ERHOLEN, UM ZU CHILLEN

Zuerst hemmte Kathrin Kolleritsch alias Kerosin95 der Lockdown, dann sorgte er doch für neue Lieder

Kathrin Kolleritsch
FALTER:Woche, FALTER:Woche 3/2021 vom 20.01.2021

Kurz vor dem ersten Lockdown war ich in Graz und spielte ein Konzert. Mein letztes für 2020, wie sich noch zeigen sollte. Am Tag danach hieß es, dass zwei weitere Konzerte, die in derselben Woche angesetzt waren, abgesagt wurden. "Voll geil!", dachte ich mir in diesem Moment noch. Ich war überarbeitet, wollte keine Leute sehen und einfach nur Serien schauen. Zack, mein Wunsch war in Erfüllung gegangen. Zuerst habe ich nicht ganz verstanden, was das alles zu bedeuten hat.

Zu Beginn der Pandemie machte ich einige Monate lang gar keine Musik. Die meiste Zeit saß ich vor dem Laptop und errichtete mir Traumvillen beim Computerspiel "Sims 4". Ich ging dort mit meinen Hunden spazieren, schuf mir ein ausgeglichenes Leben und baute mir eine neue Karriere als "Faulenzer*in" auf. Hin und wieder klappte ich den Laptop auch zu und vertrieb mir die restlichen Stunden des Tages mit Essen, Kiffen, Bücherbinden und Im-Garten-das-nasse-Laub-Kehren.

Mir war nicht einmal ansatzweise nach Komponieren zumute. Die Motivation dafür hatte mir mein stressiger Alltag vor Covid-19 genommen. Eine Produktion mit Nöstlinger-Texten am Volkstheater Wien und drei Bands schupfen, die Beziehung zu mir selbst retten, dazwischen kochen und duschen. In Interviews haben mich damals oft Leute gefragt, ob wir denn gerade an einem Album schreiben würden, schließlich sei jetzt ja genügend Zeit dazu.

Ständig erkundigte sich wer, ob eh alle noch produktiver als sonst sind, ob jeden Tag Yoga gemacht und mindestens zwei Bücher gelesen werden. Der Kapitalismus drückte mir dazu permanent die gleichen Sätze ins Gesicht. "Du musst körperlich fit bleiben", lauten sie, "Du musst dich selbst lieben lernen" oder "Du musst die Zeit nutzen und an dir selbst arbeiten".

Ich versuchte, viel Schlaf nachzuholen, nicht krank zu werden und andere Menschen in meinem Umfeld zu unterstützten. Es war ein riesiges Privileg und gleichzeitig auch furchtbar zach, währenddessen nicht arbeiten zu dürfen.

Ich merkte bald, dass das Texten im Lockdown immer schwieriger wurde. Es gab wenig Reize, der Alltag war zwar schön, aber monoton. Am spannendsten war es, mit der WG irgendeinen Schas im Fernsehen zu schauen -und das wochen-und letztlich monatelang, Tag für Tag. Mir fiel zu dieser Zeit erst wirklich auf, wie sehr ich den Kontakt zu verschiedensten Menschen sowie Erlebnisse außerhalb meiner Wohnung brauche, um kreativ arbeiten zu können. Mir fehlten die Begegnungen, kleine Überraschungen, alles, was mein Hirn sonst mit Fantasien füttert.

Erst im Juni 2020 änderte sich die Stimmung, da der Alltag wieder draußen stattfinden konnte. Die Inspiration purzelte mir von allen Ecken entgegen, und ich fing wieder an zu schreiben. Jede Woche ein bisserl was, nur nicht zu viel, lautete mein Motto. Überraschend schnell kam ich in einen Modus, in dem ich in kleinen Portionen arbeitete und in großen viel Zeit im Freien verbrachte. Ich radelte oft an die Donau und füllte meinen Laptop mit neuen Textdateien. Der Sommer ging schnell vorbei, und bevor mir bewusst wurde, dass es Herbst war, saß ich bereits im Studio, um neue Songs aufzunehmen.

Auch vor der Pandemie hatte ich schon manchmal Monate, in denen ich dachte, dass mich meine Kreativität für immer verlassen hätte. Als ob kein Bild in meinem Kopf mehr gezeichnet werden könne und ich vielleicht wirklich alles an Fantasie ausgeschöpft hätte. Aber nein, irgendwann kommt sie wohl immer zurück. Eine lustige Beziehung, zwischen mir und meinem Schädel.

Back to my geöltes, kreatives Dasein - ein Album entstand. Ich hatte dafür so viel künstlerische Leitung übernommen wie nie zuvor. Schon beängstigend, aber auch mutig. Mittlerweile ist es fertig, abgeschickt, und bald wird es als Schallplatte in einem Packerl vor meiner Wohnungstür liegen und den Titel "Volume 1" tragen.

Nach all den Monaten physischer und künstlerischer Isolation habe ich einiges dazugelernt. Vor allem, dass mir "Sims 4", schlafen und Rad fahren sehr guttun. Und auch, dass ich mich nicht erholen möchte, um am nächsten Tag wieder arbeiten zu können. Sondern dass ich mich erholen möchte, um am nächsten Tag in Ruhe chillen zu können.

Kathrin Kolleritsch singt und trommelt im Wiener Indierock-Quartett My Ugly Clementine, spielt in Mira Lu Kovacs' Band und betreibt mit Kerosin95 ein ebenso poetisches wie politisches Hip-Hop-Projekt, dessen Debüt "Volume 1" am 19. März erscheinen wird

In der Reihe "Aus meiner Festung" erzählen lokale Kulturschaffende in der Falter:Woche von ihrem Alltag unter Pandemie-Bedingungen

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