Geist ist geil: "Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song"
Iseult Grandjean
| 16.11.2022
Wer hat sie auch schon immer gehasst, die Schriftsteller, die ihre Romane in einem einzigen Fiebertraum raushauen, die Bob Dylans, deren bester Song angeblich in fünf Minuten entstand, die Poetry-Slammer, die auf der Bühne stehen und nuscheln "Diesen Text habe ich im Bus auf dem Weg hierher geschrieben"? Jahrhunderte nach dem Goethe'schen Geniekult hält sich die romantische bis schlichtweg süffisante Vorstellung immer noch: Kunst passiert einfach. Dabei ist sie vor allem mühsam und meist größer als ihr Schöpfer.
Deshalb braucht es auch das deontologische Format eines Dokumentarfilms, um die Genese eines einzelnen Songs zu erzählen: "Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song" beginnt mit Leonard Cohen, seinem Gott oder Geburtshelfer, folgt dann aber der Musik. Er erzählt, wie der Song nach fast sieben Jahren Wehen fertig war und dann "Various Positions", das Elternalbum von "Hallelujah", von Columbia abgeschmettert wurde; 1984 brachte es ein Indie-Label heraus. Und wie der Song, für den Cohen bis zu 150 Strophen geschrieben haben soll, zur Hymne zwischen "holiness and horniness" wurde, die terrestrische ("But remember when I moved in you") wie spirituelle Freuden beschwört ("And the holy dove she was moving too").
Für "A Journey, A Song" haben Dan Geller und Dayna Goldfine aus rarem Archivmaterial des Cohen Trust die Geschichte einer parallelen Reise gesponnen: die der Sinnsuche eines Künstlers und der Entwicklung eines Songs von der Totgeburt zum vielgecoverten Wunderkind. In der zweiten Hälfte erzählen Talking Heads vom Weiterleben; von John Cale, der das reduzierte, bis heute prägende Arrangement von "Hallelujah" schuf, bis zu den Produzenten des Kinohits "Shrek", die den Song familientauglich machten. Und Leonard Cohen? Sagte nur: "Wenn ich wüsste, woher gute Songs kommen, würde ich öfter dorthin gehen." Es ist die Reise, die lohnt -übrigens auch beim Film, dessen Idee vor sieben Jahren keimte. Kunst ist eben zäh: Man presst und presst, man stöhnt und schreit, und plötzlich ist sie da, ein kleines Wunder. Hallelujah!
Ab Fr im Filmcasino (OmU)