht verfasst. Wir schalten ihn ausnahmsweise frei. Erstens, damit Ihnen endlich der Appetit aufs Billighendl vergeht. Zweitens, damit die Politik endlich handelt. Drittens, damit Firmen, die so agieren wie Titz, endlich umdenken.

Jeden Tag werden bei Titz 70.000 Hühner geschlachtet, ein gutes Geschäft. 2021 wies die im Firmenbuch einsehbare Gewinn- und Verlustrechnung ein Ergebnis von 4,1 Millionen Euro nach Steuern aus. Die Firma steht laut ihren eigenen Lageberichten wirtschaftlich gut da. Man sieht auf den Videos aus diesem florierenden Betrieb, wie das Geld verdient wird.

Die Tiere werden in Containern wie Gemüse angeliefert und in eine CO2-Kammer geschüttet, einige schlafen in der Giftkammer nicht ein und werden dann bei lebendigem Leibe geköpft. Manche sterben nicht einmal an der Köpfungsmaschine. Hühner, die entkommen sind, werden von Mitarbeitern der Firma bisweilen getreten, erschlagen oder als Putzfetzen verwendet, wie das Video beweist. Die Crew wirkt völlig abgestumpft. Würde jemand seinen Wellensittich so behandeln, man würde ihn für völlig verroht halten. 

Die Firma Titz hat PR-Experten und Anwälte losgeschickt, weil sie nicht will, dass man den Namen des "Familienbetriebes" nennt. Der FALTER verweigert sich dem Wunsch. Warum? Weil der Konzern auf seiner Website, aber auch in Fachartikeln mit besonders hoher Qualität und Verantwortung wirbt. Weil der Konzern sogar ein AMA Bio-Gütesiegel zur Schau stellt. Weil das, was die Werbung dem Konsumenten verspricht, nicht eingehalten wird. 

Es ist die Aufgabe der Medien, hier den werblichen Schein mit dem Sein zu kontrastieren und auch schockierende Bilder zu zeigen. Es ist auch die Aufgabe der Medien, die Politiker und Behörden zu benennen, die bei der Kontrolle versagen.

Leider kommen die Medien dieser Aufgabe viel zu selten nach. Entweder weil die Ressourcen für Recherchen fehlen oder weil der Druck der Inserenten (Supermärkte) zu hoch ist. Der Fleischprospekt mit Billigware als Supermarkt-Lockmittel bringt viel Geld. 

Was muss geschehen? Die meisten werden sagen: Die Konsumenten sollen umdenken und nicht so viel billiges Hendlfleisch essen. Das ist schon richtig und doch die falsche Forderung. Es ist der Staat, der endlich umdenken und diese Form der völlig pervertierten Tierhaltung und Schlachtung verbieten muss. Der Staat ist verantwortlich für die Produktionsbedingungen und deren Überwachung, nicht der hungrige Bürger an der perfekt inszenierten Fleischtheke. Der Staat müsste auch das Anbieten von Fleisch zu völlig lächerlichen Dumpingpreisen verbieten. Die unsachliche Differenzierung von Haustieren und Nutztieren muss ein Ende finden. Und das Thema muss endlich ein europäisches werden.

Das wird lange dauern, weil die Fleisch- und die Schlachthofindustrie gemeinsam mit den Supermärkten unglaublich viel Geld investiert haben, um die Hinterbühne der Fleischproduktion mit Propaganda zu verschatten und die Bauern und Produzenten auszubeuten. Besonders zynisch muten dann solche Presseaussendungen des Großhandels an, die nun so tun, als wüssten sie nicht, wie ihre Billigware produziert wird. Und weil viele in der ÖVP (und viele andere konservative Parteien) leider die Interessen der Bauern mit den Interessen der Fleischindustrie verwechseln. 

Dem VGT, der gerade von der Supermarktkette Spar mit einer Slapp-Klage bedroht wird, ist zu danken, dass er diese Missstände konstant aufdeckt und aneckt. Den Produzenten, den Schlachthöfen und den  Supermärkten mag das zuwider sein. Aber Tiere sind Lebewesen und kein Müll, den man irgendwo hin kippt. Wir müssen diese Erkenntnis wieder verinnerlichen.

Ihr Florian Klenk


Schweinesystem

Vor einem Jahr habe ich ein vom VGT veröffentlichtes Video aus einer Ferkelzucht zum Anlass genommen und einen Schweinebauern besucht, der seine Tiere bei lebendigem Leibe kastrierte und kupierte. Meine Reportage lesen Sie hier. Der Bauer hat damals angekündigt, seinen Stall zu erneuern. Bisher ist das noch nicht geschehen. Die Energiekrise habe eine Investition unmöglich gemacht. Gerlinde Pölser wiederum hat sich vor einigen Jahren sehr genau angesehen, wie ein Billighuhn produziert wird. Ihre Reportage lesen Sie hier.

Thema Schlachten: Der VGT hat 2015 Material aus 20 Schlachthöfen in ganz Ö zusammengestellt, es war eine einzige Katastrophe. Die Recherche ist hier noch online: Auch das Schächten von Tieren geschieht oft unter skandalösen Bedingungen, wie Gerlinde Pölsler hier berichtet hat.


Russlands Terrorkrieg

Wir widmen uns auch in der aktuellen Ausgabe dem Angriffskrieg Putins. Josef Redl deckt auf, wie sich die Raiffeisen Bank International die Reste der russischen Sberbank Europa einverleiben will. Die Bank macht Milliardengeschäfte in Putins Diktatur. Ich habe derweil eine ukrainische Familie interviewt, die der Krieg über ganz Europa verstreut hat. Wir saßen stundenlang in einem Zoom-Meeting und die Familie erzählte über die ersten Tage des Krieges, die Flucht und das neue Leben als Vertriebene. Der Text wird dieser Tage auch von Mitgliedern des Burgtheaters eingesprochen und bald als Podcast zu hören sein.


Kinder und Drogen

Im Stadtpark, vor dem Flex, vor der Karlskirche: eine immer jünger werdende Szene von Jugendlichen wirft immer stärkere Drogen ein. Lukas Matzinger hat über dieses große gesellschaftspolitische Thema schon hier und hier berichtet. Diese Woche besuchte er Eltern, die dabei zusehen, wie ihr Kind an Drogen stirbt. Sie beklagen zu schwachen Jugendschutz.


FALTER:WOCHE

Ein feministisches Wohnprojekt über drei Generationen hinweg scheitert an grundverschiedenen Auffassungen über Inhalt und Ziel des Feminismus: Gertraud Klemm hat mit "Einzeller" einen spannenden Roman geschrieben. Im Gespräch mit Sara Schausberger und Gerhard Stöger wünscht sich die Wiener Autorin, die Gräben zwischen den unterschiedlichen feministischen Wahrheiten zurückzubauen. Sebastian Fasthuber porträtiert den US-Pop-Spaßmacher "Weird Al" Yankovic, der nach gut vier Jahrzehnten im Geschäft erstmals nach Wien kommt, und dann erfahren Sie in unserer Kultur- und Programmbeilage noch, welche neuen Filme den Kinobesuch lohnen; wer bei La Fonte liest, dem Festival der italienischen Literatur; und warum "Serge" im Akademietheater kein Bringer ist, die Schau des Fotokünstlers Georg Petermichl bei Wonnerth Dejaco aber sehr wohl. 


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